Ist es Fortschritt, wenn Bioläden pleite machen?

Aus DER RABE RALF Februar 1998

”Fortschritt” – ein positives Wort verbindet sich für Berliner BioladnerInnen seit einigen Jahren mit fortschreitender Existenzangst.

Es begann mit einer massiven Plakatierungsaktion im Bezirk Prenzlauer Berg. 1996 wurde der erste FORTSCHRITT-Laden in der Schliemannstraße eröffnet. Die knallgelben Plakate, die den Prenzlauer Berg verklebten, warben damals wie heute mit dem Logo des DDR-Landmaschinenherstellers Fortschritt. Anfangs war noch von einer ”Einkaufsgemeinschaft e.V.” die Rede. Das ließ die Vermutung zu, daß sich hier wieder viele Leute zu einer ökologisch orientierten VerbraucherInnen- Gemeinschaft zusammenschließen wollten, einer erweiterten Food Coop, um gemeinsam Einkäufe ökologischer Waren zu organisieren. Aber nach kurzer Zeit war das ”e.V.” verschwunden, und das verschwommene FORTSCHRITT-Bild klärte sich auf: Holger Zimmermann, jung (30), dynamisch und erfolgreich, arbeitet seit 1990 als selbständiger Unternehmer; zunächst als Vertriebsleiter für die Hamburg-Mannheimer Versicherungs AG und später für die Dresdner Bank, zwei Unternehmen, die sich weder durch soziale noch ökologische Verantwortung auszeichnen. Ist er vielleicht ein Aussteiger?

Nach eigenen Angaben mag der FORTSCHRITT-Gründer ”gut essen und positive Menschen”* und ist stolz ”auf bisher 1.700 FORTSCHRITT-Mitglieder, 8 Lehrverhältnisse, 4 Vollexistenzen, 4 Vollzeitarbeitsplätze”. (Was sind Vollexistenzen?) Sein Lebensmotto lautet: ”Wer wenn nicht ich!?! Wann wenn nicht jetzt!?!”

Expansion mit allen Mitteln

Mittlerweile gibt es FORTSCHRITT-Filialen auch in Charlottenburg, Schöneberg und Mitte. Unternehmensziel ist: ”100 Franchisepartner in Deutschland”. (Das ökologisch orientierte Franchise-Unternehmen SPINNRAD hat ca. 170 bundesweite Filialen). In vielen Öko- und Alternativ-Medien und auch im Internet wird heftig geworben. Auch Bioläden und Umweltverbände werden von der teilweise aufdringlichen und platten Werbung nicht verschont. In einem Rundbrief von 24.11.97 schreibt Zimmermann: ”Wir sind der Meinung, daß alle die in einem Verein oder einer anderen Organisation für eine bessere Welt arbeiten, es verdient haben bei FORTSCHRITT einen günstigen Beitrag zu erhalten.” (Die Kommafehler sind genauso original wie die Frau, die auf einem FORTSCHRITT-Plakat mit ”Ich bin aus Baden-Württenberg” wirbt.)

Mit einem Beitrag von 30 DM pro Monat (bzw. 20 DM für die, die ”für eine bessere Welt arbeiten”) darf jede und jeder Bioprodukte preiswert einkaufen. Die Idee ist nicht neu und wird vor allem bei VerbraucherInnengemeinschaften mit eigenen Räumen praktiziert. Der Monatsbeitrag soll dabei Miete und Nebenkosten decken und Warenbestellungen vorfinanzieren. Dadurch ist es möglich, über längere Zeiträume zu kalkulieren. Saisonal bedingten Umsatzschwankungen ist man nicht so ausgesetzt wie Bioläden. Steigt die Mitgliederzahl, ist auch eine Honorarstelle für eine oder sogar mehrere MitarbeiterInnen drin. Bei geeigneter Mitgliederzahl könnte im Idealfall dann auch noch der Beitrag gesenkt werden. Das ist bei FORTSCHRITT mit seinen Expansionsbestrebungen aber nicht zu erwarten.

Öko – sonst nichts?

Nach meiner Einschätzung wächst hier ein ”Bio-ALDI” heran. ”Bioprodukte bis zu 60 % billiger!” hieß der Werbespruch auf den FORTSCHRITT-Anzeigen und Plakaten, bis dies im vergangenen September gerichtlich untersagt wurde. In der Pressemappe wird von 30 % gesprochen, die man billiger als andere Anbieter sei, wenn man Franchisenehmer bei FORTSCHRITT werde. Es ist also nicht verwunderlich, daß FORTSCHRITT das Feindbild der Bioläden ist (siehe RABE RALF Dez. 97, S. 10). Der Erfolg des Unternehmens ist aber auch eine logische Konsequenz aus der Tatsache, daß Bioläden immer noch zu teuer sind, besonders in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Realnettoeinkommen. Nur können die BioladnerInnen selbst nichts dafür. Die meisten kalkulieren sehr knapp, müssen aber auf feste Mitgliedsbeiträge verzichten, wie sie bei Food Coops und anderen VerbraucherInnengemeinschaften üblich sind. So gab es unter den Berliner und Potsdamer Läden schon die Überlegung, KundInnen durch ein Rabattsystem zu binden um somit eine ladeneigene Einkaufsgemeinschaft zu schaffen.

Wer in den letzten Jahren eine Entpolitisierung der Bioszene feststellte, irrt aber. Tatsache ist zwar, daß durch die wachsende Akzeptanz von Bioprodukten in der Bevölkerung die Diskussion um eine gerechtere Wirtschaftsweise gegenüber Natur und Mensch und damit eine grundsätzliche Gesellschaftskritik verebbt ist oder zumindest verdrängt wird. Doch es gibt eine Politisierung in eine ganz andere, in die umgekehrte Richtung. Ökologie ist seit Jahren Bestandteil wertkonservativer Ideologien. In der Zeitschrift ”natur” (Dezember 1997) werden zwei zukünftige Ökomultis vorgestellt: Karl Ludwig Schweisfurth und Günther Fielmann: ”Zwei Konzernherren als engagierte Biobauern”. Gemeint sind der ehemalige Chef des Fleisch- und Wurstkonzerns HERTA und der Dumpingkönig im Brillengeschäft. Ihre wirtschaftlichen Erfolge sollen jetzt in eigene Ökoprojekte übertragen werden. Das Gute kommt also wieder von oben…

Und selbst Sekten fassen Fuß in der Bioszene. In derselben Ausgabe berichtet ”natur”-Autor Werner Paczian über die Expansion der Sekte ”Universelles Leben” mit ihren Produkten der Marke ”Gut zum Leben”. Sein Fazit, dem ich mich anschließe, lautet: ” Die Abstimmung, ob beim Kauf von Biogemüse nur unsere Umwelt geschont wird oder auch einer Sekte nahestehende Betriebe mitfinanziert werden, findet auf den Wochenmärkten statt.”

Zurück zu FORTSCHRITT. Was ich für fragwürdig halte, ist die mit ethischen Werten gespickte Scheinargumentation, die suggerieren soll, daß FORTSCHRITT-Mitglieder ”für eine bessere Welt arbeiten”, ohne zu sagen, wie so eine Welt aussehen soll. Auf jeden Fall scheint es eine Welt ohne demokratische Mitbestimmung der ”Mitglieder” zu sein. Auch Händler werfen Holger Zimmermann rüde Umgehensweisen vor (siehe o.g. Artikel im RABEN RALF).

”FORTSCHRITT – Bioprodukte preiswert! ist außerordentliches Mitglied im Deutschen Franchise-Verband e.V. München. Das Unternehmen unterliegt damit den strengen Bestimmungen des Europäischen Franchise-Ehrenkodex.” Auch hier wird nicht erklärt, was das bedeutet. Doch sind wohl nun auch im Naturkosthandel die Zeiten vorbei, in denen faire Geschäfte eine Frage der Ehre waren. Oder?

Stefan Schrom

* Alle Zitate aus der Pressemappe von FORTSCHRITT.

P.S.: „Bibi’s Bio-Bude“ ist in die Chausseestraße (Mitte) gezogen, „Naturkost Friedrichshain“ in die Boxhagener Straße.

Franchising:

”Heute versteht man unter Franchising Vertriebs- und Dienstleistungssysteme, die selbständige Unternehmen … erlauben, ein getestetes Geschäftskonzept von einem Lizenzgeber … zu übernehmen. Der Franchise-Nehmer ist dabei auf eigenem Namen tätig. … Er profitiert von Werbe- und Marketingmaßnahmen des Systems. … Insgesamt beschäftigt die deutsche Franchise-Wirtschaft gegenwärtig 230.000 Personen. Franchising ist die zukunftsweisende Konzentration im Handel.”*

Kundenprofil des Naturkost-Einzelhandels

nach ”Sinus”-Marktforschungsstudie 1995:

44 % der Kunden besitzen eine wissenschaftliche Ausbildung in Natur- und Ingenieurwissenschaften, Medizin, Jura oder sind Freiberufler. Sie zählen zu der gehobenen Mittelschicht (technokratisch-liberales Milieu);

27 % der Kunden stammen aus dem alternativen Milieu;

14 % der Kunden gehören dem hedonistischen, lustbetonten Milieu an,

6 % der Kunden dem konservativ-gehobenen Milieu;

9 % gehören andern Milieus an.*


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