Erklärung der Berliner Naturschutzverbände zur geplanten Aufhebung der Fahrrinnenregelung im Müggelsee
Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz spricht sich stellvertretend für ihre Mitgliedsverbände nachdrücklich dafür aus, die jetzige Befahrensregelung für Motorboote auf dem Müggelsee beizubehalten.
Wir fordern das Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin (WSA) auf, die Fahrrinnenregelung am Müggelsee nicht aufzuheben, da das Befahren des gesamten Sees mit Motorbooten den Belangen des Naturschutzes, der ruhebezogenen Erholungsnutzung und des Trinkwasserschutzes erheblich widerspricht.
Begründung:
Die allgemeinen negativen Auswirkungen des Motorbootverkehrs, wie hohe Lärmemission, Abgase, Wellenschlag, Benzin-, Öl- und anderen Rückständen aus Bootsanstrichen im Wasser sowie die Störung anderer Nutzer des Gewässers sind hinlänglich bekannt. Nicht zu unterschätzen, ist die verstärkt auftretende Vermüllung mit Bierbüchsen, Plastikbeuteln u.ä. bei zunehmender Sportbootnutzung.
Aus Gründen des Trinkwasserschutzes ist eine restriktive Befahrensregelung notwendig. Das Wasserwerk Friedrichshagen fördert Trinkwasser aus Uferfiltrat des Müggelsees. Die Reinhaltung des Wassers des Müggelsees ist daher von größter Bedeutung.
Die geringe Wasserführung der Spree in den Sommermonaten, in denen die Motorbootfrequenz am höchsten ist, führt zu größerer Sensibilität der Gewässer auf Eintrag von gefährlichen Stoffen.
Wegen der Bedeutung des Müggelsees für den Naturhaushalt, die Erholung und den Artenschutz hat sich das Land Berlin Anfang der 90iger Jahre erfolgreich gegenüber dem Bund für eine restriktive Befahrensregelung für Motor-Sportboote stark gemacht. Seitdem darf nur in der eng begrenzten Fahrrinne gefahren werden. Diese weitreichende Regelung hat sich bewährt und sollte unbedingt aufrecht erhalten werden. Im Gegenteil sollte auch die schon erfolgte Lockerung der Fahrrinnenregelung durch die Verzweigung und Austonnung zur Gaststätte Rübezahl dringend rückgängig gemacht werden.
Die Befahrung des Müggelsees mit Booten würde die Entwicklung der Artenvielfalt im und am Müggelsee beeinträchtigen. Der Müggelsee erfüllt für Flora und Fauna die folgenden Funktionen:
* Im Berliner Raum ist der Müggelsee eines der wichtigsten Einzelgewässer für rastende Wasservögel (Taucher, Bleßrallen, Säger). Es kommen auch Arten von überregionaler Bedeutung vor. Die Vögel brauchen während ihrer Rastzeit von September bis April besonders viel Ruhe. Jede Störung, die zum Auffliegen führt, bedeutet einen Energieverlust.
* Auf dem Müggelsee befindet sich ein auch für Brandenburger Verhältnisse bedeutender Möwenschlafplatz mit bis zu 15.000 rastenden Tieren.
* Auch die Uferbereiche des Müggelsees sind Lebensraum für viele seltene und vom Aussterben bedrohte Tierarten. Der Seeadler nutzt die Müggelseeufer ganzjährig zur Nahrungssuche und ist dafür auf die ungestörten Bereiche angewiesen.
* Als bedeutende Brutvögel am Ufer konnten Drosselrohrsänger und Schellente und im Jahr 2000 erstmals auch die in Berlin sehr seltene Rohrweihe nachgewiesen werden. Für diese Vogelarten ist die Störungsarmut weiter Bereiche des Müggelsees von großer Bedeutung. Darüberhinaus kommt auch der geschützte Fischotter am Müggelsee vor.
* Im Gewässer hat sich im letzten Jahrzehnt eine reichhaltige und wertvolle Unterwasserflora entwickelt, so dass die Entwicklung zum Klarwassersee eingeleitet ist. Durch den Motorbootverkehr und die damit ausgelöste Verwirbelung des Wassers wird dieser Prozess wieder zunichte gemacht.
* An den Ufern des Müggelsees wurden in den letzten Jahren durch das Land Berlin Renaturierungs- und Röhrichtschutzprojekte für mehrere Mio. DM umgesetzt. Durch Motorbootverkehr in Ufernähe würden die Erfolge dieser Investitionen zerstört.
Eine Störung dieses bedeutenden Gewässers für rastende Wasservögel ist auch deshalb nicht zu vertreten, weil die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Bonner Konvention mit dem Wasservogelabkommen dem Schutz der wandernden Tierarten verpflichtet ist. Es müssen danach „Maßnahmen zur Erhaltung der wandernden Wasservögel“ ergriffen werden und es ist zu gewährleisten, dass für wandernde Wasservögel „..ein Netz geeigneter Habitate erhalten bleibt“..
Außerdem verpflichtet die EG-Vogelschutzrichtlinie als bindendes Recht die Staaten der EG, Maßnahmen für regelmäßig auftretende Zugvogelarten hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren Wanderungsgebieten zu ergreifen. Es ist daher nicht vertretbar das Motorbootfahren als reines Freizeitvergnügen zu genehmigen.
Zur Sicherung des Erholungswertes des Gewässers und der Uferbereiche sind unbedingt Einschränkungen des Motorbootverkehrs erforderlich. Mehr als 90% der Menschen, die als Erholungssuchende den Müggelsee nutzen, suchen vor allem Ruhe und Entspannung. Der Anteil der Motorbootfahrer liegt unter 1%. Diese wenigen Nutzer beeinträchtigen die Erho-lung des Gros der Bevölkerung.
Gute Gewässerqualität und große Artenvielfalt begünstigen bestimmte menschliche Nutzun-gen, die auch wirtschaftliche Bedeutung aufweisen: zunächst sei auf den gesteigerten Erholungswert verwiesen, der (geringen Lärmpegel vorausgesetzt) zum Wandern, Joggen, Baden einlädt und Ausflugsgäste anlockt. Berufsfischer und Angler können mit verbes-serten Fängen rechnen. Das Potential von Paddel-, Kanu- und Rudersport wird gesteigert.
Die Freizügigkeit für Motorboote in Berlin ist deutschlandweit und wohl auch europaweit einmalig. Jede Provinzgemeinde in Bayern oder Österreich hat die negativen Folgen von Motorbooten auf den Tourismus seit langem erkannt und Verbrennungsmotoren von ihren Gewässern verbannt. Die Metropole Berlin ist offensichtlich weder Willens noch in der Lage, ihren erholungssuchenden Einwohnern entsprechende Voraussetzungen zu bieten.
Touristische oder wirtschaftliche Vorteile durch die Aufhebung der Fahrrinnenregelung sind kaum vorhanden, so dass Naturschutzbelange und die Interessen des größten Teils der Erholungssuchenden stärker wiegen als das Vergnügen weniger und die wirtschaftlichen Interessen einiger Gaststätten am Ufer. Die Personenschifffahrt bringt die Menge an Gaststättenbesuchern, die nachweislich wenigen zusätzlichen Besucher durch Motorbootfahrer wiegen in keiner Weise die durch sie hervorgerufenen ökologischen Schädigungen auf.
Für die Abwägung der verschiedenen Belange sei aber nochmals eindringlich darauf hinge-wiesen, dass unbeschränkter Motorbootverkehr auf dem Müggelsee nicht nur Natur und Umwelt in Mitleidenschaft zieht, sondern sich auch nachteilig auf andere Nutzungen auswirkt.
Die Berliner Verbände treten dafür ein, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h zu begrenzen und auch für den Dämmeritzsee und den Kleinen Müggelsee Beschränkungen der Motorbootbefahrung zu veranlassen.
Darüber hinaus fordern die Berliner Naturschutzverbände:
* Die Einstufung des Müggelsees als Bundeswasserstraße ist ein Anachronismus, der inhaltlich nicht zu begründen ist, sondern allein aus der Weigerung des Landes Berlin herrührt, für die Unterhaltskosten aufzukommen.
* Güterschifffahrt findet auf dem Müggelsee nicht mehr statt. Von der Berufsschifffahrt hat nur die Fahrgastschifffahrt nennenswerte Bedeutung, die ohne Einschränkungen auch auf Landeswasserstraßen möglich ist. Die besondere Bedeutung des Müggelsees als Erholungsgebiet, Naturraum und Trinkwasserreservoir würde auch die vollständige Sperrung des Müggelsees für die Motorbootschifffahrt rechtfertigen. Die derzeitige Fahrrinnenregelung stellt insofern nur eine Kompromisslösung dar. Zu verhindern wäre in jedem Falle die weitere Anlage von Motorbootliegeplätzen am Müggelsee!
* Innerhalb der nächsten zwei Jahre wird die bereits im europäischen Recht verankerte Zielstellung, natürliche Gewässer in einen guten ökologischen und chemischen Zustand zu überführen ohnehin in bundesdeutschem Recht verankert. Die (Neu-)Regelung der Müggelseebefahrung muss diesem Ziel sinnvollerweise Rechnung tragen, um nicht innerhalb kurzer Zeit wieder in Frage gestellt zu werden.
* Auf allen Berliner Gewässern müssen ausgedehnte Schutzzonen für Wasservögel, Biber und Fischotter ausgewiesen werden. Eine generelle Geschwindigkeitsbeschränkung auf 10 km/h, im ufernahen Bereich bis 100 m Abstand auf 4 km/h, ist notwendig. Sog- und wellenschlagvermeidende Fahrweise wird Pflicht. Es muss eine strengere Überwachung der Ge- und Verbote stattfinden.
* Eine Besteuerung von Motorbooten – zu denen im übrigen auch Segelyachten gehören – in Abhängigkeit von der Motorleistung und von der Emission (Lärm, Öl, Benzin, Diesel) würden wir im Grundsatz begrüßen. Die Verursacher müssen an den Kosten zur Beseitigung der Uferzerstörung beteiligt werden
Die Wasserstraßendirektion beruft sich auf § 5 Bundeswasserstraßengesetz, wonach jedermann mit Wasserfahrzeugen die Bundeswasserstraßen befahren darf. Wenn einschränkende Regelungen getroffen werden, so muss es gute Begründungen geben.
Unseres Erachtens rechtfertigen die oben genannten Gründe des Naturschutzes, der naturbezogenen Erholungsnutzung und der Trinkwassergewinnung aus Uferfiltrat ein Verbot für Motorboote.