Anmeldung für alle

Aus DER RABE RALF August/September 2024, Seite 20

Eine Kampagne fordert das Recht auf Stadt für alle, die darin leben

Ciudad Migrante bei der „Mietenwahnsinn“-Demonstration am 1. Juni in Berlin. (Foto: Jan Rolletschek)

Ausländische Neuankömmlinge in Berlin haben es schwer. Zu einem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt kommen sprachliche Schwierigkeiten und rassistische Anfeindungen. Für viele ist die erste und womöglich größte Hürde jedoch: die behördliche Anmeldung. Sie stellt die Zugangsvoraussetzung für viele öffentliche Dienstleistungen und grundlegende Rechte dar.

Teufelskreis der fehlenden Anmeldung

Ohne Meldeadresse lässt sich weder eine Steuer-ID beantragen noch ein Bankkonto eröffnen. Ohne diese Voraussetzungen ist es jedoch so gut wie ausgeschlossen, Arbeit zu finden. Die es wiederum braucht, um auf dem Wohnungsmarkt überhaupt eine Chance zu haben und eine Wohnung zu ergattern – welche dann als Meldeadresse dienen kann. Und so weiter von vorn.

Die Gruppe „Ciudad Migrante“ spricht von einem „Teufelskreis“, in dem viele Migrant*innen gefangen sind – was sie von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt, sie prekarisiert und für alle Arten von Ausbeutung anfällig macht. Oft genug hängt auch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis davon ab, dass eine Meldebescheinigung vorgewiesen werden kann.

Während Zugezogene mit deutscher Staatsbürgerschaft sich im Zweifel gar nicht ummelden und bei ihren Eltern angemeldet bleiben, derweil sie in Berlin ein Zimmer zur Untermiete bewohnen, haben ausländische Neuankömmlinge diese Möglichkeit nicht. Gelingt es ihnen nicht, eine Wohnung zu finden, die als behördliche Meldeadresse dienen kann, bleiben sie in hohem Maße marginalisiert. Und dies oft im buchstäblichen Sinn.

Aus vielen Gesprächen über die Schwierigkeiten, denen sich die bei Ciudad Migrante organisierten Neuankömmlinge im Alltag gegenübersehen, ist eine Karte entstanden, welche die langen Wege verzeichnet, die sie in Berlin zurückzulegen gezwungen sind. Wohn- und Arbeitsort liegen nicht selten an entgegengesetzten Enden der Stadt.

Drei Forderungen

Aus all diesen Gründen hat Ciudad Migrante die behördliche Anmeldung als entscheidendes Problem für migrantische Gemeinschaften ausgemacht und im vergangenen Dezember die Kampagne „Anmeldung für Alle!“ (AfA) gestartet. Ihre grundlegende Forderung lautet: Alle in Berlin lebenden Menschen sollen sich „bei einem eigens hierfür eingerichteten städtischen Träger“ anmelden können, der vorläufig als Meldeadresse und gegebenenfalls auch als Postanschrift dienen kann.

Hinzu kommen zwei weitere Forderungen: Zum einen sollen „die bestehenden Wohnbestände dem Markt entzogen und unter gesellschaftliche Kontrolle gestellt … sowie zusätzlicher bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden“, um die Wohnungskrise zu lösen. Hier zeigt sich die große Nähe der Kampagne zu stadtpolitischen Bewegungen wie „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWE). Tatsächlich wird die Kampagne inzwischen durch ein breites Bündnis getragen, zu dem neben verschiedenen mehrheitlich migrantischen Organisationen auch „Right2TheCity“ gehört, die englischsprachige Gruppe von DWE.

Zum anderen fordert die AfA-Kampagne die „Entkriminalisierung solidarischer Aktionen“, insbesondere sogenannter „Scheinanmeldungen“. Diese seien lediglich eine Reaktion auf die Wohnungskrise und den beschriebenen Teufelskreis. Nicht der solidarische Umgang mit den Missständen sei das Problem, sondern diese selbst müssten behoben werden.

Die migrantische Stadt 

Seit ihrem Auftakt am 5. Dezember hat sich die AfA-Kampagne intern konsolidiert, regelmäßige Bündnistreffen eingerichtet und sich durch Pressearbeit bekannter gemacht. Migrantische Organisierung findet in einem Umfeld statt, das ihr die politische Repräsentation, etwa durch Wahlen, verwehrt. Deshalb ist es für die AfA-Kampagne entscheidend, Verbündete zu finden und die deutsche Öffentlichkeit einzubeziehen, um ihre Anliegen zu erreichen. Den ersten wichtigen Termin hatte sie Ende April beim Berliner Landesparteitag der Partei Die Linke, der sich die Forderung nach einer „Anmeldung für alle“ zu eigen gemacht hat. Bei der „Mietenwahnsinn“-Demo am 1. Juni folgte der erste große öffentliche Auftritt. Ein eigener Block, Live-Musik, ein großes Transparent, Infografiken im Bannerformat und ein Redebeitrag bei der Abschlusskundgebung markierten eine neue Phase zunehmender Sichtbarkeit und der Verbreiterung der organisatorischen Basis.

Dabei reicht die Entstehungsgeschichte der AfA-Kampagne schon mehr als zwei Jahre zurück. In einem längeren, im April 2022 begonnenen Prozess des Erfahrungsaustauschs und der Diskussion über das Recht auf Wohnraum und über die Schwierigkeiten, denen insbesondere Migrant*innen hier begegnen, bildete sich Anfang 2023 die Gruppe Ciudad Migrante. Sie ist zugleich ein offener Raum der Solidarität, des Austauschs und der Selbstorganisation mehrheitlich lateinamerikanischer Diaspora-Gemeinschaften. Die Treffen der Gruppe finden auf Spanisch und Portugiesisch statt.

Hervorgegangen ist Ciudad Migrante aus dem „Bloque Latinoamericano Berlin“, einer politischen Organisation lateinamerikanischer Aktivist*innen, die sich an der Solidarität mit internationalen Bewegungen orientiert. Im September 2023 brachte die Gruppe ein Handbuch in spanischer Sprache mit praktischen Tipps für Neuankömmlinge heraus. Vergangenen Juni beteiligte sie sich mit Workshops am zehnten „Recht auf Stadt“-Forum. Auch sonst ist sie auf verschiedenen Plattformen präsent. So bietet sie am 20. September auf einer Konferenz des „Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags“ einen Workshop zu migrantischer Basisarbeit an und stellt die AfA-Kampagne vor.

„Anmeldung für Alle!“

Die Kampagne ist hauptsächlich aus der Organisierung spanisch-muttersprachlicher und lateinamerikanischer Migrant*innen entstanden, doch auch Aktive anderer Nationalitäten sind beteiligt. Geflüchtete, die eine Gemeinschaftsunterkunft verlassen wollen, brauchen genauso eine Meldeadresse wie Menschen mit deutschem Pass, die behördliche Post empfangen oder Bafög beantragen wollen. Überhaupt ist das Problem von großem allgemeinem Interesse. Doch dazu, wie viele in Berlin lebende Personen direkt von ihm betroffen sind, „gibt es leider keine offiziellen Daten“, sagt Judith von Ciudad Migrante. Zwar habe die Kampagne auch eine Arbeitsgruppe gebildet, die versucht, mehr Daten zu ermitteln – „aber bisher weiß es niemand genau, weil das durch die Scheinanmeldungen ja auch verdeckt wird“. Wodurch sich das zusätzliche Problem ergibt, dass „die Dringlichkeit den Behörden nicht bewusst ist“.

Grobe Schätzungen gibt es hingegen zu den bis zu 100.000 in Berlin lebenden Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung. Damit eine Anmeldung auch für sie erreichbar wird, geht es zunächst um ihre bedingungslose Legalisierung, wie sie von der Kampagne „Legalisierung Jetzt“ gefordert wird. Kein Wunder also, dass auch Bloque Latinoamericano und andere Gruppen des AfA-Bündnisses diese Kampagne unterstützen.

Jan Rolletschek

Weitere Informationen:
bloquelatinoamericanoberlin.org/de
anmeldung-fuer-all.wixsite.com/berlin/de
legalisierungjetzt.net

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