Kinder machen – spontan oder nach Plan?

Aus DER RABE RALF Juli/August 1996

Ein weiteres Beispiel für die Wahrheit des Satzes „Sie sehnen sich nach dem, was sie zerstört haben“, ist die  Reproduktionstechnologie, mit der Frauen und Männer versuchen, trotz Unfruchtbarkeit ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Während sich die Sehnsucht bei Pornographie und Sextourismus auf den fremden Körper richtet,1  ist es für Frauen bei der Reproduktionstechnik der eigene Körper und seine Gebärfähigkeit.

„Wilde Fruchtbarkeit“

Gebärfähigkeit, diese „wilde Fruchtbarkeit“ des weiblichen Körpers, wurde aber seit Beginn dieses Jahrhunderts als das größte Hindernis für die Emanzipation der Frauen angesehen und zunehmend mit mechanischen, chemischen und biologischen „Waffen“ (Verhütungsmitteln) bekämpft, bis hin zur Sterilisation. Nun läßt sich bei vielen diese Fruchtbarkeit nicht mehr nach Belieben wieder „anschalten“. Wie Renate Klein durch Untersuchungen in Australien gezeigt hat, ist die Unfruchtbarkeit von Frauen häufig eine Folge der schädlichen Langzeitwirkungen vorher benutzter Verhütungsmittel.2 Bei Männern und Frauen ist nachgewiesen, daß ihre Unfruchtbarkeit eine Folge von Dauerstreß und Umweltschäden ist.

Vom Kinderwunsch zum Retortenbaby

Für die Sehnsucht nach dem eigenen Kind gibt es viele Motive. Eins, das von vielen (fruchtbaren wie unfruchtbaren) Frauen genannt wird, ist der Wunsch, den eigenen Körper in seiner natürlichen Kreativität zu erleben, in der Fähigkeit, neues Leben zu schaffen, „am eigenen Leibe“ die lebenschaffende Naturkraft, die die ganze Natur durchwirkt, zu erfahren. Sie sehnen sich nicht nur nach dem „Produkt“ dieses schöpferischen Vorgangs, dem Kind, sondern nach dem Vorgang selbst, nach Schwangerschaft und Gebären. Diese Vorgänge werden (oder wurden) bisher zwar von Frauen beeinflußt – sie sind damit immer schon bewußt umgegangen -3, aber sie unterlagen  nicht ihrer totalen Kontrolle. Sie hatten (und haben) diese lebenschaffende Naturkraft, die sie selbst darstellen, nicht ganz im Griff. Sie blieb „wild“. Und genau das, so meine ich, war (und ist) das Ziel dieser Sehnsucht. Ein Kind zu schaffen ist eben etwas anderes als ein Auto zu konstruieren. Hier hat die Frau keine Blaupause im Kopf, nach der das Kind angefertigt wird. Sie hat Wünsche, Vorstellungen, aber das, was da tatsächlich in ihrem Körper entsteht, in Symbiose mit der Natur, die sie  ist, das hat sie nicht in der Hand, darüber verfügt sie nicht. Und es ist meines Erachtens genau dieses Nicht-Verfügen-Können, was den innersten Kern dieser Sehnsucht ausmacht, das ist das Glück, das gesucht wird. Es besteht nämlich aus Überraschung, aus dem Unerwarteten,  dem Neuen, dem, was ich  nicht schon vorher total geplant und gewußt habe. Gerade dieses Neue, die unendliche Vielfalt und Vielgestaltigkeit, die Spontaneität – das ist es ja, was uns an Kindern so entzückt. Im sogenannten Kinderwunsch drückt sich diese Sehnsucht nach der Natur, dem Ursprünglichen, Spontanen, Neuen sozusagen mit Naturgewalt aus.

Gute Hoffnung oder totale Kontrolle?

Das Verrückte daran aber ist, daß diese Befriedigung heute mit denselben Methoden und Techniken gesucht wird und auf dieselben medizinisch-technischen „Bio-Ingenieure“ vertraut, die vorher die spontane Fruchtbarkeit des weiblichen Körpers bekämpft haben. Diese können der Frau dann unter Umständen zwar ein Kind „zusammenbauen“, wenn sie vorher – stets gewaltsam – die verschiedenen „Reproduktionskomponenten“ aus dem lebendigen Zusammenhang, den die Frau darstellt, isoliert haben. Sie können ein Kind konstruieren, wie sonst ein Ingenieur ein Auto baut; sie können aber niemals die tiefe Sehnsucht der Frauen nach jenem Ursprünglichen, Spontanen, Neuen befriedigen. Im Gegenteil: An die Stelle der freudigen Erwartung, der „guten Hoffnung“, die eine natürliche Schwangerschaft begleitet, tritt die Angst, daß etwas schiefgehen könnte, und in ihrer Folge die totale Verunsicherung, die vollständige Fremdkontrolle über die Schwangerschaft und Geburt. Dadurch wird die Frau nun, wie der Mann auch, endlich gerade in diesem intimsten Vorgang ihrem eigenen Körper entfremdet, durch den sie sich wieder der Schöpferkraft ihrer eigenen weiblichen Natur versichern wollte. Und wie beim Tourismus als Natursehnsucht4 erlebt die Frau auch hier, daß sie das,  was sie sucht, zerstört, indem sie es findet, nämlich jene spontane, nicht-technische, nicht beherrschte und unterworfene „wilde“ Gebärfähigkeit.5 Ja, sie zerstört sich selbst auch noch als „lebendigen Zusammenhang“, als Person, und macht sich zu einem Apparat aus Bio-Teilen.

Fort-Schritt und Zurück-Sehnen

Ähnliche Beispiele für den Zusammenhang der gewaltsamen Zerstörung von lebendigen menschlichen und Naturzusammenhängen durch „Modernisierung und Industrialisierung“ (und der Sehnsucht nach ebendieser zuvor zerstörten Welt) und dem sich sozusagen automatisch vollziehenden technischen Fortschritt ließen sich auch noch aus vielen anderen Bereichen der heutigen Wirklichkeit anführen – zum Beispiel aus der Computerwelt, wo die Wirklichkeit durch ihre Simulation, durch „Virtual Reality“, ersetzt wird; oder aus der Autowelt, der Arbeitswelt, dem Sport. Die bis hier angeführten Beispiele sollen aber genügen, um in den nächsten Folgen aufzeigen zu können, worum es eigentlich bei dieser Natursehnsucht geht, wo ihre emotionalen und strukturellen Ursachen liegen – und schließlich, wie diese Sehnsucht endlich zu befriedigen wäre.

Maria Mies

1 siehe Teil 2, Der Rabe Ralf Juni 96

2 Renate Klein: Das Geschäft mit der Hoffnung. Erfahrungen mit der Fortpflanzungsmedizin – Frauen berichten; Berlin 1989

3 Maria Mies: Wider die Industrialisierung des Lebens. Kritik der Gen- und Reproduktionstechnik; Pfaffenweiler 1992

4 siehe Teil 1, Der Rabe Ralf Mai 96

5 Renate Klein (a.a.O.) hat ein Beispiel dokumentiert, wo eine Frau nach vielen vergeblichen Versuchen der In-vitro-Fertilisation („Retortenbaby“) aufgab und dann ganz normal schwanger wurde.


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