Das Problem heißt Ungleichheit

Aus DER RABE RALF Dezember 2024/Januar 2025, Seite 4

Höchste Zeit für eine Wiedererhebung der Vermögenssteuer

Investitionsstau bei der Daseinsvorsorge – aber es gibt Auswege. (Foto: Kim Brookes/​Flickr, CC by‑nc‑nd 2.0)

Die Ampelregierung ist nicht zufällig mitten in den Haushaltsverhandlungen geplatzt. Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise, vielen Menschen geht es schlechter als noch vor wenigen Jahren. Im Bereich der Daseinsvorsorge – von der Bildung bis zum öffentlichen Verkehr – gibt es einen gewaltigen Investitionsstau, ebenso beim Klimaschutz. Die erwarteten Einnahmen haben nicht genügend Spielraum für Wahlgeschenke aller drei Ampel-Parteien gelassen. Also wurde auf die Verabschiedung eines Haushalts für 2025 verzichtet, stattdessen macht nun jede Partei für ihre Klientel eigene Wahlversprechen.

Das Problem dabei ist: Die verschiedenen Zusagen widersprechen sich. Was die eine Gruppe bekommen soll, müsste der anderen weggenommen werden. Bürgergeld oder Umweltschutz, Kultur oder Gesundheit, Rüstung oder Bildung. Nur eine kleine Minderheit in Deutschland bleibt von dem Gezanke – wie meistens – unberührt: die Multimillionäre und Milliardäre. Während die Staatskasse leer und viele Brücken, Schulen und Krankenhäuser kaputt sind, sind die hundert größten deutschen Vermögen seit 2001 um 460 Milliarden Euro gewachsen. Schlimmer noch: Etwa 5000 Superreiche nutzen ihr gewaltiges Vermögen und den damit verbundenen Einfluss, um allen anderen ihre Bedingungen für die Zukunft aufzuzwingen.

Schuldenbremse reformieren reicht nicht

Natürlich könnte die öffentliche Hand mehr Schulden machen. Im internationalen Vergleich ist der Schuldenstand in Deutschland sogar ziemlich niedrig. Seit 150 Jahren finanzieren Staaten große Investitionen über Schulden. In der aktuellen Situation ist die plötzliche Stimmung gegen die Schuldenbremse pikant.

Die Schuldenbremse wurde 2009 nach der weltweiten Finanzkrise ins Grundgesetz aufgenommen, in einer Zeit, als die Zinsen für Schulden in Richtung null absanken. Mit dieser Selbstbeschränkung wurde verhindert, dass die öffentliche Hand sich kostenlos Geld beschafft. Ein geradezu aberwitziger Vorgang.

Seither haben Bund, Länder und Kommunen viel privatisiert und immer mehr Ausgaben über Schattenhaushalte finanziert. Privatisierungen bringen kurzfristig etwas Geld, unterm Strich sind sie viel teurer als öffentlich erbrachte Daseinsvorsorge. Zinsen für Schattenkredite liegen außerdem weit entfernt von null. Teilweise summierten sich die Zinsen auf die Höhe der ursprünglichen Kreditsumme.

Heute ist das Zinsniveau wieder deutlich höher, bei gleichzeitig moderater Inflation. Wenn der Staat sich heute verschuldet, sind die Kredite im Gegensatz zu den vergangenen 15 Jahren teurer. Davon profitieren die Banken. Die Umverteilung von unten nach oben wird weiter vorangetrieben.

Diesen Zyklus müssen wir durchbrechen. Natürlich muss die Schuldenbremse abgeschafft werden, damit die öffentliche Hand, wenn es erforderlich ist, Investitionen auch über Schulden finanzieren darf. Das reicht aber nicht. Um etwas gegen die rasante Zunahme der Vermögensungleichheit zu tun, ist auch eine höhere Besteuerung der Mega-Vermögen unerlässlich.

Ungleichverteilung wie seit 100 Jahren nicht

Die Vermögenssteuer steht nach wie vor im Grundgesetz. Sie wird nur seit 1998 einfach nicht mehr erhoben. Es gab zuvor ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Bewertung von Immobilien im Verhältnis zu anderen Vermögenswerten beanstandete. Dieses Problem hätte sich leicht beheben lassen. Aber die CDU unter Helmut Kohl hat die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und die Steuer dauerhaft ausgesetzt. Die SPD ließ es dabei. Seit 1998 sind uns so etwa 380 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen.

Symbolische Aktion des Vereins „Gemeingut in BürgerInnenhand“ bei Lidl, Aldi und BMW vor einem Jahr. (Foto: Rolf Zöllner/GiB)

Jede Form einer höheren Besteuerung von Superreichen hilft. Neben der Vermögenssteuer sind auch Erbschaftssteuer, Kapitalertrags- oder Unternehmenssteuern sinnvolle Instrumente. Wer maßgebliche Anteile von Dax-Konzernen im Portfolio hat, zahlt einen wesentlich geringeren Steuersatz als die meisten anderen Menschen. Wegen der Aussetzung der Vermögenssteuer und anderer Steuerreformen gelten für die Reichsten nur noch halb so hohe Steuer- und Abgabensätze wie für Menschen, die von ihrem Arbeitseinkommen leben.

Die größten Vermögen bringen gleichzeitig die höchsten Renditen. Wer zehn Millionen Euro hat, erzielt im Durchschnitt vielleicht eine Rendite von fünf Prozent, bei fünf Milliarden Euro Kapital sind es zwölf Prozent und mehr. Wenn gesagt wird, dass die Reichen immer reicher werden, ist zu ergänzen, dass es an der Spitze der Vermögenskurve eine exponentielle Entwicklung gibt. Wir sind inzwischen in einer Vermögensungleichheit angekommen, wie es sie seit hundert Jahren nicht mehr gab.

Selbst Franz Müntefering, vor zwei Jahrzehnten als SPD-Fraktionschef einer der Verantwortlichen für die „Agenda 2010“, sah Hedgefonds als Übeltäter der Weltwirtschaft an. Heute jedoch haben die Mitglieder einer Handvoll Familien mehr Kapital als diese Fonds, sie agieren intransparenter und haben mehr politischen Einfluss. Deshalb hat die Vermögenssteuer für Deutschland eine besondere Bedeutung. Weil sie hierzulande nicht nur einfach zu niedrig ist, sondern gar nicht erhoben wird, kennen wir das Ausmaß der Vermögensungleichheit nicht mehr. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit untersuchte vor Kurzem für die Hans-Böckler-Stiftung die deutschen Milliardenvermögen und schätzt, dass deren Wert bei 1,4 Billionen Euro liegt, 500 Milliarden mehr als bisher angenommen. Die reichste Familie Deutschlands, Böhringer, kam in den Listen bisher gar nicht vor, ebenso zehn weitere Milliardenvermögen.

Mit einem „Blackrock-Bundeskanzler“ Friedrich Merz droht sich das Wachstum der Ungleichheit noch weiter zu beschleunigen. Dennoch werden CDU und CSU Koalitionspartner benötigen, um eine Mehrheit für Merz zu bekommen. Deshalb muss die Vermögenssteuer zur Bedingung für jegliche Koalition werden, für SPD, Grüne, Linke und BSW. Ähnlich kam es vor zehn Jahren zum Mindestlohn. CDU und CSU lehnten ihn zunächst ab, dennoch wurde er unter Kanzlerin Angela Merkel eingeführt.

Woher nimmt die nächste Regierung das Geld?

Wenn man nur diejenigen mit zwei Prozent besteuert, die mehr als 100 Millionen Euro besitzen, würde das etwa 25 Milliarden Euro jährlich einbringen. Das reicht noch nicht für die Sanierung der Infrastruktur, dafür brauchen wir jährlich 60 Milliarden oder mehr. Aber es ist eine größere Summe als die Haushaltslücke, die die Ampel am Ende zum Scheitern brachte. Höhere Steuersätze für Superreiche sind durchaus denkbar. Auch bei fünf Prozent wachsen die größten Vermögen immer noch weiter, weil die durchschnittlichen Renditen darüber liegen.

Die Gefahr der Steuererhöhung für breite Schichten liegt woanders. Weil fast alle Parteien eine enorme Steigerung bei den Investitionen versprechen, stellt sich die Frage, wie das ohne Vermögenssteuer bezahlt werden soll. CDU und CSU sind vehement gegen die Vermögenssteuer. Aber zusätzliche Schulden müssen wieder getilgt werden. Die naheliegende Antwort auf die Frage, woher eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung das Geld nehmen könnte, ist: über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das trifft alle – und am stärksten die Ärmsten – und wird vermutlich deswegen tunlichst aus dem Wahlkampf herausgehalten. Aber nach der Wahl ist die Gefahr einer Mehrwertsteuer­erhöhung besonders groß. Es sei denn, man kann rechtzeitig eine Alternative anbieten.

Jorinde Schulz, Carl Waßmuth 

Weitere Informationen: www.gemeingut.org

Siehe auch Rezension auf S. 27

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