Milchtrinken ist Naturschutz

Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 5

Wer sich mit Milch- und Fleischprodukten aus Weidehaltung ernährt, schützt Biodiversität und Klima

Ziegenherde auf einer artenreichen Weide. (Fotos: Gereon Janzing)

Wer ein wenig über Ökologie gehört hat, weiß, dass Grünland artenreicher als Äcker ist und dass extensives Grünland wertvolle Ökosysteme bietet. Wenn Milchkühe oder Milchziegen auf der Weide sind, pflegen sie diese Ökosysteme. Das können sie nur, wenn ihre Produkte nachgefragt werden. Wer bunte Blumenwiesen mit Schmetterlingen und Wildbienen sehen möchte, steht vor der Wahl, entweder Grünlandprodukte zu kaufen oder zu fordern, dass die Menschen die Arbeit gratis erledigen. Letzteres ist anmaßend.

Dabei geht es nicht um beliebige Milch und ihre Produkte. Nicht alle Milchtiere haben Weidegang. Nicht jedes Grünland ist extensiv.

Störfaktor Praxis

Im Internet wird Milch heute oft schlechtgeredet. Daneben gibt es eine reale Welt, die anders aussieht, wo Kühe nicht „dauerschwanger“ gehalten werden und keine Klimamonster sind, wo Milch trotz gewisser Gegenanzeigen nicht stereotyp ungesund ist. Hier merkt man schnell, wer die Welt nur aus dem Internet kennt und wer aus der Fachliteratur und von eigener Hände Arbeit (Rabe Ralf April 2023, S. 18).

Ich habe während des Studiums einige Jahre eine praktische Naturschutzgruppe geleitet und erforsche Weideökosysteme, bin auch Autor eines Buches, das die Weidewirtschaft in ökologische und kulturhistorische Zusammenhänge stellt und zu einer bewussten Ernährung unter Berücksichtigung der Biodiversität aufruft (Rabe Ralf Februar 2024, S. 27). Gerade komme ich von einem internationalen Symposium über Hirtenwesen und Biodiversität. Es gab dort viel Kompetenz aus unterschiedlichen Bereichen, viel Liebe zu Natur und Tieren. Als Beispiel für spezielles Fachwissen sei eine Teilnehmerin genannt, die in Spanien an Dupontlerchen forscht. Diese Vogelart ist auf Insekten spezialisiert, die im Kot der Weidetiere leben, sogenannte Koprophagen.

Bei dem Symposium wurde beklagt, dass die Naturschutz- und Umweltbewegung heute von weltfremden Theoretikern dominiert sei, die sich zu gut vorkommen für die Kommunikation mit jenen, die die Natur aus dem Alltag kennen. Wer die Realität als Störfaktor empfindet, lernt nicht gern von Menschen, die sich den Herausforderungen der Realität stellen wollen oder müssen.

Gute Nachrichten waren, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2026 zum Jahr des Weidelandes und des Hirtenwesens erklärt haben und dass die Unesco die Wanderweidewirtschaft (Transhumanz), zu der auch die Wanderschafhaltung gehört, als Weltkulturerbe anerkannt hat.

Raupe eines Wolfsmilchschwärmers an Zypressen-Wolfsmilch auf einer Weide.

Butter oder Margarine?

Viele geben heute Rindern und anderen Wiederkäuern eine Mitschuld am Klimawandel. Das ist bequem, wenn man sein Konsumverhalten in Bezug auf Autofahren, Fliegen oder Produkte mit langen Transportwegen nicht hinterfragen will. Dabei sollten eigentlich alle Anita Idels Buch „Die Kuh ist kein Klimakiller“ kennen, das den Vorurteilen gegenüber Wiederkäuern tierfreundliche und industriekritische Fakten entgegenhält (Rabe Ralf Dezember 2016, S. 3).

Insbesondere Butter wird oft auf grobe Art als klimaschädlich dargestellt. Die industriellen Lebensmittelhersteller verbreiten schon länger, dass Butter gesundheitsschädlich sei. Da informierte Menschen heute nicht mehr glauben, Cholesterin in der Butter mache krank, muss nun ersatzweise der Klimawandel herhalten, um Butter schlechtzumachen. Die Argumentationsweise lässt erkennen, dass hier Schreibtischgelehrte am Werk sind, die nichts von den systemischen Interdependenzen innerhalb der Nahrungserzeugung wissen und Butter einfach aus jedem Zusammenhang der Agrarproduktion herausreißen und als isoliertes Produkt betrachten. Ausführlicher habe ich das vor einiger Zeit auf meiner Website in der Rubrik „Urbane Legenden zur Ökologie“ analysiert.

Margarine ist ökologisch und auch im Hinblick aufs Tierwohl fragwürdig. Oft enthält sie Palmöl, für das Urwälder in Südostasien abgeholzt werden, was neben Orang-Utans auch viele weniger bekannte Tiere an den Rand des Aussterbens bringt. Ansonsten enthält sie oft Sojaöl. Dessen Konsum führt dazu, dass die Pressrückstände (Sojaextraktionsschrot) an Schweine in engen Ställen verfüttert werden. Wer Sojaöl konsumiert, unterstützt also indirekt fragwürdige Tierhaltungsbedingungen.

Margarine hat – ähnlich wie Laborfleisch – aus interessierter Sicht den Vorteil, dass sie zentralisiert hergestellt wird und es erleichtert, Menschen in ökonomischer Abhängigkeit zu halten. Margarine ist ein ideales Produkt für die Agrarindustrie. Tierfreunde entscheiden sich nach Möglichkeit für Butter von Weidetieren und damit auch für Wildbienen auf Grünland. Doch in der Konsum- und Wegwerfgesellschaft sind viele entfremdet von den Tieren und können sich nicht vorstellen, dass es sinnvoll ist, ökologische Tierhaltung zu unterstützen, weil die Tiere nur leben, wenn wir die Produkte nachfragen.

Die Industrie mag Ersatzprodukte

Heute gibt es Milchimitate, die keinen ökologischen Mehrwert schaffen. In der EU und der Schweiz dürfen sie nicht die Bezeichnung „Milch“ tragen, während zum Beispiel in Island Hafergetränke als „Hafermilch“ verkauft werden. Solche Getränke werden auch deswegen immer mehr beworben, weil sie dank ihrer billigen Herstellung eine höhere Gewinnmarge abwerfen als Milch. Die Lebensmittelindustrie hat eine finanzstarke Lobby, das Hirtenwesen nicht, und so wird uns gesagt, wie tier- und umweltfreundlich die Ersatzprodukte seien. Dieselben Unternehmen, die an Tierprodukten aus fragwürdigen Haltungsbedingungen verdienen, machen auch zunehmend Gewinne mit Ersatzprodukten.

Das alles gilt nicht nur für Milch und Käse, sondern auch für Fleisch. Wer an Ökologie interessiert ist, weiß, dass Lammfleisch aus Wanderschafhaltung unterstützenswert ist. Auf einer Schafweide im Südschweizer Kanton Wallis, die ich auch selbst kenne, wurden zu Forschungszwecken Teilstücke eingezäunt und aus der Beweidung herausgenommen. Die Biodiversität nahm dort dramatisch ab. Artenreiches Grünland unterstützt auch die Generalisten unter den Bestäuberinsekten wie Hummeln und Honigbienen, sodass es zur Bestäubung der Obstbäume beiträgt.

Das in Jahrhunderten engagierter Arbeit entstandene genetische Potenzial der Extensivrassen bleibt nur erhalten, wenn die Produkte nachgefragt werden. Wer züchtet, weiß es: Wer eine Rasse bewahren will, muss sie essen. Die heutige Stammtischweisheit, Fleisch sei klimaschädlich, gehört nicht in ernsthafte Debatten. Auch die ideologische Trennlinie zwischen Pflanzenproduktion und Nutztierhaltung sollte am Stammtisch bleiben, denn in der Praxis sind beide Zweige sehr stark miteinander verwoben. Das ist besonders in der biologischen Landwirtschaft so. Die Trennung nutzt nur der industrialisierten Landwirtschaft.

Klimafreundlich heißt naturnah und lokal

Klimaschädlich ist das Essen umso mehr, je industrieller die Herstellung ist und je mehr es energieaufwendig gelagert und transportiert worden ist. Wenn wir Natur und Klima schützen wollen, sollten wir uns auf naturnahe Produkte zurückbesinnen: Gemüse, Beeren, frische Weidemilch, Fleisch aus kleinbäuerlicher Weidewirtschaft, alles möglichst lokal.

Für alle, die aufgrund einer Lehre wie Vegetarismus oder Makrobiotik Weideprodukte zurückweisen, bekenne ich: Auch ich habe ein vegetarisches Ego. Aber als verantwortungsbewusster Mensch kann ich nicht immer nur an mich denken.

Gereon Janzing 

Weitere Informationen: www.mitfreudeselbermachen.info/oekologie

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