Des Kolonialismus neue Kleider

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 8

Von überheblichen Straßennamen, geraubter Kunst und dem goldenen Magier

Nach langer Debatte wurde 2022 die Lüderitzstraße umbenannt. (Foto: Mathias Pilotek/​Wikimedia Commons)

Kolonialismus? Der ist doch längst Geschichte! Das ist lange her, lernen wir in der Schule, und das leider meist noch immer aus einem ziemlich überheblichen, weißen und unkritischen Blickwinkel. Die Realität sieht anders aus. Überall in Deutschland lassen sich noch heute die Spuren des Kolonialismus entdecken, in den Namen von Straßen, Plätzen und Vierteln.

Zähe Aufarbeitung im Afrikanischen Viertel

In Berlin ist das zum Beispiel die Mohrenstraße – oder das Afrikanische Viertel. Als das Stadtviertel im Berliner Wedding vor über hundert Jahren in Planung war und seine Straßen und Plätze nach den damaligen deutschen Kolonien benannt wurden, war ausdrücklich das Ziel, die deutsche Kolonialherrschaft im Denken der Menschen zu verankern. Ursprünglich wollte der Zoo-Betreiber Hagenbeck hier nicht nur einen Zoo einrichten, sondern vor allem eine sogenannte Völkerschau mit Menschen aus den unterworfenen Ländern. Diese menschenverachtenden Pläne wurden nicht durch Proteste verhindert, sondern durch den Ersten Weltkrieg – durch den dann die Kolonien „verlorengingen“.

Einige Straßen und Plätze sind auch nach Kolonialisatoren benannt worden. Die Umbenennung dieser Orte erfolgte erst in den letzten zehn Jahren und wurde bei Weitem nicht so gut aufgenommen, wie es sein sollte. Mit langen, kräftezehrenden Streitereien verbunden war zum Beispiel die Neubenennung der Petersallee, die seit 2018 Maji-Maji-Allee und Anna-Mungunda-Allee heißt. Auch weitere Umbenennungen sind nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. So ist die Lüderitzstraße jetzt nach Cornelius Fredericks benannt, einem Anführer des Aufstands der Herero und Nama im südwestlichen Afrika, der mit dem ersten deutschen Völkermord endete.

Bei der Mohrenstraße im Berliner Regierungsviertel zieht es sich noch. Nicht zuletzt auch, weil leider noch viele Menschen einer Umbenennung ablehnend oder gleichgültig gegenüberstehen und nicht verstehen können, warum die Geschichte überhaupt aufgearbeitet werden muss.

Geraubt, archiviert und „vergessen“

Ein zweites sichtbares Beispiel sind geraubte und erschlichene Objekte aus Kunst und Geschichte, die in den Museen Europas und Nordamerikas präsentiert werden. Für die Aufarbeitung der Kolonialzeit ist es entscheidend, sich damit auseinanderzusetzen. Die Herkunftsländer fordern schon lange die Rückgabe der unbezahlbaren Kunstwerke, die ihnen von den Kolonialmächten genommen wurden. Einige Museen sind dabei, diesen lange überfälligen Prozess zu starten und weiterzubringen, andere sind nach wie vor nicht bereit, ihre eigene Rolle bei deutschen Kolonialverbrechen aufzuarbeiten.

Als Begründung wird nicht selten genannt, dass die Menschen in den Herkunftsländern sich gar nicht richtig um diese Objekte kümmern könnten. Daraus sprechen meist nur Überheblichkeit, Bevormundung und mangelndes Unrechtsbewusstsein. Wie achtlos und brutal bei der „Beschaffung“ mit den Menschen und Objekten umgegangen wurde, wird unter den Teppich gekehrt. Zurückgebliebene Füße von Statuen sind nicht selten Zeugen davon. Zu bezweifeln ist auch der behauptete Wert der Objekte, wenn diese selbst nach mehr als hundert Jahren noch unausgepackt in Kisten liegen oder in Schränken von modrigen Museumskatakomben ein kaum beachtetes Dasein fristen.

Die berühmten Benin-Bronzen haben solch eine Geschichte. Mit ihrem Raub wurde mehr genommen als bloße Objekte. Sie waren in ihrer ursprünglichen Anordnung auch ein kollektives Gedächtnis, ein Buch, das die Geschichte des Königreichs Benin erzählte (Rabe Ralf Juni 2020, S. 16).

Andere sorgen sich vor „Beutezügen“ durch die Museen und lassen komplett außer Acht, dass das, was zurückgegeben werden muss, gar nicht ihnen gehört und ohnehin nur ein Bruchteil in den öffentlich zugänglichen Ausstellungen gezeigt wird – und dass so manche der eigentlichen Besitzer durchaus offen für Leihgaben der Objekte sind. So, wie es bei den Benin-Bronzen, zumindest denen im Berliner Humboldt-Forum, nun der Fall ist. Dieser Teil der gestohlenen Bronzen gehört nun offiziell Nigeria, auf dessen Staatsgebiet das ehemalige Königreich Benin lag.

Im vergangenen Jahr gab der Bundespräsident auch öffentlichkeitswirksam zwei Masken an die indigenen Kogi in Kolumbien zurück und sprach vom deutschen Vorbild bei dem Prozess der Rückgabe und des Umdenkens. Gleichzeitig ist auf der Website des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum zu lesen, dass sich in der Südamerikasammlung unter anderem „die Schrumpfköpfe der Shuar (Jívaro-Indianer)“ befinden. Die Shuar hatten bis zur „Rückgabe“ zweier Tsantsas, so die eigentliche Bezeichnung, in den 1970er Jahren keine mehr in ihrem Besitz. Das Ende der Kolonialzeit und des kolonialen Denkens ist also noch lange nicht erreicht.

Endloser Abschied vom Kolonialwarenladen

Das formal-rechtliche Ende der gesamten Kolonialzeit ist im Übrigen gar nicht so lange her, wie man vielleicht denkt. Erst vor 30 Jahren erklärte Palau im Pazifik als letzte Kolonie seine Unabhängigkeit von den USA. Wer jetzt denkt: „Klar, die Amis“ oder vielleicht auch an das Britische Empire erinnert, sollte bedenken: Deutschland hat nur aus einem Grund seit über hundert Jahren keine Kolonien mehr: Im Versailler Vertrag von 1919 musste es alle seine Kolonien an die Siegermächte des Ersten Weltkriegs abgeben.

Auch wenn die Kolonialzeit im deutschen Gedächtnis also weit zurückliegt, ist sie an vielen Stellen noch sichtbar – nicht nur in Straßennamen und Museen. Auch im täglichen Leben war sie noch lange gegenwärtig, zum Beispiel auf Kassenzetteln mit der Abkürzung Kolo, was für Kolonialwaren stand, teilweise noch bis zur Jahrtausendwende. Ebenso spät und nur bedingt erfolgreich wurden Bezeichnungen für Lebensmittel geändert: Schoko- und Schaumküsse lösten rassistische Bezeichnungen ab, und im Süßigkeitenregal wurde aus einem prominent platzierten Mohr vor zehn Jahren im neuen Branding ein goldener „Magier der Sinne“, auch wenn es schwerfällt, die Figuren zu unterscheiden.

Kolonialwarenläden gab es auch noch sehr viel länger, als Deutschland Kolonien hatte. Und wir alle kommen wahrscheinlich regelmäßig an einem Laden vorbei, dessen aus dem Jahr 1898 stammender Name die Geschichte noch versteckt in sich trägt: „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin“ – kurz E. d. K. Der heutige Name des Ladens ist sicher nicht schwer zu erraten.

Anke Küttner


Grafik: Anke Küttner; Bilder: Amphaiwan/Balabolka (adobe.stock.com)

Kreativwettbewerb läuft bis Ende Oktober

Hier ebenfalls nochmal die Einladung, an unserem Kreativwettbewerb „Leela und Co. retten die Eine Welt“ teilzunehmen. Auch unter kulturellem Blickwinkel können und müssen wir die Eine Welt retten. Was würde eine Rückgabe von Raubkunst in die Herkunftsländer bedeuten, was, wenn wir Entschädigungen für die geraubten Kulturgüter zahlen würden oder zumindest eine Leihgebühr? Was könnten die Menschen mit dem Geld anfangen und ändern?

Ideen oder Träume zu dieser und zu jeder anderen Idee zur Rettung der Einen Welt sind gesucht und erlaubt, egal wie verrückt oder realisierbar. Es darf gedichtet, getextet, gesungen, gezeichnet, gefilmt … werden. Einsendeschluss ist der 31. Oktober 2024. Zu gewinnen gibt es tolle Preispakete mit Gutscheinen und Sachpreisen von Werkhaus, Avocadostore, Gebana und dem Gerstenberg Verlag.

Anke Küttner

Weitere Informationen: leelalinst.grueneliga-berlin.de

Das Projekt „Eine Welt vor der Linse“ wird durch Engagement Global mit Mitteln des Bundesentwicklungsministeriums gefördert.

Zur Ausgaben-Übersicht


Copyright © 2009 - 2025 GRÜNE LIGA Berlin e.V. Landesverband Berlin - Netzwerk Ökologischer Bewegungen - Alle Rechte vorbehalten.