Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 2
Rückschritte in der Berliner Verkehrspolitik größer als befürchtet

Es war vermutlich nicht der letzte Akt, der deutlich macht, dass dieser Senat die zarten Anfänge der Verkehrswende in Berlin massiv zurückdrehen will. Ende Juli hieß es aus der CDU-geführten Verkehrsverwaltung, dass nur eine, eventuell eine zweite, Radschnellverbindung realisiert werden soll. Zehn sollten es mal werden, und in alle ist schon mehre Jahre lang Planungsarbeit geflossen.
Auf einer Protestdemo Anfang August mit rund 800 Radfahrer:innen sprach der sichtlich empörte Jens Steckel vom Verein Changing Cities davon, dass damit vom geplanten Radnetz die wichtigsten und leistungsfähigsten Verbindungen amputiert werden. Bei einem Planungsneustart müsste wieder ganz neu angesetzt werden.
Versprechen gebrochen
Schon gleich nach Amtsantritt stoppte die CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner im Sommer 2023 die Umsetzung von 19 Radverkehrsplanungen (Rabe Ralf August 2023, S. 1). Autofreundliche Umplanungen, monatelange Verzögerungen und das Verfallenlassen von Fördergeldern waren die Folge. Mickrige 10,6 Kilometer Radwege wurden im ersten Halbjahr 2024 laut Changing Cities auf die Straße gebracht, obwohl schon viele fertige Planungen vorlagen. Im ganzen Jahr sollen es 16,7 Kilometer werden. Damit hätte der Senat das Versprechen gebrochen, mehr als die rot-rot-grüne Vorgängerregierung zu bauen, und gegen das Berliner Mobilitätsgesetz verstoßen. Dieses sieht 100 Kilometer für 2024 im Radverkehrsplan vor. Es wurden auch keine neuen Planungen begonnen, somit fehlt für die nächsten Jahre der planerische Vorlauf. Im Wochenrhythmus kamen zuletzt Absagen von Fahrradprojekten hinzu, erst die Radschnellverbindungen, dann einzelne Radstreifen wie in der Ollenhauerstraße in Reinickendorf oder der Grunewaldstraße in Steglitz – und kürzlich der Wegfall vieler Fahrradparkhäuser. Ein mutiges Projekt, das Hallesche Ufer am Landwehrkanal in Kreuzberg nutzbar zu machen, wurde ebenfalls zu den Akten gelegt, obwohl Millionen Fördermittel vom Bund zugesagt waren.
Beim Fußverkehr sieht die Bilanz nicht anders aus. Der Fußverkehrsplan-Entwurf ist immer noch nicht fertig, das im Mobilitätsgesetz vorgeschriebene Mängelregister noch nicht angefangen. Die Modellprojekte der Bezirke wurden kleingemacht oder sind ganz versandet, von Verbesserungen an Ampeln ist nichts bekannt.
Im Bereich öffentlicher Verkehr dümpeln die Straßenbahn-Planungen vor sich hin, auch weil man teure und langfristige U-Bahn-Projekte sowie die absurde Wahnsinns-Idee Magnetbahn dazwischengeschoben hat. Nur die Verlängerung der U3 zum Mexikoplatz an der Freien Universität in Dahlem kommt voran und macht Sinn. Neuerdings wird sogar über eine Kürzung der Zuschüsse für die BVG nachgedacht, was Angebotseinschränkungen zur Folge hätte.
Bei der Verkehrssicherheit sind statt 30 bisher nur sieben problematische Kreuzungen unter die Lupe genommen worden. Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen soll ganz entfallen, und Tempo-60-Abschnitte an der Landsberger Allee in Lichtenberg und der Marzahner Promenade sollen trotz schwerer Unfälle bleiben.
Knallharte Pro-Auto-Politik
Die CDU verschleiert ihre Verkehrspolitik mit Begriffen wie „Miteinander“ oder „keine Bevorzugung eines Verkehrsmittels“ und kündigte sogar mehr Radwege an. Zu Anfang wollte sie das Mobilitätsgesetz zurückschrauben und scheiterte dabei am Koalitionspartner SPD, jetzt ignoriert sie das Gesetz einfach und verstößt vielfach dagegen.
Gleichzeitig fließen kontinuierlich große Geldmengen in den Straßenbau – auf der erwähnten Demo listete der Redner 13 Großprojekte der Straßensanierung und des Neubaus von Bund und Land auf, von denen die A100-Verlängerung durch Neukölln und Treptow, die TVO durch die Wuhlheide (Rabe Ralf Juni 2023, S. 2) und die Sanierung des Schlangenbader Tunnels in Wilmersdorf nur die größten sind. Insgesamt 3,8 Milliarden Euro sind dafür eingeplant, dagegen sind die Summen, die für Radprojekte nötig wären, Brosamen. Es geht also nicht um notwendige Einsparungen, wie behauptet wird, es geht um knallharte Pro-Auto-Politik. Die wird aber zu noch mehr Staus führen, während eine Förderung des Radverkehrs Staus vermeiden würde.
Und die Ansage „Ihr Autofahrer dürft jetzt wieder …“ führt zu mehr Aggressivität im Straßenverkehr. Schon 32 Verkehrstote sind seit Jahresanfang in Berlin zu beklagen. Vermutlich werden es am Ende deutlich mehr sein als die 33 Getöteten im vergangenen Jahr.
Karl-Heinz Ludewig
Der Autor ist beim FUSS e.V. Friedrichshain-Kreuzberg aktiv. Weitere Informationen: www.berlin-zu-fuss.info