Klimaalarm: „Unser Haus brennt!“

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 15

Fossil-mobilistische Wachstumsdiktatur oder Klimanotstand? Eine notwendige Debatte

Durchschnittliche Abweichung der Erdtemperatur im Jahr 2023 gegenüber dem 30-Jahres-Mittel 1991-2020. (Grafik: C3S/ECMWF)

Politik und Gesellschaft hätten immer noch kein Bewusstsein für die Dimensionen des Klimawandels, warnte Tobias Fuchs, Klimachef des Deutschen Wetterdienstes, im vergangenen Jahr. Dramatischen Entwicklungen beim Klima steht ein schwindendes gesellschaftliches Bewusstsein über den Ernst der Lage gegenüber. Eine von rechts und von immer mehr Medien angetriebene Migrationsdebatte drängt das Überlebensthema Klimakatastrophe jetzt noch weiter in den Hintergrund.

„Unser Haus brennt“, brachte Greta Thunberg die Situation vor fünf Jahren auf den Punkt, und die passende Reaktion darauf ist nun einmal: Feueralarm geben und löschen! Es sei denn, man hält andere Dinge für wichtiger, zum Beispiel Profit oder Macht.

Es ist absurd zu sehen, wie Klimakrise und Klimaschutz zunehmend verdrängt und beschwiegen werden. Unübersehbar ist, dass bei diesem Thema eine mediale (Selbst-)Zensur stattfindet und keine ernsthafte Debatte. Die „unbequeme Wahrheit“ wird unterdrückt.

Parallelen zu Corona und ihre Grenzen

Im Artikel „Der Klimanotstand kommt so oder so“ (Rabe Ralf April 2024, S. 10) hatte ich versucht, die Notwendigkeit einer Klimanotlagen-Erklärung zu begründen: „Es muss immer wieder gesagt werden: Die Zuspitzung der Klima- und Umweltkrise erfordert ein sofortiges verbindliches Umsteuern. Ganz konkret ginge es um die Ausrufung des ‚Klimanotstands‘ als Rechtsform, um rechtliche und finanzielle Veränderungen und Verbindlichkeiten, die einer solchen Notlage angemessen sind. Hier kann man Parallelen zum Corona-Notstand ziehen.“

Diese Zeilen waren die Kernaussage und hatten einen kritischen Leserbrief von Etienne Quiel aus Berlin zur Folge (August 2024, S. 30). Der Bezug auf den Corona-Notstand löste bei ihm einiges an negativen Erinnerungen und eine gewisse Besorgnis aus, neben einer gut begründeten und nachvollziehbaren Kritik am Agieren von Politik und Medien in der Corona-Zeit, die ich vollkommen teile.

Der Bezug auf den Corona-Notstand sollte eigentlich nur verdeutlichen, dass ein unverbindlicher „Goodwill-Klimanotstand“ nicht ausreicht, sondern die Eindämmung der Klimakatastrophe rechtlich und finanziell den Vorrang einer Notlage erhalten muss, in der wir uns ja unübersehbar befinden. Was zur Eindämmung der Pandemie ja problemlos möglich war, wo hunderte Milliarden Euro in die Hand genommen wurden – ein gigantisches Konjunkturprogramm. Übrigens habe ich damals hier auch Kritisches zur Corona-Politik geschrieben (August 2020, S. 6).

Schwierig am Brief von Etienne Quiel finde ich den letzten Teil, wo Angst und Panik als störend für ein lebenswertes Miteinander bezeichnet werden und ein jahrzehntelanger Notstand nicht denkbar erscheint. Das Problem ist doch aber, dass wir gerade die letzte Chance verspielen, einen permanenten Chaos-Notstand noch zu vermeiden. Ob der Wandel „per design“ oder „per disaster“ kommt, ist laut dem Soziologen Harald Welzer die Frage für die letzte Generation, die das noch in der Hand hat.

„Wir sind wirklich in einer Art Notsituation“ 

Greta Thunberg hatte vollkommen recht, als sie sagte: „Ich will, dass ihr in Panik geratet.“ Es geht darum, zu begreifen, dass es wirklich brennt. Die Hoffnung, dass es schon irgendwie gut gehen wird, ist absolut unbegründet. Bald werden wir es mit nicht mehr beeinflussbaren Entwicklungen zu tun haben.

„Das Allerwichtigste ist, die Dringlichkeit zu verstehen und zu vermitteln. Wir sind wirklich in einer Art Notsituation“, sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, 2022 im Interview mit einem Wissenschaftsportal der Helmholtz-Gemeinschaft. „So muss man argumentieren, denn aus der Klima- und Erdsystemforschung kriegen wir ja leider mitgeteilt, dass die Situation sich noch dramatischer darstellt, als wir das noch vor wenigen Jahren dachten“, erläuterte Messner, „weil die neuen Studien zeigen: Schon um die zwei Grad, möglicherweise schon ab 1,5 Grad, kommen wir in einen Bereich, wo einige Kipppunkte unwiederbringlich überschritten werden könnten – und zwar mit einer hohen Wahrscheinlichkeit.“

Im vorigen Jahr sind vier Prozent der kanadischen Wälder in Flammen aufgegangen und damit von einer CO₂-Senke sozusagen zum viertgrößten Emittenten der Welt geworden, nach China und den USA und gleichauf mit Indien. Dieses Jahr erlebte der Amazonas-Regenwald nach einer Superdürre so starke Brände wie noch nie und ist nach Einschätzung vieler Wissenschaftler bereits zur CO₂-Quelle geworden. Das Mittelmeer ist mittlerweile regelmäßig fünf Grad zu warm, setzt ebenfalls CO₂ frei und seine feuchtwarme Luft führt zu Starkregen bis in die Alpen und darüber hinaus. 

Wachstumsfetischismus jetzt auch in Grün

Wie noch jede Regierung macht auch die Ampel Politik im Interesse großer Konzerne und Kapitalgesellschaften. Fossile Energie, fossiler Verkehr und Wirtschaftswachstum werden weiter subventioniert. Im Autoland Deutschland gilt: „Die Würde des Autos ist unantastbar“, obwohl statistisch jeden Tag im Straßenverkehr etwa acht Menschen zu Tode kommen und tausend verletzt werden.

Die derzeitige Klima- und Verkehrspolitik ist rechtswidrig, gefährdet millionenfach Gesundheit und Leben und zerstört die Lebensgrundlagen. Selbst einfache und naheliegende Schutzmaßnahmen, für die es eine breite Unterstützung in der Bevölkerung gibt, werden nicht ergriffen, wie Tempolimit, Abschaffung von Subventionen für fossile Energien und fossilen Verkehr, kostenloser ÖPNV, preiswerter Bahnverkehr.

Geltendes internationales und nationales Recht wird trotz der eskalierenden Klimakatastrophe, in der wir uns befinden, immer noch nicht umgesetzt. Gerichtsbeschlüsse werden ignoriert, demokratische Rechte außer Kraft gesetzt. Leben wir noch in einem Rechtsstaat, leben wir noch in einer Demokratie? Hier sind äußerst gefährliche Entwicklungen im Gange.

Starke ökonomische, finanzielle und machtbezogene Interessen, für die Wirtschaftswachstum zentral und unantastbar ist, stehen der nötigen sozial-ökologischen Transformation entgegen. Zahlreiche Autoren haben das analysiert und kritisiert. Der Konzernkritiker Thilo Bode spricht vom „industriell-politischen Komplex“, die Energieökonomin Claudia Kemfert von einem „fossilen Imperium“. Es ist nicht übertrieben, von einer fossil-mobilistischen, inzwischen auch (oliv)grünen Wachstumsdiktatur zu reden, die ihre in Jahrzehnten ausgebauten Machtpositionen nicht freiwillig räumen wird.

Die erste Aufgabe eines Klimanotstands, getragen von einem breiten Bündnis aus Wissenschaft, Umwelt- und Klimabewegung, von Kirchen und Gewerkschaften wäre interessanterweise, das geltende Recht zum Klimaschutz und zum Schutz der Lebensgrundlagen durchzusetzen.

Jürgen Tallig

Weitere Informationen:
www.oekologische-plattform.de/tarantel-nr-91
www.grueneliga-berlin.de/juergen-tallig

Karikatur: Eylou, www.islieb.de (CC by-nc-nd 4.0)

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