Filmkritiken

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seiten 8, 21

„Ich bin dadurch aufgewacht“

Wie sich der automobile Konsens aufbrechen lässt, zeigt ein neuer Dokumentarfilm

„Wenn wir das Werk und eure Arbeitsplätze erhalten wollen, müssen wir jetzt umorientieren.“ Das ist die Botschaft der KlimaaktivistInnen des Wohnprojekts Amsel 44, das mitten in der von den Nazis gegründeten Autostadt Wolfsburg seit zwei Jahren für einen Weg aus der fossilen Gesellschaft wirbt.

Unterstützung fand die Gruppe bei VW-Beschäftigten wie Lars Hirsekorn, Michael Werner, Torsten Bleibaum oder Thorsten Donnermeier. Sie alle kommen in dem neuen Film „Verkehrswendestadt Wolfsburg“ zu Wort. In dem knapp einstündigen Streifen sehen wir Kurzinterviews mit unterschiedlichen Beteiligten an dem ungewöhnlichen Experiment.

„Ich habe immer gehofft, dass sich hier was tut“, bringt VW-Arbeiter Michael Werner seine Position im Film auf den Punkt. Er gehört wie die anderen interviewten KollegInnen natürlich zu einer Minderheit in der VW-Belegschaft. Aber sie sprechen aus einer sehr selbstbewussten Position, weil sie im Gegensatz zu denen im Werk, die den fossilen Status quo verteidigen, eine Alternative anzubieten haben.

Gestaltende Kraft statt Opfer der Energiewende

Das wird bei einer spektakulären Aktion deutlich, die im Film zu sehen ist. Die AktivistInnen besetzen einen Autozug und verhängen ihn mit einer Folie, auf dem eine Straßenbahn zu sehen ist. „Dann wurde eine Pressemitteilung verfasst, mit der Überschrift: Die erste Straßenbahn verlässt das VW-Werk Wolfsburg“, erzählt Klimaaktivist Tobi Rosswog. Von aufgeschlossenen VW-ArbeiterInnen wurde die Botschaft verstanden. „Ich bin dadurch aufgewacht“, sagt Torsten Donnermeier.

Es war die Erkenntnis, dass sie mit den gleichen Maschinen und ihrem Wissen auch Züge statt Autos produzieren können. „Wir sind als Beschäftigte dazu in der Lage, eine gesunde Mobilität aufzubauen“, so die Erkenntnis von Donnermeier – die auch für ein Wiederaneignen von Klassenbewusstsein steht: ArbeiterInnen sehen sich nicht als Opfer der Energiewende, sondern als Kraft, die eine gesellschaftlich progressive Entwicklung voranbringt.

Entscheidender erster Schritt

Dabei sind die als „Sozialpartner“ agierenden Gewerkschaftsführungen nicht immer Verbündete, sehr wohl aber die Basis. Donnermeier liest bei einer Kundgebung vor dem Wolfsburger IG-Metall-Haus eine Erklärung vor, in der die gemeinsamen Interessen zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung betont werden. Dort wird auf das Programm der IG Metall verwiesen, in dem die Forderung nach Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien steht. Diese Forderung wird auch von den KlimaaktivistInnen wieder aufgegriffen. Denn Vergesellschaftung ist der erste Schritt, um Bahnen statt Autos zu produzieren. Donnermeier betont, dass die Gesellschaft und die ArbeiterInnen über diese Produktion entscheiden sollen – und nicht AktionärInnen.

Die in Wien lehrende kritische Sozialwissenschaftlerin Nina Schlosser sieht in Wolfsburg ein Beispiel, wie ArbeiterInnen und Klimabewegung solidarisch zusammenarbeiten können. Der Film gibt dazu einen hoffnungsvollen Einblick.

Peter Nowak

Verkehrswendestadt Wolfsburg
Den automobilen Konsens aufbrechen
Regie: John Mio Mehnert
Dokumentarfilm, 56 min
Deutschland 2024

Kostenloser Download: www.labournet.tv (Verkehrswendestadt)

Aufführungen und weitere Informationen: film.verkehrswendestadt.de 


Mit Fakten, Zahlen, Logik und Recht

In der Dokumentation „Urgewald“ feiert eine Nichtregierungsorganisation sich selbst

Der US-Amerikaner Bruce Rich gehört zu den weltweit bekanntesten Umweltaktivisten. Am Anfang des Films sagt er, vielen Umweltbewegten reiche das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. „Doch das ist irrelevant“, fügt er sogleich hinzu, denn „niemanden interessiert, wie du dich fühlst“. Vielmehr gelte es der Welt zu zeigen, dass das, was man tut, effektiv ist und zu Verbesserungen führt. Rich war eine der wichtigsten Inspirationsfiguren für die deutsche Nichtregierungsorganisation „Urgewald“.

Urgewald gibt es seit 1992. Noch heute hat die Umweltorganisation ihren Hauptsitz in Sassenberg, in der Nähe von Münster. Gegründet wurde sie von der 1959 geborenen Heffa Schücking, die auch im Zentrum der Dokumentation von Karin und Peter Wejdling steht. Schücking, so wird erzählt, traf im September 1988 bei einer Gegenveranstaltung zur Jahreskonferenz von Weltbank und IWF in Berlin auf Rich, der ihr eine Art Crashkurs in erfolgsorientierten Umweltlobbyismus gab. Ein paar Jahre später gründete sie mit ein paar Freundinnen und Freunden am WG-Tisch in Sassenberg „Urgewald“. Man operierte schon bald auf globaler Ebene, radikal, aber gewaltfrei.

Von Sassenberg in die Welt

Urgewald machte schnell von sich reden. Zu den ersten Erfolgen zählte der vorübergehende Stopp des Narmada-Projekts in Indien, ein gigantischer Talsperren-Bau, der zu Vertreibungen vieler Ortsansässiger führte. Zusammen mit lokalen Gruppen schaffte es Urgewald immerhin, dass sich die Weltbank Anfang der 1990er Jahre aus dem Projekt zurückzog. Alok Agarwal von der Bewegung „Rettet die Narmada“ sagt im Film, dass dies mithilfe von „Fakten, Zahlen, Logik und Recht“ gelang.

Damit beschreibt er auch die Methode, die sich die deutsche Organisation seither zu eigen gemacht hat. Ob es anschließend um die Verhinderung des bulgarischen Kernkraftwerks im erdbebengefährdeten Belene oder um die Erstellung der Datenbank „Global Oil and Gas Exit List“ ging, der Urgewald-Erfolg beruht auf der Veröffentlichung verlässlicher Daten. 

„Die Urgewald-Geschichte ist von Anfang an die Geschichte starker Frauen.“ Dies schlage sich, so eine der Gründerinnen, auch im Führungsstil nieder, der bis heute weiblich geprägt und auch für Männer ein Vorteil sei, da es um Ergebnisse und nicht um Selbstdarstellung gehe.

Dem Kapitalismus ins Gewissen reden

Ein weiterer Erfolgsgrund liegt darin, dass Urgewald, anders als viele andere Ökobewegungen, den Kapitalismus verstanden hat und die internationalen Finanzströme konsequent nachverfolgt. „Wir zeigen, was das Geld wirklich tut“, heißt es an einer Stelle.

Gegen Ende hat man allerdings den Eindruck, dass man Investoren immer überzeugen kann, ihr Geld nicht in Waffen zu stecken, die sich gegen Natur und Menschen richten. 

Leider ist die Dokumentation im Ganzen doch nicht viel mehr als ein Image-Film mit Überlänge. Eine Dramaturgie gibt es nicht. Die Krisen, in die Urgewald hin und wieder geraten ist, werden nur am Rande erwähnt und schnell gelöst. Alles bleibt immer positiv und optimistisch. Deshalb muss Luisa Neubauer natürlich auch ihren Auftritt haben.

Dennoch ist der Film sehenswert. Nicht nur, weil man sich als Öko hin und wieder nach Erfolgsgeschichten sehnt, sondern auch, weil man lernt, dass es sich lohnt, mit einer „Pitbull-Terrier-Mentalität“ über Jahre an einem Projekt festzuhalten.

Johann Thun

Urgewald: Auf den Spuren des Geldes
Regie: Karin Wejdling, Peter Wejdling
Dokumentarfilm, 65 Minuten
Deutschland 2024

Aufführungen und weitere Informationen: www.wfilm.de/urgewald


Kleine Gärten, große Wirkung

Die Ausstellung „Stadt, Natur, Mensch“ zeigt Kleingärten von vielen, teils kaum bekannten Seiten

Die perfekte Kleingartenkolonie will gut geplant sein. (Foto: Anke Küttner)

Stadt und Natur, das ist für viele Menschen wohl ein Widerspruch. Dass es manchmal in der Stadt sehr viel wilder zugeht als auf dem Land, zeigt nicht zuletzt die Vielfalt der Insekten eindrucksvoll. Warum sie sich in einer Stadt wie Berlin sehr viel wohler fühlen und welche Rolle Gärten dabei spielen, können die Besucher*innen der Ausstellung „Stadt, Natur, Mensch: Kleine Gärten, große Wirkung“ beim Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands (BKD) anschaulich, interaktiv und lehrreich selber entdecken. Zur Eröffnung konnten sich davon Kleingärtner*innen und europäische Gäste ein Bild machen.

Wie schwer ist ein Kilo Fleisch?

Der Rundgang durch die Ausstellung beginnt im Asphaltdschungel und führt über verschiedene Stationen aus dem Lärm der Stadt heraus in die Natur und die Kleingärten. Kleine und große Besucher*innen lernen unterwegs mehr über Berlin und wie sich Stadt, Bevölkerung und Kleingärten entwickelt haben. Auf einem Hörstuhl kann man das Bodenleben nicht nur hören, sondern auch fühlen. Und so ein Kompost ist schon ziemlich cool, auch wenn es innen drin ziemlich heiß wird, was man mit der eigenen Hand erfühlen kann.

Auch auf der Erde wird es bekanntlich ziemlich heiß. Wie viel unsere Ernährung dazu beträgt, kann man beim Gewichtheben selber ausprobieren. Bekommen Sie ein Kilo Rindfleisch noch gehoben, wenn das ganze CO₂ dranhängt, das bei der Produktion verursacht wird? Die im Kleingarten sprießenden Tomaten oder Kartoffeln sind deutlich leichter zu heben – und ganz nebenbei tragen die Kleingärten mit ihren nährstoffreichen Böden auch noch zur Bindung von Kohlenstoff bei, der so nicht mehr als CO₂ in die Atmosphäre gelangt.

Immer wieder Aha-Momente

Die Arten- und Sortenvielfalt präsentiert sich in der Ausstellung genauso bunt wie im Kleingarten und in der Natur. Nebenbei erfährt man mehr über die Kleingärten in Deutschland und ihre Regeln. Spannend ist auch das Zusammenstellen einer Kleingartenkolonie in einer Art Puzzle. Über QR-Codes ermittelt ein System, ob die Kolonie den gesetzlichen Vorgaben entspricht und welche Schwerpunkte besonders vertreten sind. Am Ende der Ausstellung können sich die Besucher*innen persönliche Pflanzen-Empfehlungen für den eigenen Garten oder Balkon anhand der jeweiligen Standortbedingungen zusammenstellen und auf einem Kassenbon zum Mitnehmen ausdrucken. So kann das neu erworbene Wissen direkt angewandt werden.

Erarbeitet wurde die Ausstellung vom Bundesverband der Kleingartenvereine in Kooperation mit dem Berliner Gestaltungsbüro Rotes Pferd. Herausgekommen ist eine wundervoll kurzweilige, abwechslungsreiche, anschauliche und interaktive Ausstellung, die immer wieder für kleine Aha-Momente sorgt und ganz nebenbei viel Wissen vermittelt.

Anke Küttner 

Dauerausstellung „Stadt, Natur, Mensch“, Di/Do/Sa 11-17 Uhr, BKD-Bundeszentrum, Hermannstr. 186, Neukölln (U8 Leinestraße), Eintritt 6/2,50 Euro, www.stadt-natur-mensch.de 

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