Grüner Spartakus

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 13

Der 1945 ermordete Paul Robien war Vogelkundler und Naturrevolutionär

Paul Robien (1882-1945). (Foto: R. Finkbein/​Pommersches Landesmuseum Greifswald)

Die zu Stettin (Szczecin) gehörende Insel Mönne (Sadlińskie Łąki) liegt da, wo die Ostoder in den Dammschen See mündet. Sie ist nur wenige Quadratkilometer groß und von Menschen unbewohnt. Das war nicht immer so. Von 1922 bis 1945 lebte hier der Ornithologe Paul Robien mit seiner Frau Eva Windhorn. Zusammen errichteten sie eine Vogelwarte und ließen die Insel zum Reservat erklären. Kurz nach Kriegsende wurden beide vermutlich von sowjetischen Soldaten ermordet. Während Robien in Deutschland fast völlig vergessen ist, kennt man in Polen die Insel auch als Wyspa Robiena – Robiens Insel.

Aus grauer Städte Mauern

Paul Robien, der 1882 als Paul Ruthke geboren wurde, wuchs als uneheliches Kind in der Enge einer dunklen Proletarierbaracke am Nordrand Stettins auf. Als er vor die Wahl zwischen Elend und Flucht gestellt wurde, entschied er sich für Letzteres. Er fuhr zu See, bereiste die halbe Welt und musste als Marinesoldat gegen den Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, kämpfen. Spätestens die Teilnahme am Ersten Weltkrieg machte ihn zum überzeugten Antimilitaristen.

Fast nebenbei eignete er sich im Selbststudium fundierte naturwissenschaftliche Kenntnisse an. Die Entdeckung der Werke Charles Darwins kam einer Erleuchtung gleich. Auch die Bücher der Populärwissenschaftler Ernst Haeckel und Wilhelm Bölsche las er mit Hingabe. Der Lesesessel konnte Robien allerdings nicht lange halten, immer wieder zog es ihn nach draußen. Seine genaue Beobachtungsgabe führte ihn fast zwangsläufig zur Ornithologie. In der Fachzeitung „Gefiederte Welt“ veröffentlichte er bald fundierte Artikel über die Stettiner Vogelpopulationen. Seine politischen Arbeiten ließ er dagegen vornehmlich in den linksradikalen Zeitschriften „Der Syndikalist“ und „Der Freie Arbeiter“ erscheinen.

Siedlungssozialismus

Die verzweifelte Lage der Arbeiterschaft nach dem Ersten Weltkrieg machte Robien zum Anhänger der anarchistischen Siedlungsbewegung. Zusammen mit Gleichgesinnten nahm er 1921 an der ersten Siedlungskonferenz in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen teil. Hier sollte, wie er schrieb, über „die Sicherstellung der Ernährung aller produktiv Schaffenden“ beraten werden. Neben Prominenten wie dem Gartenarchitekten Leberecht Migge und dem Künstler Heinrich Vogeler (Rabe Ralf August 2022, S. 26) nahmen auch allerlei skurrile Gestalten an diesem Treffen teil. Über den Teilnehmer Filareto Kavernido (Heinrich Goldberg), der in Berlin die Aussteigerkommune „Kaverno di Zaratustra“ gründetet hatte, berichtet Robien: „Dazwischen brummt und krittelt der Berliner Heilige und wird schließlich, als wir aus seinem Gerede nicht klug werden, auch nicht begreifen, was er eigentlich will, fahnenflüchtig mitsamt seiner weiblichen Hälfte.“ Robien selbst hielt, wie der Historiker Ulrich Linse rekonstruiert hat, ein flammendes Referat über „Sozialistische Siedlungs-Aktionsgemeinschaften“. Mit markigen Worten wandte er sich gegen Kapitalismus, Militarismus, Parlamentarismus und Staat und forderte die Arbeiter zur massenhaften Landbesetzung auf.

Weil die Massen nicht auf ihn hören wollten, versuchte Robien seine Utopie erst einmal im Kleinen zu realisieren. 1922 begann seine freiwillige Robinsonade auf der Insel Mönne. Während der Nazi-Herrschaft versuchte er hier seine Ideale unbefleckt zu halten. Obwohl seine Schriften nicht frei von antisemitischen Tendenzen sind, soll er polnischen Juden von der Insel aus zur Flucht verholfen haben. Die Umstände seines Todes sind ebenfalls noch nicht völlig geklärt. Am wahrscheinlichsten ist, dass er mit seiner Frau von jenen russischen Soldaten ermordet wurde, die ganz in der Nähe der Insel das Wrack des deutschen Flugzeugträgers Graf Zeppelin bewachten. Auch Robiens vogelkundliche Sammlung wurde wahrscheinlich von denselben Tätern zerstört.

Naturwarte Mönne bei Stettin, Aufnahme von 1933. (Foto: R. Finkbein/​Pommersches Landesmuseum Greifswald)

Gescheitertes Bündnis

Paul Robien bezeichnete sich selbst als „Naturrevolutionär“. Sein Ziel war es, ein Bündnis zwischen Naturschutzaktivisten und Arbeiterbewegung zu schmieden. Die radikale Kritik von Massenkonsum und Naturzerstörung stieß allerdings beim großen Teil der traditionellen Linken auf Unverständnis. Dies war angesichts solcher Sätze vielleicht nicht unbedingt verwunderlich: „Wir kennen nur einen Krieg, einen Krieg des Kosmosmenschen gegen den das Gleichgewicht in der Natur in blinder Vermessenheit störenden Kulturmenschen, einerlei, unter welcher Maske er sich verbirgt, einen Krieg der Reinen, Aufrechten, gegen die Brunnenvergifter, die nur die Luft verpesten, uns foltern mit teuflischen Geräuschen, uns auf Schritt und Tritt quälen bis zur Verzweiflung. Alle sonstigen Ideale: Befreiung der Arbeiterklasse, der materiellen, die Natur bis auf den letzten Rest verderbenden Masse erscheinen uns, weil falsch und kurzsichtig, nichtig.“

Anarchisten wie Fritz Oerter kritisierten wiederum Robiens Fixierung auf den Siedlungsgedanken: „Aller Grund und Boden ist von Eigentümern mit Beschlag belegt. Vom bloßen Tubablasen stürzen die Mauern des Besitzrechts nicht ein. Dies ist nur durch eine große soziale Erschütterung, den sozialen Generalstreik, die soziale Revolution geschehen.“

Robien war allerdings alles andere als ein elitärer Siedlungs-Avantgardist oder ein Earth-First-Misanthrop, seine Herkunft vergaß er ebenso wenig wie die Solidarität mit allen Geknechteten. Vielleicht kann er am ehesten als Pionier einer linken Postwachstumstheorie (Rabe Ralf Dezember 2022, S. 18) gesehen werden.

Der rebellische Ornithologe besaß eine große Sensibilität für ökologische Zusammenhänge und schrieb nicht ohne poetische Emphase. Ein wirrer Naturschwärmer und Heile-Welt-Apologet war er aber beileibe nicht. Seine Kritik der zerstörerischen Fortschrittsideologie, er spricht vom „Götzen Progresso“, fußt auf einem geerdeten Weltbild: „Wir können Verbrechen auf Verbrechen gegen die Natur häufen – die Naturgesetze ändern wir nicht!“

Lohnt es sich also, Robien aus der Vergessenheit hervorzuholen? Ein radikales grünrotes Bündnis scheint auch heute in weiter Ferne zu liegen. Während sich die grüne Bewegung immer weiter verbürgerlicht, hat das, was von der Linken übriggeblieben ist, noch immer keine überzeugenden Antworten auf die ökologischen Krisen gefunden. Positiv formuliert: Robiens Aufruf bleibt aktuell.

Robien lesen

Leider sind derzeit keine Texte Robiens in gedruckter Form verfügbar. Wer sich für die politischen Texte des Autors interessiert, kann in der Berliner Stadtbibliothek und in der Staatsbibliothek Unter den Linden einzelne Ausgaben von „Der Syndikalist“ und „Der Freie Arbeiter“ einsehen. Wer mehr über Robien und seine Zeit erfahren will, greife zu Ulrich Linses Standardwerk „Ökopax und Anarchie“ (das Buch ist noch antiquarisch zu bekommen). Der Tagungsband „Paul Robien – ein pommerscher Naturschützer und Ornithologe“ enthält ebenfalls viele Informationen und kann in der Umweltbibliothek der Grünen Liga Berlin oder in der Universitätsbibliothek der FU Berlin ausgeliehen werden.

Johann Thun 

Weitere Informationen:
www.mtm.inet.pl/Paul-Robien.html (dt.)
mzp.muzeum.szczecin.pl (poln.)

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