Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 3
Aus den Bauernprotesten entstand eine rechte Gruppierung – die öko-linken Reaktionen überzeugen bisher nicht
Vor rund einem Jahr begannen in Deutschland „Bauernproteste“, die bis in den Februar 2024 bundesweit sichtbar waren: auf öffentlichen Plätzen, in großen und kleinen Städten und auf dem Allerheiligsten der Deutschen, den Autobahnen. Die extrem aufgeladenen Proteste richteten sich vordergründig gegen zwei Sparmaßnahmen der damaligen Ampel-Regierung, die auch Bauern betrafen – die Streichung der Subventionen für Agrardiesel und der Kfz-Steuerbefreiung für Agrarfahrzeuge –, grundsätzlich aber brachten sie massiven Unmut mit der Bundesregierung und dem System generell zum Ausdruck. Sprichwörtlich im Fadenkreuz standen die Grünen: Deren Agrarminister Cem Özdemir wünschte man sich rassistisch auf einen türkischen Basar, und für die damalige Bundesvorsitzende Ricarda Lang stellte man schon mal einen Galgen bei Veranstaltungen auf. Politisch fischte man mal offen, mal subtil im rechten Fahrwasser, fühlte sich von staatlicher (EU-)Bürokratie oder ausländischen Investoren bedroht und kämpfte für ein sauberes und reines Deutschland ohne „Lügenpresse“ und ohne korrupte Politiker.
Antwort von rechts auf ökonomische Krisen
Aus den Bauernprotesten heraus gründete sich die Gruppe „Hand in Hand für unser Land e.V.“ nach einer Demonstration im Januar 2024 in München. Zwischen 10.000 und 20.000 Menschen nahmen daran teil. Ziel des Vereins ist es, über Landwirte hinaus andere Gruppen in der Gesellschaft zu organisieren. Im Blick hat man „Mittelständler, Rentner, Handwerker, Mütter“, wie es der Erste Vorsitzende und Demoorganisator, der Bauer Franz Huber, formulierte. Zweiter Vorsitzender ist der Kranunternehmer Markus Huber. Unter Benachteiligten versteht man eher Menschen mit Haus, gefülltem Konto, Betrieben im eigenen Besitz, nicht aber ökonomisch schwache Menschen wie Obdachlose oder Familien mit Kindern, die von außen wenig sichtbar in Armut leben. Für den 23. November hatte die Gruppe wieder eine größere Demonstration in Berlin angemeldet.
Schaut man sich die Web- und Social-Media-Auftritte des bayerischen Vereins an, fällt eine bestimmte Symbolik auf: Zum einen suggeriert der Name „Hand in Hand“ gegenseitige Hilfe und verwendet dafür als Vereinslogo einen Kreis mit ineinander gelegten Händen. Diese Symbolik, die kein Oben und Unten kennt, wird auch im links-grünen Milieu verwendet. Eine weitere Symbolik sind Autos und Lkws, die bei Auftritten des Vereins – analog und digital – in den Mittelpunkt gestellt werden. Ein Leben ohne das Auto als vermeintlich vom Aussterben bedroht Art ist hier nicht vorstellbar.
Die Programmatik ist eine bunte, teils bizarre Mischung aus den ideologischen Schatzkammern von Reichsbürgern, Esoterikern, rechten Ökologen und Wirtschaftsliberalen. Man sieht sich im Kampf gegen die Bedrohung der deutschen Souveränität und gegen die „Lügenpresse“ sowie als Opfer einer überbordenden staatlichen Bürokratie und möchte das „tradierte Familienbild“, das „in der Vergangenheit stets den Zusammenhalt in der Gesellschaft gestützt hat“, erhalten. Und weil Deutschland vermeintlich dem Abgrund entgegentaumelt, ermächtigt man sich, dies mit jedem autoritären Mittel zu verhindern. In ihrer Grundsatzerklärung zitieren die Vereinsmitglieder sogar George Orwell: „Wenn das Denken die Sprache korrumpiert, so korrumpiert die Sprache das Denken“ – ohne dies auf sich selbst anzuwenden. Aus ihrer neoliberalen Grundhaltung machen sie keinen Hehl, sie sind gegen Arbeitnehmerrechte, gegen Arbeitszeitverkürzung, für die Einschränkung des Arbeitsschutzes und für Abschiebungen. Im Repertoire sind auch zwei Dauerbrenner von Neoliberalen: das Beschimpfen von „Klimaklebern“ und das Lob auf die Atomenergie.
Alles in allem sind diese Proteste, die nicht auf eine Umverteilung von oben nach unten zielen, sondern in aller Offenheit nach mehr eigener Autorität rufen und demokratische Aushandlungsprozesse ablehnen, nichts anderes als die regressive Reaktion auf den unverstandenen Strauß an Krisenprozessen der kapitalistischen Ökonomie, die sich im Kern auf den Wachstumszwang zurückführen lassen. Als Blitzableiter und Antwort attackiert man sozial Schwächere und, weil man sich in der Lage sieht, neuerdings die Repräsentanten und medialen Unterstützer staatlicher Ordnungsmacht. Die Anleihen bei Trump, Bolsonaro, Orbán und Co sind offensichtlich. Der unausgesprochene Leitspruch heißt „Make Germany great again“, wobei stets betont wird, man sei parteipolitisch neutral. Politisch orientiert man sich mit sozialdarwinistischen und neoliberalen Positionen an einer Mischung aus rechter FDP und AfD. Zu Ende gedacht, will „Hand in Hand für unser Land“ die Regierung von rechts schreddern und sich auf den Thron setzen.
Agraropposition bleibt im staatlichen Rahmen
Leider haben sowohl die politische Linke als auch die durchaus vorhandenen vernünftigeren Bauernorganisationen wie der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter oder die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) dem wenig entgegenzusetzen. Sie verfallen zwar nicht in ein rassistisches Weltbild, belassen es aber bei marktkonformer oder moralischer Kritik am Wachstumszwang. Auch das agraroppositionelle Bündnis „Meine Landwirtschaft“, das seit Jahren zu Beginn der Grünen Woche im Januar in Berlin für eine ökologische und soziale Wende in der Agrarpolitik demonstriert und viel Vernünftiges formuliert, bietet rechten Diskursen eine offene Flanke, wenn konstant von „agrarfremden Investoren“ fabuliert wird, die Bauernhöfe aufkaufen. Bündnisinterne Proteste gegen diese personalisierende Kapitalismuskritik, die ins Antisemitische weist, wurden stets mehrheitlich abgeblockt.
Dabei ist „Meine Landwirtschaft“ Ausdruck einer positiven Verschiebung in der deutschen Agrardebatte. Dies hat – ungewollt – etwas mit einer Entscheidung des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder von 2001 zu tun. Als Reaktion auf die heftige Debatte über die Tierseuche BSE schob Schröder das ungeliebte Agrarministerium seinem grünen Koalitionspartner zu und Renate Künast wurde Agrarministerin. Sollten sich doch die Grünen an dem heißen Eisen die Finger verbrennen, eingekeilt zwischen aufgescheuchten, hyperventilierenden Verbraucher:innen und dem Deutschen Bauernverband.
Das war ein zweifacher Epochenbruch: zum einen durch den Parteiwechsel, denn bis dahin hatte der Bauernverband faktisch selbst festgelegt, wer von seinen Gnaden aus der Riege von CDU, CSU und FDP im Bund – und meist auch in den Bundesländern – Agrarminister wurde. Zum anderen wurde zum ersten Mal eine Frau Agrarministerin. Zuvor hatte sich 1998 der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter gegründet, der ein paar Jahre später mit seinen spektakulären Milchstreiks bekannt werden sollte. Die meisten seiner Mitglieder kamen aus dem bis dato allmächtigen Deutschen Bauernverband, der so ein weiteres Stück von seinem Monopol verlor. Damit gab es neben der kleineren und eher grünnahen AbL eine weitere bäuerliche Oppositionsgruppe.
In diese Phase hinein gründete sich Ende der 2000er Jahre das Bündnis „Meine Landwirtschaft“, das seit 2011 jedes Jahr im Januar die Großdemonstration „Wir haben es satt“ veranstaltet. Das Bündnis ist eine Plattform der Agraropposition in Deutschland, ohne dabei allerdings den staatlicherseits vorgegebenen Rahmen zu verlassen. Man entwickelt gute ökologische Positionen, propagiert eine Landwirtschaft, die sich an Kreisläufen orientiert, thematisiert die Kennzeichnung von Gentechnik, setzt sich für den freien Zugang von Bauern und Bäuerinnen zu Ackerland und – in der Gesellschaft oft unbeachtet – zu Saatgut ein und kritisiert, dass „unsere“ Agrarpolitik global Hunger produziert.
Zum ersten Mal wird in Deutschland organisationsübergreifend darüber diskutiert und durch die Bündelung der Alternativen, die es schon gibt, eine Plattform geschaffen. Das Bündnis reicht von Umweltverbänden wie BUND, Nabu und Naturfreunde über Ökoanbauverbände und die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor, weiter über AbL, DUH, Tierschutzbund und Campact bis zu linken Exoten wie der Aktion 3.Welt Saar und den ursprünglichen Initiatoren von der Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg.
Ökonomisch statt moralisch argumentieren
Und das Fazit? So richtig es ist, rechten Gruppierungen wie „Hand in Hand“ entgegenzutreten, so wichtig ist es aber auch, die eigenen Schieflagen – moralisches Argumentieren und das Ausklammern ökonomischer Sachverhalte – im Blick zu haben, die mithelfen, den Rechten gesellschaftlichen Raum zu verschaffen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die politische Linke mit Agrarpolitik meist so viel am Hut hat wie Veganer:innen mit dem Wiener Schnitzel. Entsprechend klischeehaft fallen oft die Betrachtung und die Kritik aus: Bauern und Bäuerinnen werden ähnlich wie der ländliche Raum („die Provinz“) als rückständig angesehen, worüber man sich als Metropolenbewohner:in erhebt und lustig macht. Oder sie werden darauf reduziert, dem eigenen Bild von kleinen, schnuckeligen, idyllischen Bauernhöfen zu entsprechen. Das sagt mehr aus über die eigenen schlechten Kinderbücher als über das reale Leben in der Landwirtschaft.
Roland Röder
Der Autor ist Geschäftsführer der Aktion 3.Welt Saar e.V., die bundesweit zu Themen wie Landwirtschaft, Asyl, Migration, Islamismus, Antisemitismus und fairer Handel arbeitet.
Weitere Informationen: www.wir-haben-es-satt.de