Vom Holzacker zum Dauerwald

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 3

Wie Naturbeherrschung in den Wäldern scheitert und was dagegen möglich ist

Das Dauerwaldrevier Bärenthoren im Hohen Fläming wurde 1884 begründet. (Foto: Lienhard Schulz/​Wikimedia Commons)

Für die Gewinnung und Verhüttung von Eisenerz im sächsischen Bergbaurevier wuchsen im Frühkapitalismus der Holzverbrauch und Holzeinschlag immer weiter an. Das führte zum Niedergang der Wälder – und in der Folge zur Entwicklung des Nachhaltigkeitsgedankens. Nachhaltiges Wirtschaften in den Forsten und neue Formen des Umgangs mit der Natur waren nun gefragt.

Aber das Denken und Handeln der Herrscherhäuser, des waldbesitzenden Adels und der entscheidenden Forstleute in Verwaltung und Wissenschaft war weiterhin bestimmt von einem mechanistischen Leitbild der Naturbeherrschung, wonach der Mensch sich die Natur untertan zu machen habe. Grundlage für die Durchsetzung der Naturbeherrschung im Wald waren naturferne Forste mit Nadelholzbeständen derselben Art und Altersklasse, die bis heute als technologisch unverzichtbar angesehen werden.

Der Altersklassenwald und seine Probleme

Mit dem Übergang zum Industriekapitalismus nahm der Staatswerdungsprozess Preußens Gestalt an, der dann 1871 zum Deutschen Reich führte. Immer größere Holzmengen wurden gebraucht und immer mehr naturferne Altersklassenforste entstanden – und mit ihnen eine umfangreiche Forstverwaltung und Forstwissenschaft, die mit Macht- und fiskalischen Interessen des Staates verbunden war. Analog zur rationellen Landwirtschaft entstand der „Holzackerbau“ mit dem Kahlschlagprinzip für die Holzernte.

Mit den naturfernen Forsten nahmen deshalb Insektenschäden, Wind- und Schneebruch und andere Probleme zu. Forstleute und einzelne Wissenschaftler wiesen spätestens ab 1850 darauf hin. Der Münchner Waldbauprofessor Karl Gayer plädierte schon 1880 für einen gemischten Wald mit genügend Laubholz anstelle der einförmigen Reinbestände. Auch in Sachsen erhoben sich vor dem Ersten Weltkrieg Stimmen gegen die weit verbreitete Kahlschlag- und Nadelholz-Reinbestandswirtschaft.

Revolutionäre Dauerwald-Idee

Alfred Möllers revolutionäre Dauerwaldidee löste Anfang der 1920er Jahre eine bis heute beispiellose Debatte pro und kontra naturferne Forsten aus. Sie offenbarte den Gegensatz zwischen beharrenden und reformorientierten Forstleuten. Dauerwald heißt Waldwirtschaft mit der Natur statt gegen sie, schließt ungleichaltrige Wälder ein, ist Waldbau mit standortheimischen Baumarten, bedeutet Einzelstamm-bezogene Holzernte statt Kahlschlag.

Die Befürworter des naturfernen Altersklassenforstes setzten sich durch, aber die Debatten um eine naturgemäße Waldwirtschaft gingen weiter – und auch die praktischen Ansätze zur Realisierung, denen sich eine kleine Schar widmete. Die Dauerwald-Verfechter konnten auf Erfolge einzelner Privatwaldbesitzer verweisen, die in diesem Sinne praktisch tätig waren, etwa das Waldgut Sauen bei Fürstenwalde. Besonders umstritten war das Revier Bärenthoren im Fläming, wo der Dauerwald-Erfolg damals trotz mehrfacher Erhebungen weder schlüssig bewiesen noch widerlegt werden konnte.

Das ehemalige Möller-Institut in Eberswalde. (Foto: Ralf Roletschek/​Wikimedia Commons)

Im Nationalsozialismus entkernt

Im Nationalsozialismus wurde die Dauerwaldidee ideologisch und propagandistisch missbraucht. Die Waldarbeit in diesem Sinne war nur begrenzt erfolgreich, sie widersprach fundamental den Zielen der Kriegsvorbereitung – hoher Holzeinschlag im Rahmen der NS-Autarkiepolitik zur Rohstoffbeschaffung – sowie der Jagdpolitik Hermann Görings. Bereits ab 1937 war Dauerwald nur noch die Verpackung für eine naturferne Waldbewirtschaftung. Mit einer neuen Begriffsdefinition wurde Möllers Grundanliegen völlig verwässert.

Dauerwaldvertreter konnten aber die begonnene Arbeit in einer Reihe von Versuchsrevieren in den sächsischen Staatsforsten fortsetzen. Vier von ihnen wurden 1943 ihrer Ämter enthoben, weil sie sich nicht den Jagdinteressen des NS-Gauleiters beugen wollten. Willy Wobst wurde des Landes Sachsen verwiesen und Hermann Krutzsch musste bis zum Kriegsende in der Rüstungsindustrie arbeiten.

In Ost und West regiert der Altersklassenforst

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in ganz Deutschland die Linie der Naturbeherrschung in der Forstwirtschaft weiterverfolgt. Allerdings gelang es in Ostdeutschland dem Dauerwaldvertreter Krutzsch, unterstützt von Johannes Blanckmeister, Anton Heger und anderen, zwischen 1951 und 1961 den Weg einer „vorratspfleglichen Waldwirtschaft“ auf politischer Ebene durchzusetzen. Dieser Weg wurde dann aber wieder zugunsten naturferner Altersklassenbewirtschaftung verlassen. Der Waldbau wurde in der DDR über Jahre sogar industriemäßig intensiviert betrieben. Die damit einhergehenden Probleme wurden bis zum Beginn der achtziger Jahre immer deutlicher sichtbar. Kurskorrekturen begannen.

In Westdeutschland setzte sich von Beginn an die naturferne Altersklassenforstwirtschaft durch. Nach dem Ende der Teilung Deutschlands wurde dieser Weg gemeinsam weiter beschritten, bis die seit den Achtzigern anwachsenden Probleme unübersehbar wurden: Schadstoffeinträge, Sturmwürfe, Schädlingskalamitäten, zunehmende Hitze und Trockenheit. Weil die Produktionsgrundlage Wald in Gefahr geriet, wurde mit einem naturnäheren Umbau begonnen. Beispielsweise wurden Bestände mit Laubbäumen angereichert. Allerdings geschieht das bis heute viel zu langsam im Verhältnis zur Größenordnung der Probleme, die damit auch nicht hinreichend gelöst werden.

Ein konsequenter Neubeginn auf Grundlage der Dauerwaldidee wird nicht in Erwägung gezogen. Dabei wird durchaus wahrgenommen, dass der kleine Kreis der Dauerwaldvertreter mit ihrer Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) in der Praxis die Probleme besser meistert. Ungefähr 200 Betriebe wirtschaften auf Grundlage des Dauerwaldkonzepts. Es sind zumeist Privatwaldbetriebe, viele davon mit adligem Hintergrund.

Harte Arbeit im Wald

Von einst bis heute geht mit der Naturbeherrschung die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft einher. Erbärmliche Löhne und harte Arbeits- und Lebensbedingungen waren das Los der Holzfäller und Waldarbeiter, egal, ob sie in Staats- oder Privatwäldern arbeiteten. Erst im Zuge der erstarkenden Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung konnten gegen Ende des 19. Jahrhunderts etwas bessere Löhne und ein Versicherungsschutz errungen werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen Ost- und Westdeutschland getrennte Wege. In der DDR entstand eine staatlich gelenkte Planwirtschaft, in der der Staat in die Rolle des Produzenten trat und die Produktionsbedingungen diktierte und regelte. Sie war ineffektiv und scheiterte letztendlich, bedeutete aber eine breite soziale und materielle Absicherung für die arbeitende Bevölkerung. In der Bundesrepublik wurde der kapitalistische Entwicklungsweg fortgesetzt und wohlfahrtsstaatlich ausgebaut, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz. Nach dem Ende der Teilung und dem Abriss des Sozialstaats ist die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft auch für die im Wald Arbeitenden wieder in verschärften Formen zurückgekehrt. 

Lokal und regional wirtschaften mit Dauerwald

Wir müssen das mechanistische Weltbild durch ein neues Weltbild ablösen, das die Naturbeherrschung beendet. Und wir brauchen eine regional orientierte, solidarische Wirtschafts- und Lebensweise, die Arbeit, Soziales und Natur zusammenführt und die Ausbeutung der Ware Arbeitskraft aufhebt. Das wird ohne eine Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht gelingen.

Die bisher rein ökonomisch geprägten Beziehungen zwischen Mensch und Natur sind so zu verändern, dass die Erhaltung und Stärkung der Naturressourcen und des Naturhaushalts sowie der menschlichen Gesundheit und Arbeitskraft die gleiche Bedeutung wie die Ökonomie erhält. Die naturgemäße Waldwirtschaft mit Mischwald anhand des Dauerwaldkonzepts von Alfred Möller ist eine wesentliche Grundlage auf diesem Weg.

Detlef Bimboes 

Der Autor ist promovierter Biologe und Mitglied der Naturfreunde Berlin. Weitere Informationen: www.anw-brandenburg.de

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