„Ich kann nur beschimpfen, was ich sehr mag“

Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 23

Zur Schmähung der Hauptstadt ist jeder qualifiziert, meint Björn Kuhligk, der darüber ein Buch geschrieben hat

Liebt seine Frau, mag Berlin: Björn Kuhligk. (Foto: privat)

Björn Kuhligk ist Dichter, Fotograf und Berliner. Die Reihenfolge ist eigentlich egal, da sich bei ihm alles überschneidet. Er hat in diesem Jahr im Verlag Favoritenpresse die sanfte Polemik „Berlin-Beschimpfung“ und den Fotobildband „Schönefeld“ veröffentlicht. Der Rabe Ralf sprach mit Kuhligk über böse Busfahrer, den durchpürierten Prenzlauer Berg und den Himmel über Brandenburg.

Der Rabe Ralf: Herr Kuhligk, dürfen nur echte Berliner über Berlin schimpfen?

Björn Kuhligk: Nein, ach was, alle dürfen. Berlin kann das aushalten.

Wann haben Sie sich das letzte Mal über Berlin aufgeregt und was war der Anlass?

Da ich nur noch Fahrrad fahre, war das sicherlich irgendein Mensch in seinem Auto, der unachtsam fuhr. Naiv gesehen: Warum sitzen Menschen allein in einem so großen Kasten und fahren damit durch die Stadt? Das ist völliger Unsinn und schädlich ist es auch.

Christian Morgenstern, lyrischer Schöpfer des Raben Ralf und gebürtiger Münchner, dichtete kurz und bündig über seine Wahlheimat Berlin: „Wie ich dich hasse / und alle, die in dir hausen, / diese kompakte Masse / elender Banausen.“ Wie finden Sie das?

Ich musste lachen. Das ist doch gut auf den Punkt gebracht.

Ihr Buch ist sehr erfolgreich, Sie haben offenbar einen Nerv getroffen. Ist Ihnen auf Ihren Lesereisen durch Deutschland schon eine Stadt begegnet, die Sie mit sich mit ähnlicher Liebe zu beschimpfen vorstellen könnten?

Ich kann nur ausgiebig und leidenschaftlich beschimpfen, was ich sehr mag und womit ich verbunden bin – und das ist Berlin.

Für Heinrich Heine war Patriotismus eine Krankheit, an der er aber manchmal auch ganz gerne litt. Wie siehts mit dem Regionalpatriotismus aus? Kann man eine Stadt wirklich lieben?

Ich liebe meine Frau und meine Kinder. Berlin mag ich ganz gerne.

Alle Welt schimpft über die Berliner Taxifahrer, dabei sind die Berliner Busfahrer doch viel schlimmer. Erst letzte Woche habe ich gesehen, wie einer absichtlich vor einer heraneilenden Oma mit Gehhilfe davonfuhr. Wie sollte ein Berliner auf so was reagieren?

Die Oma trösten, bisschen mit ihr quatschen, mit ihr auf den nächsten Bus warten, wenn die Oma das alles überhaupt will. Der nächste Bus kommt immer. Berliner Busfahrer:innen sind auch nur Menschen und ich mag ihre Renitenz. Müsste ich den ganzen Tag mit einem Bus durch Berlin fahren, würde ich irgendwann durchdrehen.

Über das Berliner Umland schreiben Sie, dass es „offiziell Brandenburg heißt“ und als Bundesland „in seiner Gesamtheit ungefähr so aufregend wie ein Quadratkilometer Beton ist“. Kommt da die Hauptstadt-Arroganz durch? Warum ist Berlin besser als Brandenburg?

Das finde ich gar nicht. Brandenburg hat mehr Himmel – schon deshalb ist es besser. Da Berlin von Brandenburg umgeben ist, gibt es schlichtweg auch nichts anderes. Ich bin gerne und oft dort. Läge Berlin dort, wo München liegt, wäre das Umland schön.

In Ihrem Buch tauchen weder Schwaben noch der „Schrippe oder Brötchen“-Streit auf. Sind das nur noch Aufreger für berlinernde Zugezogene?

Ja, völlig egal.

Der Rabe Ralf wurde zwar in Friedrichshain gegründet, ist aber schnell zum Kind des Prenzlauer Bergs geworden. Dieser Kiez war früher aufregend und subversiv, heute gilt er als spießig und durchgentrifiziert. In Ihrem Buch wird der Prenzlberg kaum erwähnt. Ist es hier so langweilig, dass man den Ort nicht mal mehr beschimpfen will?

Ich konnte mich nicht mit jedem Bezirk einzeln beschäftigen, es sollte ein Rundumschlag gegen und für Berlin sein. Und ich finde nicht, dass der Prenzlauer Berg als gentrifiziert gilt. Er ist es. Das ist doch ein völlig durchpürierter Stadtteil. Der wurde einmal zerlegt und dann wieder anders zusammengesetzt. In den neunziger Jahren war ich hier abends und nachts viel unterwegs und habe also daran erfolgreich mitgearbeitet.

Sie werden trotzdem auf dem Adventsökomarkt der Grünen Liga Berlin am Kollwitzplatz aus Ihrem Buch lesen. Welches Publikum erwarten Sie?

Ein großes und neugieriges, das nach der Lesung – in jeder Hand eine Berlin-Beschimpfung – glücklich und zufrieden zum nächsten Glühwein oder Kinderpunsch geht.

Der französische Anthropologe Marc Augé hat den Begriff „Nicht-Ort“ geprägt. Damit meint er seelenlose, monofunktional genutzte Flächen wie Flughäfen. Sie haben einen Bildband über Schönefeld gemacht. Ist das so ein Ort?

Nein, es ist eine Gemeinde, die aus sechs Ortsteilen besteht. An dieser Arbeit hat mich die rasante Entwicklung der Einwohnerzahl interessiert und wie alte dörfliche und landwirtschaftliche Strukturen auf die Infrastruktur des Flughafens prallen. Es gibt an diesen Orten monofunktional genutzte Flächen – so wie überall, wo viele Menschen sind.

Mein Lieblingsfoto aus dem Bildband ist der Misthaufen mit der Deutschlandfahne. Gibt es eine Geschichte dazu?

Ich brauchte drei Jahre für diese Fotoarbeit, die in der Favoritenpresse als Buch erschien. Dafür umrundete ich die Ortsteile von außen, lief also über Wiesen und Äcker, und entdeckte dann irgendwann dieses Kleinod. Bisher kannte ich noch keinen Misthaufen, auf dem eine Deutschlandfahne gehisst worden war. Das musste ich abbilden, daran konnte ich nicht vorbei.

Bernard Charbonneau – wir porträtierten den radikalen Ökologen im Oktober 2021 – sprach vom „großen Wandel“, dem blinden Befolgen des technokapitalistischen Fortschritts, der zwangsläufig in einer vollständig zubetonierten Zukunft endet. Gibt es in Berlin noch genug Gegenkräfte?

Ich weiß es nicht, ich hoffe es. Es ist enorm wichtig, dagegenzuhalten, stehenzubleiben und das Gleiche immer wieder zu sagen.

Stichwort: Tempelhofer Feld. Sie schreiben, dass trotz Volksentscheid „in fröhlicher Gleichmäßigkeit immer wieder ein paar Hirnis auf die Idee einer Rand- oder Ganzbebauung kommen“. Wird die „Smart City“ vielleicht irgendwann doch über den störrischen Eigensinn der Berliner triumphieren?

Ich denke, dass eine Veränderung des Feldes diese demokratische Entscheidung unterlaufen und auch die Demokratie an sich beschädigen würde. Und das von Parteien, die die Demokratie in ihrem Namen tragen. Störrischer Eigensinn hilft da wohl nicht weiter, eher Teilhabe, Einmischung, Engagement, Öffentlichkeit.

Ich weiß nicht, was zum Beispiel der FDP-Politiker Sebastian Czaja, der das Feld eine „Brachfläche“ nannte, in seinem Vorgarten hat, wenn er denn einen hat. Vielleicht wird der gewinnbringend als Parkplatz oder Campingplatz vermietet. Kartoffelanbau macht er wohl eher nicht. Schon klar. Wäre ich eine Kartoffel, dann würde ich mich auch weigern, bei solchen Leuten groß zu werden.

Vielen Dank.

Das Gespräch führte Johann Thun.

Björn Kuhligk liest am 15. Dezember um 16 Uhr auf dem Adventsökomarkt der Grünen Liga Berlin am Kollwitzplatz aus seiner „Berlin-Beschimpfung“.

Weitere Informationen:
www.kuhligk.com
www.favoritenpresse.de


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