„Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato bedeutet eine Verschärfung der Klimakrise“

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 16

Hoher Treibstoffverbrauch, energieintensive Waffenproduktion, Flächenbrände bei Übungen – das Militär ist eine der klimaschädlichsten Einrichtungen der Menschheit, sagt Jacqueline Andres von der Informationsstelle Militarisierung

Bundeswehr-Kampfpanzer „Leopard 2“ bei einer Übung in Thüringen. (Foto: Tobias Nordhausen/​Flickr, CC by-nc-sa 2.0)

Der Rabe Ralf: Frau Andres, die Bundeswehr hat in den letzten 15 Jahren wahrscheinlich Windenergieanlagen mit einer Leistungskapazität von zwei Handvoll Atomkraftwerken verhindert, weil sie Hubschrauberübungsstrecken und das Umfeld von Radaranlagen davon freihalten wollte. Sie betont aber, dass sie eigentlich grundsätzlich die Energiewende unterstütze. Wie glaubwürdig ist das?

Jacqueline Andres: Die Bundeswehr ist da in Zugzwang, wie auch das Militär anderer Nato-Staaten. Das Klima ist ein Thema geworden, zu dem sie sich äußern und verhalten muss. Dabei wird schon seit Längerem Greenwashing betrieben. Die Bundeswehr hat zum Beispiel schon mehrmals erklärt, dass die Truppenübungsplätze dem Erhalt der Biodiversität dienen. Aber diese Biodiversität gibt es weiterhin nicht wegen, sondern trotz der Bundeswehr, deren Panzer den Boden so plattfahren, dass da erst mal nichts mehr wachsen kann.

Bei der Windenergie weist die Bundeswehr dementsprechend auf die Fälle hin, wo sie kooperativ war, und nicht auf die, wo sie Windräder verhindert hat. In Wirklichkeit behindert sie den Umstieg auf erneuerbare Energien und treibt die Klimakrise durch Treibhausgasemissionen und Umweltzerstörung an.

Wo treibt die Bundeswehr den Klimawandel an?

Zum einen durch die Emissionen der Großgeräte bei Auslandseinsätzen und Militärübungen, zum anderen durch die Rüstungsproduktion. Für Übungen muss das ganze schwere Gerät ja erst mal hintransportiert werden, und dann gibt es noch die Gefahr von Unfällen.

Eine klassische Gefahr stellt scharfe Munition dar. Sie kann zu Feuern führen, selbst wenn sie erst mal liegenbleibt. Das bekannteste Beispiel dürfte der wochenlange Moorbrand im Emsland von 2018 sein. Damals führte die Bundeswehr trotz Waldbrandgefahr – man durfte nicht im Wald rauchen – eine Luft-Boden-Übung durch und beschoss von einem Hubschrauber aus das Moor. Durch eine Schriftliche Anfrage des damaligen Linken- und heutigen BSW-Abgeordneten Ali Al-Dailami kam heraus, dass das Verteidigungsministerium für das Jahr 2022 nicht weniger als 1.994 Brände zählte, die durch die Bundeswehr verursachte wurden – betroffen waren fast sieben Millionen Quadratmeter oder, wie Al-Dailami es formulierte, „eine Fläche von mehr als 1000 abgefackelten Fußballfeldern“.

Ist der sogenannte CO₂-Fußabdruck der Bundeswehr bekannt?

Jein. Die vorliegenden Zahlen enthalten nicht die Emissionen bei Auslandseinsätzen und -übungen. Die Berichte beziehen sich nur auf Liegenschaften und Mobilität in Deutschland.

Hat mal jemand eine Schätzung geliefert, wie stark die Emissionszahlen nach oben korrigiert werden müssen?

Das ist mir nicht bekannt.

Kampfflugzeug „Eurofighter“ auf der ILA 2024 im Juni in Schönefeld bei Berlin. (Foto: Matti Blume/​Wikimedia Commons)

Sie haben von Großgeräten gesprochen. Was verbraucht denn so ein Panzer?

Der Leopard 2 braucht mehr als 500 Liter Treibstoff auf 100 Kilometer im Gelände. Noch energieintensiver sind die Kampfjets. Der Eurofighter liegt bei 3,5 Tonnen Treibstoff pro Flugstunde, der Tornado bei über vier. Der F-35, der jetzt angeschafft werden soll, liegt bei bis zu 8,5 Tonnen.

Das neuere Modell ist also nicht effizienter? Oder verbraucht es so viel mehr, weil es größer ist?

Woran genau es liegt, weiß ich nicht. Der F-35 kann jedenfalls schneller beschleunigen. In der Rüstungsindustrie fehlt aber auch der Wille zur Nachhaltigkeit. Zum Beispiel wurde 2023 bei der Aktionärsversammlung der Firma Lockheed Martin, die den F-35 herstellt, darüber abgestimmt, ob Energieeffizienz und der Klimawandel eine größere Rolle spielen sollen, und das wurde mehrheitlich abgelehnt.

Gleichzeitig gibt es schon Projekte für mehr Effizienz, wo zum Beispiel die Antriebssysteme sparsamer sind. Das Transportflugzeug Airbus A400M soll nun auch mit einer Beimischung von „nachhaltigem Flugzeugtreibstoff“ oder kurz SAF fliegen, der auf verschiedene Weise hergestellt werden kann. Aber der Anteil der Großgeräte, die ihre CO₂-Emissionen senken, ist klein, und vor allem: Es gibt keinen Zwang dazu.

Welchen Anteil an der Erderhitzung beziehungsweise am Energieverbrauch Deutschlands oder Europas hat denn die Rüstungsproduktion?

Dazu fehlen Studien. Es gab 2021 eine für die Linksfraktion im EU-Parlament, die grob schätzte, dass der CO₂-Fußabdruck des Militärs aller 27 EU-Staaten bei 24,8 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr liegt. Die Datengrundlage für diese Studie war aber sehr dünn, denn es gibt keine Verpflichtung für die Rüstungsindustrie, ihre Emissionen zu dokumentieren. „Rüstungsindustrie“ ist übrigens nicht leicht zu definieren, weil es sogenannte Dual-Use-Güter gibt, die auch für zivile Zwecke eingesetzt werden.

Die Politikwissenschaftsprofessorin Neta Crawford hat mal für die USA Zahlen vorgelegt. Sie kam für 2017 zu dem Schluss, dass der Energieverbrauch der Industrie viel höher war als der des gesamten US-Militärs.

Welche Entwicklung ist da abzusehen, Stichwort Aufrüstung?

Eine katastrophale Entwicklung. Im Oktober 2023 veröffentlichte das Transnational Institute in Zusammenarbeit mit den Organisationen „Stop Wapenhandel“ aus den Niederlanden und „Tipping Point North South“ aus Großbritannien die Studie „Climate Crossfire“, mitherausgegeben von IPPNW Deutschland – das ist die Sektion der Internationalen Ärzt*innen zur Verhütung des Atomkriegs – und dem spanischen Centre Delàs. In der Studie geht es um das Ziel der Nato, die Rüstungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, und inwiefern das einen Beitrag zum Zusammenbruch des Weltklimas leistet. Damit wird eine Kriegsökonomie etabliert. Der Planet wird so ein Wettrüsten nicht überleben. Es bedeutet auch einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Ausgaben eines Staates, denn das Geld kann dann nicht zum Beispiel für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben werden. Das Zwei-Prozent-Ziel bedeutet eine Verschärfung der Klimakrise, dabei haben wir nicht viel Zeit zu ihrer Lösung.

Jacqueline Andres von der Informationsstelle Militarisierung. (Foto: Bürgerinitiative Offene Heide)

Im Juli dieses Jahres veröffentlichten die Organisationen eine Aktualisierung ihrer Studie. Darin weisen sie auch auf die Mahnung des Weltklimarats hin, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 um 43 Prozent zu reduzieren, um noch das 1,5-Grad-Limit einhalten zu können. Das würde laut der neuen Studie bedeuten, dass die Nato-Staaten ihre militärbedingten Emissionen um fünf Prozent senken müssen, doch allein 2023 stiegen sie um 15 Prozent an, und es ist kein Ende dieser Entwicklung in Sicht, ganz im Gegenteil. Allein die Erhöhung der Militärausgaben der Nato-Staaten um 126 Milliarden US-Dollar im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr verursachte zusätzliche Emissionen von etwa  31 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent – das entspricht laut der Studie den jährlichen Emissionen von etwa 6,7 Millionen Autos in den USA. Die Studie hebt auch hervor: Sollten tatsächlich zwei Drittel der Nato-Mitgliedsstaaten bis 2028 die anvisierten zwei Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für das Militär ausgeben – und nicht nur sechs Staaten, wie es 2021 der Fall war –, dann würden die militärischen Emissionen der Nato-Staaten die gesamten Treibhausgasemissionen von Russland übersteigen.

Welche Vorgaben gibt es denn für die Bundeswehr in Sachen Energieeinsparung oder CO₂-Einsparung?

Die Bundesregierung will bis 2030 die Klimaneutralität der gesamten Bundesverwaltung erreichen. Meiner Ansicht nach ist das unmöglich, wenn wir uns anschauen, was allein im Rahmen des Bundeswehr-Sondervermögens von 100 Milliarden Euro an neuen Kampfsystemen entwickelt werden soll, zum Beispiel das Future Combat Air System. Die Umsetzung würde jahrelang dauern. Solche Großprojekte sind nicht auf Klimaneutralität ausgelegt.

Die Bundeswehr ist Teil der Bundesverwaltung. Wie soll das gehen, dass sie bis 2030 klimaneutral wird?

Sie sagt ganz stolz, dass die CO₂-Emissionen in den Bereichen Mobilität und Liegenschaften schon reduziert wurden. Im Nachhaltigkeitsbericht für 2022 steht, sie habe einen Emissionsrückgang um 35 Prozent seit 2005 geschafft. Nicht dazugesagt wird da, dass die Truppe heute nur 181.000 Menschen umfasst. 2005 waren es über 250.000. Der Rückgang bei den Emissionen hat also prozentual dieselbe Größenordnung wie beim Personal.

Die Bundeswehr verweist auf weitere Punkte wie Photovoltaikanlagen in Kasernen, den verstärkten Einsatz von Simulatoren zum Beispiel bei der Pilotenausbildung sowie fast 600 elektrisch betriebene Pkw in ihrem Fuhrpark. Großgeräte können aber nicht elektrisch betrieben werden. Das war mal im Gespräch, aber die Batterien dafür wären viel zu groß und schwer. Ein Akku für einen Panzer würde fast sechs Tonnen wiegen, und mit Ladestationen in Einsatzgebieten ist es auch eher schwierig. Jetzt wird an synthetischen Kraftstoffen geforscht. Das Problem daran ist, dass die mit Strom hergestellt werden. So viel Ökostrom haben wir nicht. Die Bundeswehr sagt zudem selbst, dass die Infrastruktur zum Betanken – und damit die Verfügbarkeit eines mit synthetischem Kraftstoff betriebenen Flugzeugs – im Einsatz problematisch ist.

Im Nachhaltigkeitsbericht von 2022 wird das Projekt „Green Barracks“ hervorgehoben. Das besteht aus zehn Pilotprojekten, anscheinend in zehn Kasernen. In einem davon wird eine hundertprozentige Eigenversorgung durch Geothermie und Photovoltaik angestrebt, bei einem anderen geht es um die komplette Entkopplung von der Erdgasversorgung durch die Verwendung von Holzpellets und Wärmepumpen. Im Jahr 2022 klingt das für mich nach sehr wenig.

Ja. Ich stelle mir da die Frage: Wie viel von diesem Diskurs, „grün“ zu werden, den es auch in anderen Nato-Staaten gibt, kann überhaupt ernst gemeint sein? In Veröffentlichungen der Bundeswehr oder ihr nahen Institutionen – wie der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin – geht es auch darum, dass eine autarke Energieversorgung ein militärischer Vorteil sein kann. Kürzlich hat der EU-Ministerrat eine Studie mit dem Titel „Greening the armies“ veröffentlicht. In diesem Bericht steht: Wenn sich Gesellschaften wegbewegen von fossilen Energiequellen, dann kann das Militär nicht weiter von Diesel und Gas abhängig bleiben. Die dafür nötige Infrastruktur nur für einen Sektor der Gesellschaft aufrechtzuerhalten, wäre sehr teuer oder sogar unmöglich. Das Militär hat also ein militärisches und wirtschaftliches Interesse an Energiewendemaßnahmen.

Ich finde es aber wichtig, zu betonen: Das Militär ist mit das Umweltschädlichste, was es überhaupt geben kann, denn selbst wenn es irgendwann synthetische Kraftstoffe einsetzt, dann transportieren die Flugzeuge immer noch Waffen, die energieaufwändig hergestellt werden müssen und große Zerstörungen anrichten, und ein Wiederaufbau nach den Zerstörungen braucht ebenfalls viel Energie.

Dass die Bundeswehr ein Eigeninteresse an Energieautarkie in Einsatzgebieten hat, leuchtet ein. In Deutschland, wo das nicht so dringend nötig ist, wird anscheinend bisher kaum darauf geachtet. Wenn bis vor Kurzem nur ein paar Pilotprojekte angeschoben wurden, dann lässt das auf kein großes Interesse an der Energiewende schließen, oder?

Ja, ich stimme zu. Interessant im Nachhaltigkeitsbericht ist auch, was unter Mobilität abgehandelt wird: E-Autos, Ladeinfrastruktur, Dienstreisen, Dienstfahrräder und Jobtickets. Mich hätte da eher die Mobilität der Großgeräte interessiert, zu denen übrigens auch die Kriegsschiffe gehören. Dasselbe beim Punkt Beschaffung – da würde ich an Waffensysteme denken. Im Bericht geht es aber um Papier, Elektrogeräte, Möbel, Holzprodukte, Unterkunftstextilien und Bekleidung. Es ist bezeichnend, auf welche kleinen Aspekte da geschaut wird, ohne zu erheben, welche großen Emissionen durch die Bundeswehr verursacht werden. Es gibt sogar eine App, über die sich Bundeswehrangehörige darüber austauschen können, wie sie umweltfreundlicher leben können.

Die Informationsstelle Militarisierung hat zusammen mit den Naturfreunden schon 2016 eine Studie zu Greenwashing bei der Bundeswehr veröffentlicht. Worum ging es da?

Um den erwähnten angeblichen Artenschutz auf den Truppenübungsplätzen.

Schon 2007 hat der für globale Umweltveränderungen zuständige wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung empfohlen, Geld aus dem Militärhaushalt zu nehmen und in armen Ländern zu investieren, denn das sei eine bessere Sicherheitsmaßnahme, gerade auch wegen Konfliktgefahren, die mit der Erderhitzung einhergehen. Inwieweit hat sich die Regierung danach gerichtet oder das zumindest erörtert?

Das überrascht mich, dazu weiß ich nichts. Aber wir haben ja eine große Entwicklung hin zu Aufrüstung und Konfrontation, vor allem mit Russland und China. Ich gehe davon aus, dass seit 2007 kein Geld aus dem Militärhaushalt umgewidmet wurde. In den 2010er Jahren gab es Ertüchtigungsinitiativen und weitere Auslandseinsätze.

Gibt es überhaupt ein Land, wo das Militär besonders ökologisch ist?

Nicht, dass ich wüsste.

Klimaschutzbewegungen sind relativ stark. Inwieweit werden da Rüstung und Krieg thematisiert?

Es gibt einzelne Gruppen, die das angesprochen haben, zum Beispiel die Fridays-for-Future-Gruppe in Tübingen, wo unser Büro ist. Extinction Rebellion und Ende Gelände haben mal Veranstaltungen dazu gemacht, aber das waren auch Ortsgruppen, nicht die Bundesebene. Es gibt aber kleine Gruppen, wie das Tübinger Offene Antikapitalistische Klimatreffen, die Rüstung und Krieg immer wieder thematisieren, und es gibt einige, die versuchen, die Klimaschutzbewegungen und die Friedensbewegung enger zusammenzubringen. Ich bin zuversichtlich, dass das mehr werden wird, denn wer den Systemwandel will, wie zum Beispiel Ende Gelände, muss den Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Krieg und Klimakrise erkennen. Klimagerechtigkeit ist nur durch Frieden möglich und umgekehrt.

Interview: Ralf Hutter 

Jacqueline Andres ist Referentin für Militär und Klima sowie Mitglied des erweiterten Vorstands der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen. Sie hat einen Masterabschluss in Internationalen Beziehungen. Die IMI ist ein spendenfinanzierter antimilitaristischer Verein. Weitere Informationen: www.imi-online.de

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