Aus DER RABE RALF August/September 2024, Seite 1
Kleingärten schaffen gesellschaftlichen und ökologischen Ausgleich. Aber was, wenn es im Gartenverein schiefläuft?
Im Kleingarten von Werner Nauschütz blühen die Pflanzen in leuchtenden Farben, gelb, rosa, ein zartes Blau. Es ist ruhig. Ein paar Gänge weiter unterhalten sich zwei Kleingärtner am Gartenzaun, ein Hund bellt. Es könnte so idyllisch sein. Nauschütz zeigt auf ein paar Setzlinge an der Seite, junge Kürbis-Pflanzen. Eigentlich müssten die noch eingepflanzt werden. „Wie viel Zeit das in Anspruch nimmt, dabei will man was im Garten machen“, sagt er. „Ich bin gerade dabei zu sortieren.“ Und damit meint er nicht die Pflanzen.
Es gibt viel zu sortieren. Denn unter den Laubenpiepern in Pankow ist es unruhig geworden. Seitdem der Bezirksverband der Gartenfreunde Pankow im vergangenen Jahr Insolvenz angemeldet hat. Seitdem laut Medienberichten gegen Mitglieder des ehemaligen Vorstands strafrechtlich ermittelt wird. Seitdem an den Gartenzäunen vor allem über einen Straftatbestand besonders häufig diskutiert wird: Verdacht der Untreue.
Ein großes Loch in der Kasse
Werner Nauschütz ist 82 Jahre alt, gelernter Lebensmittelchemiker, Rentner, Kleingärtner. Irgendwann in den 1970er Jahren, Nauschütz war Student, hatte er einen Krimi gelesen. Die Ermittler waren dem Mörder über eine Analyse des Mageninhalts des Toten auf die Spur gekommen: Trüffelsporen. Nauschütz fand das interessant. So sehr, dass er 1974 Pilzsachverständiger im damaligen Gesundheitswesen für Hygienekontrollen wurde. Nun könnte man meinen: Werner Nauschütz mag gute Krimis. Aber das, was sich da neuerdings im Kleingartenverein abspielt, gefällt ihm gar nicht. „Wir sind alle belogen worden“, sagt Nauschütz.
Was war passiert? Laut einem vorläufigen Bericht des Insolvenzverwalters aus dem vergangenen Oktober sollen Pachtgelder der Kleingärtner nicht an die Grundstückseigentümer weitergeleitet worden sein. Es sollen außerdem Familienmitglieder im Bezirksverband eingestellt worden sein. Zudem sollen hohe Gehälter gezahlt worden sein, allein im Jahr 2021 sollen diese 982.000 Euro betragen haben. Insolvenzverwalter Torsten Martini lehnte ein Gespräch mit Verweis auf das laufende Insolvenzverfahren ab.
Fest steht, dass es ein großes Loch in den Kassen gibt. „Die Insolvenz des Bezirksverbands der Gartenfreunde Pankow e.V. kam zustande durch zu hohe Ausgaben und zu wenig Kontrolle“, sagt Marion Kwart vom Landesverband Berlin der Gartenfreunde. „In Pankow hat offensichtlich auch erhebliche kriminelle Energie gegen unzureichende Kontrollmechanismen gesiegt.“ Der Bezirksverband hat sich auf Anfrage des Raben Ralf nicht zu den Ursachen der Insolvenz geäußert. Auf seiner Website teilte der Verein in einer allgemeinen Stellungnahme unter anderem mit: „Im Mai 2024 hat der Insolvenzverwalter begonnen, die mehr als 200 Gläubigerforderungen, die angemeldet wurden, zu überprüfen. Das bedeutet, dass ermittelt wird, ob die finanziellen Forderungen berechtigt sind.“ Es gehe um einen mittleren sechsstelligen Betrag.
Kleingärtner- und andere Interessen
Nur wenige hundert Meter von Werner Nauschütz entfernt bewirtschaftet Axel Quandt seine grüne Oase. Für ihn beginnt der Tag mit einer schönen Entdeckung. „Ich habe heute Morgen einen Maikäfer gesehen, das ist selten“, sagt Quandt. Gute Neuigkeiten – in letzter Zeit keine Selbstverständlichkeit für ihn. „Vor etwa sieben Jahren fiel mir auf, dass der Vorsitzende meines Vereins oft Positionen vertreten hat, die ganz klar Eigentümer-Positionen sind“, erzählt Quandt. „Dabei zeigten sich Widersprüche zu Kleingärtner-Interessen und da hatte ich das Gefühl, da stimmt was nicht.“
Er berichtet von seinen Recherchen, bei denen er von einer Firma für Maklertätigkeit bei der Datschenvermittlung erfahren habe. Die Firma sei unter der gleichen Anschrift wie der Bezirksverband gegründet worden. „Das ist an sich nicht strafbar, aber ein Interessengegensatz“, sagt Quandt. Im Jahr 2021 habe er erstmals Strafanzeige gestellt wegen des Verdachts der Untreue, doch das Verfahren sei eingestellt worden. Quandt habe weiter recherchiert. „Lange Zeit war ich damit allein“, sagt er.
Seine Recherchen füllen inzwischen 19 Leitz-Ordner. Dokumentieren liege ihm, sagt der pensionierte Verwaltungsbeamte und Seminardozent. Quandt veröffentlichte die Ergebnisse in seinem Internet-Journal „Liebesgrüße vom Gartenzwerg“. Er habe anonyme Drohungen, auch Morddrohungen erhalten, ihm sei auch mehrmals mit Klage gedroht worden. Angst davor, verklagt zu werden, habe er nicht. „Ich war jahrelang ehrenamtlicher Arbeitsrichter und ehrenamtlicher Sozialrichter, der Gerichtssaal ist ein Ort der Wahrheitsfindung“, sagt Quandt. Und: „Ja, verklagen Sie mich doch.“
In seinen Garten hat er einen Gartenzwerg an den Galgen gehängt, ein bisschen schwarzer Humor gehört wohl dazu. „Die Journalisten lieben ihn“, sagt Quandt. Letzte Woche sei die Berliner Zeitung hier gewesen. Aber auch Journalisten von Stern Crime, von der Berliner Morgenpost und vom Berliner Rundfunk waren schon zu Gast in seinem Garten. „Es gab auch Journalisten, die wollten einen eigenen Gartenzwerg mitbringen und hier für das Foto aufstellen“, sagt der 64-Jährige.
Nicht der einzige Fall
Die Insolvenz des Bezirksverbands der Gartenfreunde Pankow ist ebenso komplex wie tragisch. Allein die strafrechtlichen Ermittlungen sind umfangreich. Sebastian Büchner, Pressesprecher der Berliner Strafverfolgungsbehörden, teilte auf Anfrage mit, dass das Verfahren seit dem 26. September bei der Staatsanwaltschaft geführt werde. In der Folgezeit seien noch 19 weitere Anzeigen erstattet worden. „Zwölf Personen wurden zunächst als Beschuldigte geführt“, so Büchner. Gegen neun der Beschuldigten wurde das Verfahren dem Sprecher zufolge bereits eingestellt, weil sich entweder der ursprünglich noch vorhandene Anfangsverdacht nicht bestätigt hat oder aber von vornherein ein zur Aufnahme von Ermittlungen berechtigender Anfangsverdacht nicht bestand. „Insofern wird nunmehr noch gegen drei Personen ermittelt“, so Büchner. Ermittelt werde wegen des Verdachts der Untreue.
Der Bezirksverband ist nicht der einzige Fall im Kleingartenwesen, in dem wegen des Verdachts der Untreue ermittelt wird. So wurde etwa gegen eine 48-Jährige in ihrer Funktion als Schatzmeisterin eines Kleingartenvereins in Blankenburg Anklage wegen Untreue in 230 Fällen erhoben. Lisa Jani, Sprecherin der Berliner Strafgerichte, teilte auf Anfrage mit, dass die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zugelassen worden sei. „Die Staatsanwaltschaft geht von einem Schaden von rund 295.000 Euro aus“, so die Sprecherin. Die Hauptverhandlung soll am 16. September stattfinden.
Aber es geht nicht nur um eine strafrechtliche Aufarbeitung der Insolvenz. „Sie brauchen für das Kleingartenwesen immer auch politische Unterstützung“, sagt Axel Quandt. „Kleingärten sind gleichbedeutend mit Wählerstimmen.“ Kleingärten befinden sich im Spannungsfeld zwischen allgemeinem Wohnraumbedarf, wirtschaftlichen Interessen privater Investoren, berechtigten Kleingärtnerinteressen und wichtigen ökologischen Funktionen der Grünflächen. Es geht dabei immer auch um die Frage nach der Nutzung von öffentlichem Raum.
Gut für Mensch und Natur
„Der Mensch braucht ein Fleckchen Erde, wo er was machen kann“, sagt Jan Drewitz, Bezirksverordneter der Grünen und Mitglied im Pankower Kleingarten-Beirat. „Im Kleingarten treffen die verschiedenen sozialen Milieus aufeinander, der Handwerker auf den Schulrat, und er ermöglicht auch eine gesellschaftliche Verständigung.“ Die ursprüngliche Funktion von Kleingärten, Nahrung anzubauen und sich selbst zu versorgen, dürfte heute keine große Rolle mehr spielen. Aber die geringen Pachtbeiträge erlauben es auch Menschen mit niedrigem Einkommen, ihr kleines Stück Land zu bekommen.
„Kleingärten erfüllen als grüne Oasen in Berlin wichtige städtebauliche, soziale und ökologische Funktionen und steigern somit die Lebensqualität der Berliner Stadtbevölkerung“, sagt Petra Nelken, Sprecherin der Senatsumweltverwaltung. Sie stellten wirksame ökologische Verbindungen und klimatische Ausgleichsräume in Berlin dar. Darauf weist ebenso Jan Drewitz hin: „Kleingärten sind auch aus ökologischer Sicht Kaltluftschneisen, sie ermöglichen eine Belüftung der Stadt, wenn in der Stadt schon eine Bullenhitze herrscht und sich die Temperaturen mit dem Klimawandel weiter aufheizen.“
Den Pächtern jedenfalls liegt viel an ihren Gärten. Nicht wenige bewirtschaften ihre Parzelle schon seit Jahrzehnten, haben Zeit, Geld und Mühe in Pflege und Erhaltung investiert. Werner Nauschütz hat seinen Garten 1968 übernommen. Während des Gesprächs klingelt sein Telefon. Ein Gartenfreund. Gerade ist ein neuer Artikel in der Berliner Zeitung erschienen, man unterhält sich kurz, tauscht den Link aus. Nauschütz hat schon so einige Schreiben aufgesetzt. An den Insolvenzverwalter, an die Staatsanwaltschaft, an den Bezirksverband, an den Vorstand seiner Kleingartenanlage. Sie seien unbeantwortet geblieben.
Jemand muss es machen
Die Ereignisse bewegen viele Pächter. Manch einer würde sich mit Fragen melden, erzählt Axel Quandt. „Viele kommen zu mir, ich könnte hier eine Drehtür in meinem Garteneingang einbauen.“ Er plädiert für mehr Informationsrechte für die Kleingärtner gegenüber den Kleingartenvereinen, auch außerhalb der Mitgliederversammlungen. Und für den Einsatz von externen Wirtschaftsprüfungen. „Es geht darum, dass eine Förderung und ein Schutz des Kleingartenwesens auch Korruptionsbekämpfung erforderlich macht, im Interesse der Mehrheit der Anständigen“, sagt Quandt.
Gleichzeitig mangelt es auch an Ehrenamtlichen. „Wenn der Vorstand hinschmeißt, wer macht es dann?“, fragt Nauschütz. „Es finden sich kaum Leute, die bereit sind, sich kritisch und ehrenamtlich den gesellschaftlichen und gemeinnützigen Aufgaben des Kleingartenwesens zu widmen.“ Gerade Funktionen wie der Vorstand erfordern auch Wissen über vereinsrechtliche Grundlagen. „Eine gute Vorstandsarbeit muss über viele Jahre geübt werden“, sagt Drewitz. „Meistens sind das Leute, die im Grunde nur eines wollen: einfach gärtnern.“
Einfach nur gärtnern. Wie das funktionieren kann? Nauschütz sagt: „Es fehlt an Konsequenz und Einsicht der Kleingärtner, dass es so nicht weitergehen kann. Es müssen saubere Verhältnisse geschaffen werden.“
Sandra Diekhoff