Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 12
Vom Schutz kritischer Infrastruktur zu Kriegsvorbereitungen in Bund, Ländern und Gemeinden
Die Bundesregierung versteht den Schutz kritischer Infrastrukturen bereits seit Ende der 1990er Jahre als Kernaufgabe. Angetrieben wurden die Arbeiten durch Computerprobleme beim Übergang von 1999 auf das Jahr 2000, den verheerenden Anschlag auf das World Trade Center in New York im Jahr 2001 sowie die Jahrhundertflut an der Elbe 2002 mit Kosten von fast 12 Milliarden Euro.
Die verschiedenen Handlungsfelder zum Schutz kritischer Infrastrukturen wurden dann von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD im Jahr 2009 zur bislang gültigen Strategie des Bundes zusammengeführt. Diese sogenannte Kritis-Strategie formuliert das Ziel, „gravierende Störungen und Ausfälle von wichtigen Infrastrukturleistungen“ möglichst vorbeugend zu vermeiden und, falls das nicht möglich ist, die Folgen möglichst zu minimieren. Im Zuge internationaler Zusammenarbeit auf diesem Feld wurde damals bereits die Nato eingebunden.
Ernährung, Wasser, Verkehr, Abfall
Unter „kritische Infrastrukturen“ fallen Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Abwasser, Abfall, Energie, Transport und Verkehr, Informationstechnik und Telekommunikation. Bei ihrem Schutz kommt der Zusammenarbeit zwischen Behörden und den größtenteils privatwirtschaftlich organisierten Infrastruktur-Betreibern besondere Bedeutung zu. Beim Schutz kritischer Infrastrukturen ist von einem breiten Gefahrenspektrum auszugehen. So kann der Ausfall nur einer kritischen Infrastruktur große gesamtwirtschaftliche und gesamtgesellschaftliche Auswirkungen haben. In der Kritis-Strategie wird deshalb von einem All-Gefahren-Ansatz gesprochen: Einzelne, gefahrenspezifische Maßnahmen sollen sich in ein übergreifendes Schutzkonzept einfügen.
Inzwischen fand die Kritis-Strategie ihre Erweiterung durch die „EU-Richtlinie über die Resilienz kritischer Einrichtungen“, kurz CER-Richtlinie. Die Ende 2022 verabschiedete Richtlinie wird derzeit durch das sogenannte Kritis-Dachgesetz in bundesdeutsches Recht umgesetzt. In dem bereits im Entwurf vorliegenden Gesetz werden laut Bundesinnenministerium „erstmals kritische Infrastrukturen auf Bundesebene identifiziert und Mindeststandards für den physischen Schutz für Betreiber kritischer Infrastrukturen festgelegt. Bisher gab es solche Bundesregelungen nur für die IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen.“ Damit wird es in absehbarer Zukunft eine gesamtstaatlich angelegte strategische Handlungsgrundlage geben.
Ergänzt wird die Kritis-Strategie durch das Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz (ZSKG) aus dem Jahr 1997, zuletzt geändert 2020, mit dem der Bund „die Länder im Rahmen seiner Zuständigkeiten beim Schutz kritischer Infrastrukturen“ berät und unterstützt. Dabei stellt die 2016 beschlossene „Konzeption Zivile Verteidigung“ (KZV) der Bundesregierung „jene Gefahren in den Mittelpunkt, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten auftreten können. Die Notfallvorsorge im Rahmen der zivilen Verteidigung baut dabei auf dem fortlaufenden Schutz Kritischer Infrastrukturen auf.“
Schutz kritischer Infrastrukturen im Wandel
In hochindustrialisierten Staaten ist der Schutz kritischer Infrastrukturen notwendig. Sei es, um großräumige Überflutungen rasch zu bewältigen, die Trinkwasserversorgung im Klimawandel sicherzustellen, die Auswirkungen schwerer Industrieunglücke in dicht besiedelten Gebieten so gering wie möglich zu halten oder den Ausfall großer Strom- und Telekommunikationsnetze – etwa bei einem Zusammenbruch durch Netzstörungen inklusive Cyber-Angriffen – möglichst schnell zu beheben.
Inzwischen vermischt sich der notwendige Schutz kritischer Infrastrukturen zunehmend mit Aufgaben zur Vorbereitung auf künftige Kriege. In diese Aufgaben sind auch die Bundesländer und Kommunen eingebunden. Insgesamt wird so der Boden für eine gesamtgesellschaftlich angelegte Militarisierung bereitet – und für ein autoritäres Staatswesen.
Von einem ist auszugehen: Im Krisen- oder Kriegsfall wird die Verquickung von militärischer und ziviler Schutzplanung zu Ungunsten der Zivilbevölkerung ausgehen. Soweit erforderlich, wird der Schutz der Zivilbevölkerung militärischen Erfordernissen untergeordnet. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Brücken vermint und gesprengt werden müssen oder ein Krankenhaus zugunsten des Militärs zu räumen ist. Dabei lassen sich zentrale Einrichtungen – etwa Talsperren, die zur Wasserversorgung, zur Energiegewinnung und zum Hochwasserschutz nötig sind – auch durch eine noch so ausgefeilte zivil-militärische Zusammenarbeit nicht gegen eine Zerstörung durch feindliche Explosivwaffen sichern. So würde die Zerstörung der Dämme der zehn größten Stauseen in Deutschland zu katastrophalen Folgen für Zivilbevölkerung, Wirtschaft und Energieversorgung führen.
Für eine friedliche Zukunft
Welche Möglichkeiten gibt es, sich einer solchen Militarisierung, Aufrüstung und immer engeren zivil-militärischen Zusammenarbeit entgegenzustellen? Dazu einige Anregungen.
Das von der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag vereinbarte und derzeit in Arbeit befindliche, mit hohen Kosten verbundene Gesundheitssicherstellungsgesetz ist abzulehnen. Mit dem Gesetz sollen unter anderem „die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sichergestellt“ werden. Dabei geht es auch um den Einsatz und die Verteilung von medizinischem Personal im Krisenfall. Die mangelnde Bevorratung ist aber das Ergebnis einer jahrzehntelangen verfehlten Gesundheits- und Arzneimittelpolitik. Dafür braucht es kein Gesundheitssicherstellungsgesetz, sondern eine am Gemeinwohl orientierte Gesundheits- und Arzneimittelversorgung. Für die große Mehrheit der gesetzlich Versicherten hat hier der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 2023 richtungsweisende Vorschläge unterbreitet.
Zivile öffentliche und private Einrichtungen des Gesundheitswesens – ob stationär oder ambulant – dürfen nicht für Vorbereitungen auf kommende Kriege vereinnahmt werden. Militärische Sicherheitsthemen gehören nicht in die zivile medizinische Ausbildung. Zusätzliche, zweckgebundene Landesgelder für das Rote Kreuz, damit für den Kriegsfall notwendige medizinische Mittel, Materialien und Ausrüstungen vorgehalten und eingelagert werden können, sind abzulehnen.
Die Finanzierung des Katastrophenschutzes in den Ländern darf nicht über die notwendige Vorsorge etwa für Großschäden wie Brände, Unwetter oder Industriehavarien hinausgehen. Das heißt: keine Finanzierung von Bunkerbauten oder Notfallreserven für Lebensmittel, keine Teilnahme an Kriegsvorbereitungen wie Übungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden und den dafür zuständigen Behörden einschließlich Ausbildung und Rekrutierung von Fachpersonal.
Raumplanung nicht militarisieren
Beim Infrastrukturausbau darf es keine Ausrichtung des großräumigen Landesplanungsrechts (Raumordnungsrecht) und regional und lokal raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen auf Kriegsvorbereitung geben. Dazu zählen der Ausbau von Wasserwegen, Häfen, Straßen, Autobahnen, Brücken oder Schienenwegen sowie die Ausweisung oder Erweiterung von Flächen für Munitions- und Rüstungsbetriebe, für neue Kasernenanlagen, Logistikareale oder Schießplätze.
Übrigens weist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) darauf hin, dass nach dem 2008 neu gefassten Raumordnungsgesetz „dem Schutz kritischer Infrastrukturen … Rechnung zu tragen“ ist. Dies bedeute, „bei Abwägungs- und Ermessensentscheidungen auch Belange des Schutzes kritischer Infrastrukturen im Kontext raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen zu berücksichtigen“. Die Raumordnung sei demnach angehalten, sich am Schutz kritischer Infrastrukturen zu beteiligen. Soweit sich dieser Schutz auf militärisch bedeutsame Infrastrukturen richtet, ist auch dies abzulehnen.
Detlef Bimboes
Der Autor ist Mitglied der Naturfreunde Berlin. Sein Beitrag erschien zuerst beim Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (ISW)