Mehr regionales Bio in Berliner Kantinen?

Aus DER RABE RALF Dezember 2019/Januar 2020, Seite 10

Ein millionenschwerer öffentlicher Auftrag geht an ein privates Unternehmen

Kantine der Gegenwart. (Foto: Hans Braxmeier/​Pixabay)

Die Gemeinschaftsverpflegung in Berlin soll gesünder und umweltverträglicher werden, so war es bereits 2016 im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbart worden: „Die Koalition wird den Anteil an Bio-Essen in Kindertagesstätten, Schulen, Kantinen, Mensen und beim Catering in öffentlichen Einrichtungen bis 2021 deutlich erhöhen“, heißt es dort. „Um Wahlfreiheit zu gewährleisten, sollen in Kantinen vegane, vegetarische und fleischhaltige Mahlzeiten angeboten werden.“

Ebenfalls vereinbart war eine Berliner Ernährungsstrategie. Die zuständige Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung entwickelte in einem Beteiligungsprozess einen Aktionsplan zur Einrichtung von „LebensMittelPunkten“. Vorbild ist das „House of Food“ in Kopenhagen, ein Beratungs- und Kompetenzzentrum für Gemeinschaftsverpflegung. Die Lebensmittelpunkte sollen „offen zugängliche Orte“ sein, „an denen Lebensmittel sowohl von privaten Akteurinnen und Akteuren als auch von Kleinstunternehmen gelagert, weiterverarbeitet, gehandelt oder gemeinsam verarbeitet werden können“.

Der Senat beauftragte den Dortmunder Ernährungsexperten Philipp Stierand, der im Mai 2018 eine Studie vorlegte: „Zentrum für gute Gemeinschaftsverpflegung: Analyse des Ist-Zustandes in Berlin“. Der Senat veröffentlichte die Studie allerdings nur in einer gekürzten Fassung, ohne die darauf aufbauenden und ebenfalls von Stierand verfassten „Handlungsempfehlungen für die Umsetzung des ‚House of Food‘ in Berlin“. Im Februar 2019 schrieb der Senat im Rahmen eines Konzeptverfahrens die Förderung für ein entsprechendes Projekt aus.

Alles in einer Hand?

Den Zuschlag erhielt im September Philipp Stierand mit seiner im Frühjahr 2019 gegründeten Speiseräume Lab Forschungs- und Beratungsgesellschaft mbH mit Sitz in Dortmund. Stierand betreibt im Internet den Blog Speiseräume und war bisher Leiter der Weiling-Akademie, einer Fortbildungseinrichtung des gleichnamigen Biogroßhändlers.

Der Berliner Ernährungsrat, ein zivilgesellschaftliches Bündnis, hatte sich ebenfalls um das Projekt beworben, allerdings mit dem Hinweis, dies stehe „ausdrücklich nicht in Konkurrenz zu anderen möglichen Bewerbern aus dem Berliner und Brandenburger Netzwerk“. Er lud andere Bewerber ein, sich zusammenzutun und das Vorhaben gemeinsam umzusetzen. Unterstützt wurde seine Bewerbung unter anderem vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), vom Bündnis Junge Landwirtschaft, von der Deutschen Umwelthilfe und der WandelWoche. Der Ernährungsrat wurde 2016 gegründet, initiiert von den Nichtregierungsorganisationen Inkota-Netzwerk und Slow Food Berlin. Bei der Gründungsveranstaltung im Zentrum für Kunst und Urbanistik (ZK/U) saß auch Philipp Stierand auf dem Podium, der sich für Ernährungsräte engagiert und in seinem Blog darüber berichtet.

An der Ausschreibung kritisierte der Ernährungsrat unter anderem, dass ein privater Betreiber gesucht würde. Er schlug stattdessen vor, „ein landeseigenes Unternehmen oder eine Stiftung zu gründen“ und dauerhaft zu finanzieren, um im Interesse einer Ernährungswende die im Projekt erworbenen Kompetenzen langfristig zu erhalten. Allerdings schied der Ernährungsrat bereits nach der ersten Runde des mehrstufigen Ausschreibungsverfahrens aus und wurde nicht einmal zur Angebotsabgabe aufgefordert.

Ein Name, der erschreckt

In den Diskussionen um das Projekt war es „House of Food“ genannt und mit HoF abgekürzt worden. Das nun vergebene Projekt soll „Kantine Zukunft Berlin“ heißen, ein Logo wurde bereits erstellt. Dafür gibt es keine Abkürzung, die ausgesprochen werden könnte, ohne zu erschrecken. Auf einer Pressekonferenz am 30. September gab Justizsenator Dirk Behrendt persönlich den Gewinner der Ausschreibung bekannt mit dem Kommentar: „Sie sehen einen glücklichen Senator.“ Die Abteilungsleiterin für Verbraucherschutz, Claudia Schmid, antwortete auf die Frage, wer sich denn den Namen ausgedacht habe und ob das Problem mit der unmöglichen Abkürzung nicht erkannt worden sei, eine Agentur habe den Namen vorgeschlagen, man sei sich des Problems bewusst gewesen, habe sich jedoch trotzdem für „Kantine Zukunft“ entschieden, weil es doch ein zukunftsweisendes Projekt sein solle.

In diesem Jahr soll Stierand bereits 350.000 Euro Fördermittel erhalten, in den nächsten beiden Jahren jeweils 1,2 Millionen Euro. Als Standort hatte der Ernährungsrat den ehemaligen Flughafen Tempelhof vorgeschlagen. Dort gebe es „einen Gebäudetrakt mit fünf Küchen und mehreren Speiseräumen“. Interesse haben auch die Betreiber der Markthalle Neun in der Kreuzberger Eisenbahnstraße angemeldet. Auf ihrer Website bezeichnen sie sich schon jetzt als Lebensmittelpunkt. Das Architekturbüro Stark und Stilb hat bereits einen Vorschlag erarbeitet, wonach die Räume des Aldi in der Markthalle abgerissen werden sollen, um dort ein neues zweigeschossiges Gebäude zu errichten, in dessen Obergeschoss das dort noch als „House of Food“ bezeichnete Projekt einziehen könnte.

Die Markthallenbetreiber haben dem Aldi gekündigt, darum gibt es seit Monaten Streit mit der Nachbarschaft. Er ist die einzige Einkaufsmöglichkeit in der Markthalle für Leute mit wenig Geld. (Rabe Ralf August 2019, S. 15). Auf einer Protestkundgebung im September hatte Andreas Wildfang von der lokalen Initiative Kiezmarkthalle den Betreibern vorgeworfen, es gehe ihnen nicht um gutes Essen, sondern ihnen stehe das Wasser finanziell bis zum Hals, darum würden sie nun auf das „House of Food“ als neue Einnahmequelle hoffen. Auf Nachfrage sagte er: „Ich frage mich, ob die Leidenschaft, mit der die Grünen versuchen, das House of Food in der Markthalle unterzubringen, vielleicht mit der wirtschaftlichen Schieflage eines ihrer Lieblingsprojekte Markthalle Neun in Verbindung steht. Wenn das so wäre, dann wäre das ein faustdicker Skandal, weil man Gelder aus öffentlichen Aufträgen dazu nutzen würde, einen Günstling verdeckt zu subventionieren.“

Die überschuldete Markthalle Neun retten?

Der Faktencheck ergibt: Die Eigentümerin der Immobilie, die „Markthalle Neun Verwaltungs UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG“ hängt wirklich tief in den roten Zahlen. Die Bilanz der Kommanditgesellschaft weist für Ende 2018 eine Überschuldung um mehr als eine halbe Million Euro aus. Überschuldung bedeutet, die Verbindlichkeiten sind höher als das Vermögen einer Gesellschaft.

Vorerst soll die Kantine Zukunft als Pionierprojekt im Haus der Statistik am Alexanderplatz unterkommen. Ein dauerhafter Standort wird noch gesucht und muss von der Senatsverwaltung genehmigt werden. Stierand hat mehrfach mit der Markthalle Neun zusammengearbeitet und diese als möglichen Standort benannt. Sein stellvertretender Projektleiter Patrick Wodny ist, ebenso wie die Markthalle, Mitglied von „Die Gemeinschaft“, einem Zusammenschluss von Herstellern und Edelrestaurants wie Horváth oder Nobelhart & Schmutzig, wo ein Essen 100 Euro kostet. Mit der ursprünglichen Idee des „House of Food“ passt das nicht zusammen, darum kritisieren sowohl der Ernährungsrat als auch die Initiative Kiezmarkthalle die Vergabe des Projekts an Stierand.

Elisabeth Voß


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