Straßen sind für Menschen da

Aus DER RABE RALF Dezember 2019/Januar 2020, Seite 1/4

Von der in Berlin versprochenen „konsequenten Verkehrswende“ ist nicht viel zu sehen 

Aktion in der Berliner Allee in Weißensee am 15. Juni 2019. (Foto: Laura Jost Photography)

Am Nachmittag des 15. Juni wurde die Berliner Allee im Zentrum von Weißensee zur autofreien Zone. Mehrere hundert Menschen folgten dem Aufruf „Für einen lebenswerten Stadtteil – Verkehrswende jetzt!“ und kamen an der Straßenbahnhaltestelle Albertinenstraße zusammen. Organisiert wurde der Tag von der Initiative „Aktion Berliner Allee“ und weiteren Weißenseer Institutionen, Vereinen und Gewerbetreibenden. Wo sonst schwere Laster dröhnen und Pkw-Karawanen rollen, spielten an diesem Nachmittag Kinder, gab es Musik und Aktionen rund um Mobilität und Verkehrswende. So entstand an einem der heißesten Tage des Jahres eine einzigartige Atmosphäre: Anwohner und Besucherinnen erlebten die Weißenseer Hauptstraße das erste Mal als Lebensraum, von dem sie nicht durch Metallgeländer abgeschirmt werden müssen.

„Verkehrtwende“ in Weißensee

Die Verkehrsverwaltung hingegen plant gerade in eine ganz andere Richtung. So soll die neue „Verbindungsstraße Karow–B2“ mehr als 7.000 Autos pro Tag zusätzlich auf die Berliner Allee leiten. Sie erhöht die Kapazität für den Kfz-Verkehr und verlagert ihn von unbewohnten in bewohnte Straßen von Karow, Malchow und Weißensee. Nach erfolgreichem Anwohner-Widerstand gegen den Versuch einer Planfeststellung im Jahr 2014 ist nun noch für dieses Jahr ein neuer Anlauf angekündigt.

Die Ortsumfahrung Malchow wird nicht etwa mit der Entlastung der Malchower Anwohner, sondern mit Fahrzeitverkürzungen durch höhere Geschwindigkeit begründet. Die Umfahrung soll sogar zu fast 50 Prozent mehr Kfz-Verkehr auf der Berliner Allee führen – statt heute circa 30.000 Autos pro Tag in Höhe Weißer See sollen es 44.000 werden, so das Projektdossier.

Der seit fünf Jahren versprochene grundlegende Umbau des unwirtlichen nordöstlichen Allee-Abschnitts zwischen Albertinen- und Rennbahnstraße soll wohl – trotz seit Jahren vorhandener Gelder – weiter verschleppt werden. Wahrscheinlich so lange, bis die BVG mit Gleiserneuerungen die derzeitige autogerechte Raumaufteilung zementiert hat. Von der in der rot-rot-grünen Koalitionsvereinbarung vereinbarten „konsequenten Verkehrswende“ also keine Spur.

Halten unsere gewählten Abgeordneten Wort?

Die „Aktion Berliner Allee“ hat dagegen in Zusammenarbeit mit Verkehrsfachleuten sechs „Bausteine für die Verkehrswende Nord-Ost“ erstellt. Abgeordnete und Vertreter unterschiedlicher Parteien und parlamentarischer Ebenen – darunter Clara West und Tino Schopf von der SPD und Harald Moritz von den Grünen im Abgeordnetenhaus, der Pankower Bezirksverordnete Jurik Stiller und die Interessengemeinschaft Nahverkehr von der Linken sowie der grüne Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar – wurden um Unterstützung für neue Radverkehrsanlagen, mehr Fußgängerüberwege und Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs auf der Allee gebeten. Zentrale Forderung: Es darf kein „Weiter so“ geben. Berlin wächst, aber der Kfz-Verkehr darf nicht mitwachsen. Der ÖPNV muss ausgeweitet und das Autoparken auf öffentlichem Straßenland überall kostenpflichtig werden. Wir brauchen die Verkehrswende dringend – für die Stadt und für die Klimaziele.

Bislang gibt es in der Berliner Allee zwischen Antonplatz und Albertinenstraße keinerlei Radverkehrsanlagen. Seit Jahren machen immer mehr Einzelhändler dicht – auch weil ein Großteil der potenziellen Kundschaft, nämlich die Radfahrenden, quasi ausgesperrt bleibt. Dabei hat die Einrichtung von Busspuren für den Schienenersatzverkehr in den letzten beiden Jahren für jeweils mehrere Wochen gezeigt, dass hier auch ohne Verkehrschaos dauerhaft Radspuren sein könnten.

Auch die Neugestaltung des nordöstlich anschließenden Allee-Abschnitts muss der Verkehrswende dienen. Neben der Kapazitätserhöhung und Beschleunigung der Straßenbahn – mit komplett eigener Trasse und Haltestellen hinter Ampelkreuzungen statt davor – müssen durchgehende Radverkehrsanlagen, gute Gehwege, ausreichend Überwege und die Entschleunigung des Kfz-Verkehrs zentrale Planungsziele werden. Die Aufenthaltsqualität sollte durch neue Alleebäume, Grünstreifen und moderne Materialien zur Lärmreduzierung verbessert werden. Schließlich wird die Gestaltung dieser wichtigen Verkehrsachse die Zukunft Weißensees für Generationen prägen.

Vor einigen Wochen erinnerte die „Aktion Berliner Allee“ die Politik an ihre Versprechen. Die Bezirksverordnetenversammlung Pankow hat inzwischen die vom Senat ignorierten Planungsziele zum Neubau der nördlichen Berliner Allee erneut beschlossen. Im angrenzenden Komponistenviertel soll nach einem Konzept des Umweltverbandes BUND endlich der Kfz-Durchgangsverkehr verhindert werden.

Mangels Senatshandeln scheint die Verkehrswende nun zur Aufgabe des Abgeordnetenhauses zu werden.

Jens Herrmann

Antragsentwürfe, Begründungen und weitere Informationen: www.aktionberlinerallee.de

 


Natur droht geopfert zu werden

Projekt „Ortsumfahrung Malchow“ bedroht Natur- und Naherholungsgebiet in Berlin-Weißensee

Teich im Malchower Luch. (Foto: Regina Schmidt)

Er ist in aller Munde, der Klimawandel. Was wir tun müssen, um ihn aufzuhalten, ist bekannt. Natur- und Grünflächen zu erhalten ist dafür ganz entscheidend, weil sie CO₂ binden und die Temperatur verringern. Ebenso wichtig ist es, den Verkehr und die Bodenversiegelung zu reduzieren. Dem gegenüber stehen politische Entscheidungen, die auf das Gegenteil hinauslaufen. Noch immer wird auf zunehmenden Autoverkehr mit Straßenbau geantwortet, statt überall einen attraktiven ÖPNV und gute Radwege einzurichten.

Eisvogel und Waldohreule

Ein Beispiel ist das Projekt „Ortsumfahrung Malchow“ im Berliner Nordosten, bei dem eine Verlegung der Bundesstraße B2 durch das Malchower Luch, eine große Grünfläche mit Niedermoor, Wiesen, Feldern, Weiden, Gräben und riesigen Bäumen, geplant ist. Im Sommer ist es hier immer um die zwei bis vier Grad kühler als weiter drinnen in der Stadt. Das zeigt uns den richtigen Weg aus der Klimakrise.

Das Malchower Luch wurde bereits vor zehn Jahren als Ausgleichsfläche aufgewertet, mit Blühhecken und einem Teich. Das Anlegen des Teiches war ein Einschnitt in das Gefüge des natürlich entstandenen Niedermoors, jedoch erholte sich das Gebiet. Immer mehr Tiere siedeln sich dort an oder kommen als Gäste. So finden hier die Malchower Störche und viele Graureiher ihr Futter. Graugänse und Kraniche rasten während ihres Vogelzugs und laben sich am reichhaltigen Angebot der feuchten Wiesen. Im vorletzten Winter sah man einen „grün-blauen Diamanten“ den Graben entlangfliegen, den Eisvogel. Rotmilan und Mäusebussarde ziehen tagsüber ihre Kreise und während der Nacht gehen Waldohreulen auf Beutezug. Und nicht nur Vögel, auch Rehe, Füchse und Hasen sind oft zu sehen. Im Frühjahr geben die Frösche regelmäßig Konzerte. Bei Kräuterwanderungen ist viel zu entdecken, sei es Gundermann, Schafgarbe, Sauerampfer, Schlehe oder Berberitze. Die Liste ist lang, vergessen werden darf auf keinen Fall die schöne Wasserlilie.

Straßen bauen ist 20. Jahrhundert

Vielleicht ist jetzt die Zeit, dieses Stück Stadtnatur zu verändern, noch einmal in das Gefüge einzugreifen – Gräben zu mäandrieren, Nistplätze für den Eisvogel zu schaffen, das giftige Straßenwasser vorab zu reinigen und eine Streuobstwiese anzulegen –, jedoch nur, um es danach in Ruhe zu lassen.

Was hier unbedingt verhindert werden muss, sind vierspurige Straßen, zigtausende Autos jeden Tag, Lärm, Gestank und heißer Asphalt. Die Verkehrswende ist unumgänglich – mit weniger Kfz-Verkehr und mehr gut ausgebauten Radwegen und ÖPNV-Verbindungen, wie zum Beispiel die Verlängerung der S-Bahn von Wartenberg über Malchow nach Karow. Auch die Berliner Verwaltung muss sich dem Wandel stellen und sich ins 21. Jahrhundert begeben. Die Ortsumfahrung Malchow muss aus dem Bundesverkehrswegeplan gestrichen werden!

Stefanie Grüß, Bürgerinitiative Pro Malchower Luch

Weitere Informationen: www.pro-malchowerluch.com

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