Aus DER RABE RALF März 1995
Es ist mir nicht recht wohl dabei, dem Geld ein eigenes Kapitel zu widmen, wo doch von lebenden Dingen die Rede sein soll. In einer Zeit aber, in der das ganze Leben vom Geld regiert wird, kommt man nicht an ihm vorbei. Zu groß ist seine Macht.
Für Geld arbeiten?
Mit dem Geld haben wir die Möglichkeit, jeder unserer Tätigkeiten einen materiellen Wert beizumessen. Damit wiederum ist es möglich, die verschiedensten Tätigkeiten auf ihren materiellen Wert hin zu vergleichen und gegeneinander auszutauschen. Was im nachbarlichen Rahmen noch ohne weiteres ohne Geld möglich ist – ”Ich grab’ dir den Garten um, und du paßt auf unsere Ziegen auf” -, ist jetzt unter fremden Menschen, über fast jede Entfernung hinweg möglich. Die beginnende Spezialisierung machte Geld nötig. Die ungeheure Aufteilung in Tausende von Spezialberufen wurde durch Geld dann erst möglich.
In dem Maße aber, in dem man zu einem naturgemäßen Leben zurückkehrt, entfernt man sich wieder vom Geld. Ablesen läßt sich das am eigenen Einkommen und auch an den Steuern, die man zahlt. Die Rückkehr zum Tauschwert bietet sich an – und ist schwieriger zu verwirklichen, als man von außen vielleicht vermutet.
Denn Geldwert und Tauschwert bestehen nebeneinander und sind durchaus nicht immer deckungsgleich. Freunde von uns töpfern und verkaufen ihre Produkte auf dem Markt. Wir hatten Obst auf dem gleichen Markt. Unser Obst muß mit Plantagenobst konkurrieren, Handgetöpfertes hat diese Konkurrenz nicht, da es zu Liebhaberpreisen gehandelt wird. Nun, unter Freunden wird man sich immer einigen, aber es ist nicht immer leicht. Wieviel Kilo Äpfel ist eine Obstschale ”wert”?
Solange keine Maschinen im Spiel sind, ist die Arbeitszeit eine Vergleichsbasis.
Aber nach unseren Erfahrungen ist ein gutnachbarliches Verhältnis nur dann möglich, wenn man überhaupt keine kleinlichen Rechnungen aufstellt. Wenn einer mit der Zeit unzufrieden scheint, werden es die anderen sehr bald merken und sich darauf einstellen.
Naturalien oder “richtiges Geld”
Was unseren Geldbedarf angeht, läßt sich unsere bisherige Erfahrung in zwei Perioden einteilen: Anfangs lebten wir in einer Holzhütte, mit Garten und etwas Land, das zur Not einige Ziegen ernähren konnte. Damit waren Wohnung und Nahrung sichergestellt. Mit einem Fahrrad machte ich die wenigen Besorgungen, manchmal nur alle zwei Monate. Erntearbeiten bei Nachbarn wurden meist in Naturalien bezahlt: Heu oder Stroh für die Ziegen, Obst der jeweiligen Ernte (aus der ungespritzten Ecke der Plantage – unfaßbar die doppelte Moral!), oder auch mit Gegenhilfe. Und manchmal auch mit Geld. Später bot uns jemand einen kleineren landwirtschaftlichen Besitz zur Pacht für zwei Jahre an – jemand, der sich auf dem Lande niederlassen wollte und mit den Anfangsschwierigkeiten nicht fertig wurde. Hier nun verdienten wir ”richtiges” Geld mit der Ernte von Kirschen, Aprikosen, Lavendel und Weintrauben. In dieser Zeit faßten wir den Entschluß, ganz in der Landwirtschaft zu bleiben. Zunächst stand ich mit einem Arzt aus Nordfrankreich in Verhandlung, der hier einen Besitz mit einigen Hektar Obst erworben hatte und nicht selbst bearbeiten konnte, dann bot sich uns die Möglichkeit, mit mehreren anderen einen großen Besitz zu erwerben, auf dem jetzt vier Familien die entsprechenden Häuser instandgesetzt haben und einen Teil des Landes bearbeiten. Unseren finanziellen Einsatz konnten wir aus dem Verkauf eines Einfamilienhauses in Deutschland bestreiten. Anfangs stellte uns hier jemand eine Herde Ziegen zur Verfügung, die er selbst, wegen Ärger mit der Nachbarschaft, nicht mehr behalten konnte. Zwei Sommer gingen wir mit Ziegenkäse auf den Markt, was ein bescheidenes, aber sicheres Einkommen ermöglichte. Gleichzeitig hielten wir Pferde, denen es sehr gut ging und die uns mit jährlichem Nachwuchs beglückten. Nicht nur die persönliche Neigung ließ uns dann im vergangenen Jahr den Schwerpunkt unserer Arbeit zu den Pferden verlegen. Hier nun ist ein Einkommen weniger sicher und läßt länger auf sich warten, aber inzwischen ist auch der Garten in Gang gekommen – mit einiger Verzögerung wegen meiner Arbeit an einer französischen Schule, die wegen der Schulden beim Hausbau nötig wurde.
Das Startkapital bist du
Daran möchte ich einige allgemeine Erläuterungen zum Umzug aufs Land anknüpfen: ein Startkapital muß vorhanden sein, aber es ist nicht die wichtigste der Vorbedingungen. Wir haben Leute mit einem Rucksack auf dem Rücken von Paris kommen sehen, die heute auf einem wunderschönen Fleckchen in den Bergen leben. Natürlich gehört Glück dazu und Ausdauer. Aber auch Methode. Und die sieht in diesem Fall so aus:
Man suche sich die entsprechende Gegend aus, lasse sich von den Möglichkeiten im Obst- und Gartenbau, der gewünschten Tierhaltung, den landschaftlichen und klimatischen Bedingungen lenken. Dann läßt man sich in dieser Gegend nieder – im Zelt oder Wohnwagen oder man mietet sich was – und beginnt mit der Arbeit. Für andere, wenn diese es anbieten, für sich selbst, wenn man ein Stück Land gefunden hat. Diese Stücken gibt es überall: alte Leute, die ihren Garten nicht mehr bearbeiten können und froh sind, wenn es jemand anders tut, Obstbäume, die der Bauer nicht mit dem Trecker bearbeiten kann und mit der Hacke nicht mehr bearbeiten will, ein Acker Sozialbrache…
Ich empfehle dies nicht nur, damit ihr Land und Leute kennenlernt – sondern auch euch selbst. Über Land und Leute werdet ihr mit der Zeit wirklich Günstiges angeboten bekommen; aber nur, wenn ihr euch selbst bei dieser Arbeit kennengelernt habt, werdet ihr euch dann für etwas entscheiden.
Und auf eine Gefahr möchte ich hinweisen: wenn man auf dem Land schon etwas gefunden hat und in der Stadt arbeitet, um es abzubezahlen, dann kommt die Arbeit mit der Erde nicht voran. Beschränkt euch auf den Hausbau. Eine Mauer schreit nicht, wenn ihr keine Zeit für sie habt; Pflanzen und Tiere tun es.
Wieviel braucht man nun?
Noch einmal zu den ”Finanzen” – was ”braucht” man, um auf dem Land durchzukommen? Das hängt davon ab, wieviel man nötig zu haben glaubt. Ich kann keinen besseren Rat geben als den: versucht schon heute, so wenig wie nur möglich zu haben. Laßt alles Überflüssige sein! Was jedesmal nur eine Kleinigkeit zu sein scheint, ist am Ende Teil einer großen Summe. Und diese will verdient sein. Und Geld verdient man am besten in einer sicheren Karriere. Und diese macht dann alles andere nötig. Daraus auszubrechen, darum geht es.
Lohnend ist der folgende Versuch: geht so allein wie möglich mit einem Rucksack in die Berge. Dieser enthalte neben Zelt und Schlafsack vor allem eine Hand-Kaffeemühle und ein Säckchen Getreide (10 Kilo reichen für eine Person im Monat). Damit ist nämlich die Grundlage der Ernährung gesichert. Das nötige Grün werdet ihr dazu schon finden. Aber laßt Konservenbüchsen zu Hause und sonstiges Vorgefertigte. Vielleicht gibt euch ein solcher Monat eine Vorstellung davon, was möglich ist: Fast alles ist möglich, wenn man mit fast nichts auskommt!
Um eine konkrete Zahl zu nennen: Jetzt, wo ich dies schreibe, haben wir nie mehr als 500 DM monatlich zur Verfügung. Es wäre falsch, wenn ich sagte, daß davon eine sechsköpfige Familie lebt. Denn leben tun wir durch Garten, Obstbäume, Wiesen und Felder, die wir ständig bearbeiten und in Stand halten. Sagen wir es so: wir leben aus unserer Arbeit, und was wir nicht selbst herstellen können, kaufen wir mit diesen 500 DM. Ein guter Teil davon geht in ein Auto, auf das wir hier in den Bergen vorläufig nicht verzichten, nachdem wir vorher fünf Jahre ohne gelebt hatten.
Geld verdient man in der Stadt
Es darf niemals Ziel sein, ”Geld” zu verdienen. Geld verdient man in der Stadt viel leichter. Ein Nachbar, nicht älter als wir, aus Paris, seit vier Jahren im Tal, glaubte den Schlüssel gefunden zu haben: eine sauber aufgebaute, leistungsfähige Ziegenherde. Im dritten Jahr vierzig Ziegen mit 2000 Francs Bruttoeinnahmen pro Ziege. Über die Unkosten war er sich weniger im klaren. Es blieb jedenfalls nie etwas übrig. Jetzt, im vierten Jahr, ist sein Hof zu verkaufen, und er arbeitet wieder in Paris.
Wie hatte sein Leben ausgesehen? Jeden Morgen, jeden Abend zwei Stunden Melken, Füttern, Stroh nachgeben usw. Bis Mittags dann die Käserei. Nachmittags zwei Stunden Atemholen für den folgenden Aufstieg in die Berge, um die frei weidenden Ziegen zu holen. Das dauert bis zu drei Stunden. Nach dem Melken folgte ein – zugegebenermaßen – gesunder Schlaf. Zweimal in der Woche ging einer von den beiden auf den Markt. Dazu hatten sie zwei Kinder und keine Großeltern… Für einen Garten blieb keine Zeit. Das Getreide, das sie an die Ziegen verfütterten, hatten sie im ersten Jahr noch selbst angebaut. Aber auch dafür reichte es nicht mehr, als die Ziegen erwachsen waren. Selbst Heu wollten sie dann zukaufen und nicht mehr selbst einbringen. Und dann war Schluß. Ein warnendes Beispiel.
Wer überzeugt ist, soundsoviel Tausend im Monat zu brauchen, der soll sich nicht darüber den Kopf zerbrechen, wie er dieses Geld auf dem Land verdienen kann, sondern darüber, wie er ohne dieses Geld auskommen kann.
Man sollte sich das Ziel setzen, so wenig Bruttosozialprodukt wie möglich in Bewegung zu setzen. Das bedeutet z.B. ganz praktisch: dort, wo man ist, mit dem leben, was man vorfindet.
Noch heute, nach jahrelanger Erfahrung, muß ich mich oft bremsen: zu sehr haben wir gelernt, in jeder Situation zu sehen, was man machen könnte, was möglich wäre, um dieses oder jenes zu entwickeln, zu vergrößern, zu verbessern. Hektische Geschäftigkeit – dynamische Persönlichkeiten sind in unserer Gesellschaft an der Arbeit. Anderen Völkern glaubten wir beibringen zu müssen, wie man arbeitet. Heute müssen wir lernen, wie man lebt.
Gisbert Bölling: Einfach anders leben, Der Grüne Zweig 55, Verl. Werner Pieper, 36 S. A4.