Der Saugstauber und der Tod

Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 10

Wie begehrte Rohstoffe vom Grund der Ozeane zum vergifteten Geschenk für kleine Inselstaaten werden

Phosphatabbau auf Nauru 1919. Übrig blieb verkarstetes, totes Land. (Foto: unbekannt/​State Library of New South Wales/​Wikimedia Commons)

Tada! – und der Nobelpreis für Wirtschaft geht 2024 an drei Forscher, die sich mit den Ursachen für Reichtum und Armut in unterschiedlichen Ländern beschäftigt haben. Es überrascht sicher niemanden, dass die armen Länder ehemalige Kolonien waren. Je besser es einem Land vor der Kolonialisierung ging, umso schlechter steht es heute da. Reichtum und Ausbeutung gingen Hand in Hand, auch Krankheiten und unvorteilhaftes Klima trieben die Kolonialisten an, Länder auszurauben. Wann wurde doch gleich die letzte Kolonie formell unabhängig und der Kolonialismus damit offiziell beendet? 1994, Palau im Westpazifik. Das ist wirklich nicht so lange her. Die Folgen der Ausbeutung durch die Kolonialmächte werden dafür noch viele Jahrzehnte zu spüren und zu sehen sein (Rabe Ralf Oktober 2024, S. 10). Zum Beispiel die tiefen Narben des Bergbaus.

Die kolonialisierten Länder wurden wie Ware behandelt. So schlossen Deutschland und das Britische Empire Abkommen zum gegenseitigen Vorteil und Handel im Pazifikraum ab, wodurch zum Beispiel Nauru 1888 in deutschen Besitz überging. An keinem der Verträge beteiligt war Nauru. Ähnlich ging es anderen Inselstaaten. Dass Nauru, das nur so groß wie Amrum ist, ein besonders rohstoffreiches Land war, wusste man zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht. Erst mehr als zehn Jahre später, um die Jahrhundertwende, wurde entdeckt, dass die Inseloberfläche größtenteils aus Phosphat bestand. Dieser weltweit als Dünger gefragte Stoff entstand aus Guano – den Exkrementen von Seevögeln, die dort über mehrere hunderttausend Jahre auf dem kalkigen Untergrund angehäuft und durch den Regen in hochreines Phosphat verwandelt wurden. Hier wurde also buchstäblich aus Vogelscheiße Gold und machte so manchen reich.

Was vom Tagebau übrig blieb

In den 1970er Jahren war Nauru dann das reichste Land der Erde, dank seiner Phosphorvorkommen und trotz aller Widrigkeiten. Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1968 konnten die damals rund 7000 Menschen auf der Insel selbst über ihre Rohstoffe verfügen und schwammen förmlich im Geld. Sie hatten so viel davon, dass sie, statt ein liegengebliebenes Auto zu reparieren, sich direkt ein neues kaufen konnten. Ein paar Jahrzehnte ging das so, bis das Phosphat größtenteils verbraucht war. Dann folgte der Absturz. Durch den aggressiven Phosphatabbau ist das Land fast überall unbrauchbar. Das hat harte ökonomische, soziale und ökologische Konsequenzen für die Inselbevölkerung.

Um Nauru und anderen kleinen Ländern und Inselstaaten des globalen Südens mehr Ressourcen und Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern, wurden ihnen Teile von internationalen Meeresgebieten mit mineralischen Rohstoffreserven zugesprochen, über die sie unabhängig verfügen können. Dies geschieht, wenn größere Länder ein Gebiet entdecken, das am Meeresboden Rohstoffvorkommen enthält – oft sind es kleine Manganknollen, die neben Mangan und Eisen auch Kupfer, Kobalt und Nickel enthalten. Die Hälfte eines solchen „Claims“ wird dann durch die Internationale Meeresbodenbehörde ISA für die kleinen Länder „reserviert“. Wie viel Entscheidungsfreiheit und Macht die Regierung eines kleinen Inselstaates wie Nauru hat, steht jedoch auf einem anderen Blatt. Was tun, wenn die eigenen Rohstoffreserven fast aufgebraucht sind, Landwirtschaft nicht möglich ist und auch keine Touristen kommen? Was tun auf einer Insel, die gezeichnet ist von den Narben des Raubbaus und den Kämpfen um die Ressourcen? Das gesicherte Meeresgebiet soll für Nauru wie auch für andere Inselstaaten eine Chance sein, neue Einkünfte zu erwirtschaften – zum Beispiel durch Abbau der wertvollen Manganknollenvorkommen.

Leider ist die Tiefsee eines der letzten weitgehend unberührten Ökosysteme der Erde (Rabe Ralf Juni 2021, S. 1). Dennoch schürt sie Hoffnung bei den einen und Gier bei anderen. Denn ohne Hilfe von außen könnte ein Land wie Nauru die neuen Metall-Ressourcen am Meeresgrund gar nicht schürfen.

Eine Seegurke kriecht über Manganknollen am Pazifikboden. (Foto: Geomar/​Wikimedia Commons)

In der Tiefsee schlummern Schätze und der Tod

Wie schön, dass es großherzige Start-ups und Konzerne gibt, die helfen wollen! Oder? Die Konzerne aus großen und reichen Ländern, die zumeist die Vorkommen als erste entdeckt haben, wittern fette Beute, schließlich haben sie die Technik und das Geld. Inselstaaten wie Nauru schließen mit ihnen Verträge zu extrem vorteilhaften Konditionen für die Konzerne. Diese behaupten, sie könnten die Knollen so bergen, dass dem empfindlichen Ökosystem nichts passiert.

Das ist natürlich nicht der Fall. Stark vereinfacht, werden die etwa tischtennisballgroßen Knollen samt umgebendem Sediment mit einer Art Saugstauber aufgesammelt und durch ein Rohr zu einem Schiff an der Oberfläche transportiert. Dabei wird hinten das ungewollte Sediment gleich wieder ausgespuckt. Der Meeresboden wird zweifach gestört, direkt an der Stelle durch das Einsaugen und in der weiteren Umgebung durch die ausgestoßene „Staubwolke“.

Eine klare Entscheidung pro Ökosystem Tiefsee und gegen den Rohstoffabbau oder wenigstens ein Regelwerk, wie mit diesem umzugehen ist, lassen auf sich warten. Und das, obwohl Langzeitbeobachtungen an Stellen, wo Tiefseeabbau simuliert wurde, gezeigt haben: Sogar 26 Jahre später ist das Ökosystem immer noch gestört. Beispielsweise ist die Zahl der Lebewesen, die sich von schwebenden Partikeln ernähren, nach wie vor stark reduziert. Ganz abgesehen davon, dass die Manganknollen selbst schon ein wichtiger Lebensraum für eine unglaubliche Vielzahl an Lebewesen sind, inklusive winziger Organismen, die wichtige Beiträge zur CO₂-Speicherung im Meerwasser leisten. Bisher schlucken die Ozeane knapp ein Drittel der menschengemachten CO₂-Emissionen.

Der Klimawandel ist eine Katastrophe für die Inselstaaten im Pazifik, die zu den am stärksten von Meeresspiegelanstieg und Stürmen bedrohten Staaten gehören. Dennoch haben neben Nauru auch Tonga, Kiribati oder die Cookinseln solche Rohstoffverträge geschlossen – allesamt kleine Inselstaaten, die gleichzeitig auf den Klimakonferenzen fordern und hoffen, dass der drohende Verlust ihrer Inseln aufgehalten wird.

Hätte es die Kolonialisierung nicht gegeben, wären diese Staaten dann überhaupt in eine Situation geraten, in der sie solche Verträge mit Konzernen schließen müssen, um ein ansatzweise unabhängiges und gutes Leben ihrer Bewohner*innen zu sichern? Wenn die Inselstaaten davon überzeugt werden sollen, die rohstoffreichen Zonen am Boden des Ozeans nicht anzutasten, brauchen sie gangbare Alternativen, ohne neue Formen der Kolonialisierung. Denn zuvor muss eine vollständige Aufarbeitung und Dekolonisierung erfolgen, um die Eine Welt zu retten.

Anke Küttner 

Weitere Informationen: linse.grueneliga-berlin.de

Das Projekt „Eine Welt vor der Linse“ wird durch Engagement Global mit Mitteln des Bundesentwicklungsministeriums gefördert.

Zur Ausgaben-Übersicht 


Copyright © 2009 - 2025 GRÜNE LIGA Berlin e.V. Landesverband Berlin - Netzwerk Ökologischer Bewegungen - Alle Rechte vorbehalten.