Aus DER RABE RALF Oktober/November 2020, Seite 12
„Genome Editing“ muss in Europa streng reguliert werden, sagt der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling
Die Hoffnungen, die in den Einsatz sogenannter Genome-Editing-Technologien in der Landwirtschaft gesetzt werden, sind groß: Neue gentechnische Verfahren wie die Genschere Crispr/Cas sollen die EU aus der Agrarkrise führen – durch die beschleunigte Züchtung von Nutzpflanzen, die klimaangepasst und ertragreicher sind und obendrein weniger Pestizide benötigen sollen. Doch derzeit verhindert das Gentechnikrecht der EU die breite Markteinführung Genom-editierter Pflanzen. Zu teuer und zeitintensiv das Zulassungsverfahren, zu hinderlich die vorgeschriebene Kennzeichnungspflicht als „gentechnisch verändert“ – die großen Agrarunternehmen und ihre Verbände fordern Erleichterungen. In Brüssel wird deshalb über eine Änderung der entsprechenden Gesetzgebung diskutiert. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, über mögliche Gewinner und Verlierer.
Der Rabe Ralf: Herr Häusling, aus welchen Kreisen stammen eigentlich die Hauptbefürworter einer Novelle des europäischen Gentechnikrechts?
Martin Häusling: Das sind vor allem die großen Saatgutfirmen und Chemiekonzerne – also Bayer, BASF und Co –, dann der europäische Bauernverband Copa-Cogeca, der sich mit dem Argument dafür ausspricht: „Wir brauchen doch jetzt neue Möglichkeiten“, und natürlich die Forschungseinrichtungen, die auf neuen Geldsegen hoffen. Denn schlussendlich geht es ja um Milliardenbeträge, die in diesen Forschungsbereich hineinfließen.
Tatsächlich tritt vor allem die Wissenschaft in letzter Zeit immer stärker für eine Ausklammerung von Genome-Editing-Technologien aus der Gentechnikgesetzgebung ein.
(Lacht) Alle Gentechnikwissenschaftler sind für Gentechnik? Ja logisch, sie leben ja davon! Diejenigen Wissenschaftler, die sich jetzt für die neue Gentechnik aussprechen, sind fast ausschließlich in die entsprechende Forschung involviert. Es ist ja nicht so, dass sie uneigennützig die Welt ernähren wollen. Sondern am Ende des Tages geht es um Milliarden für Forschungsaufträge. Und Universitäten leben nun mal von Forschungsaufträgen.
Mehr als 100 Nobelpreisträger plädieren seit Jahren für den Einsatz von Grüner Gentechnik in der Landwirtschaft. Und auch der Weltklimarat IPCC hat sich 2019 in einem Sonderbericht zum Thema Klimawandel und Landsysteme für die Züchtung besser angepasster Nutzpflanzen ausgesprochen – unter anderem mit Hilfe von Genome-Editing-Technologien.
Das Statement von ENSSER, dem Europäischen Netzwerk von Wissenschaftlern für soziale und ökologische Verantwortung, mit der Forderung einer strengen Regulierung der neuen Gentechnik haben auch sehr viele Wissenschaftler unterschrieben. Es ist also nicht so, dass sich die Mehrheit der Wissenschaftler da einig wäre. Es gibt durchaus eine sehr kritische Strömung zur Gentechnik – auch unter Wissenschaftlern. Und der Weltklimarat hat ja nur gesagt, genomeditierte Pflanzen „könnten“ eine Möglichkeit sein. Ein wahnsinnig befürwortendes Plädoyer hört sich da anders an.
Ich glaube, dass man sich klarmachen muss, dass die Gentechnik für die Klimakrise nun wirklich keine Antwort bietet. Denn dieser Hype, der da zum Beispiel in puncto Trockenheitstoleranz ausgelöst wird – wir könnten jetzt plötzlich Pflanzen entwickeln, die nur noch halb so viel Wasser brauchen – ist purer Unsinn! Nehmen wir mal unsere Landwirtschaft hier in Mitteleuropa. Da können Sie keine Pflanzen züchten, die lediglich mit der Hälfte des Wassers auskommen. Das ist bei Pflanzen wie Reis natürlich anders. Da gibt es Trocken-, Feucht- und Nassreis – das sind aber unterschiedliche Anbaumethoden.
Eigenschaften wie Trocken- oder Salztoleranz hingegen sind polygene Merkmale, das heißt sie beruhen auf mehreren Genen und sind nicht durch einfache Veränderungen wie eine Punktmutation zu erreichen. Da müsste man schon sehr viele Gene verändern – und man weiß noch nicht einmal genau, welche alle. Und falls es doch klappen sollte, heißt das noch lange nicht, dass dann auch der Ertrag befriedigend ist. Selbst in den USA oder in Südamerika, wo diese Pflanzen kaum reguliert sind, hört man jetzt nicht viel davon, dass mit den neuen Technologien tatsächlich große Entwicklungssprünge gemacht worden wären. Im Gegenteil: Wir hören von Ernteeinbrüchen und Superunkräutern.
Was wir wirklich dringend ändern müssen, sind unsere Anbausysteme, nicht einzelne Pflanzen: Weg von den Monokulturen, hin zu mehr Fruchtfolgen und Biodiversität!
Trotzdem herrscht ja bei den Genscheren weltweit Euphorie über die Fülle an Eigenschaften, die schon durch einfache Punktmutationen erzeugt werden können – zum Beispiel bestimmte Schädlingsresistenzen, wodurch man wiederum Pestizide einsparen könnte.
Schädlingsbekämpfung ist immer nur eine Symptombekämpfung, wenn man im Anbausystem etwas falsch gemacht hat. Der Einsatz von Mineraldünger führt beispielsweise zu Mangelernährung im Boden, zu einem Rückgang der biologischen Aktivität, zu Strukturverlust und Verdichtung und damit zu verminderter Wasseraufnahme und -speicherung. Und er macht Pflanzen anfällig, das weiß man schon lange. Dementsprechend wurden dann Pestizide entwickelt, um dieses System am Leben zu halten.
Der Ökolandbau macht es anders, wenn auch noch nicht perfekt: Ein ausgewogenes System, das agrarökologischen Regeln entspricht, kommt ohne Pestizide aus und ohne Gentechnik. Was also ist daran fortschrittlich? Es ist viel innovativer und sinnvoller, gesunde Pflanzen in einem gesunden System anzubauen, die keine Risikotechnologie brauchen, um zu wachsen.
Aber warum dieses kategorische Nein? Könnte es nicht durchaus sinnvoll sein, auch einzelne genomeditierte Sorten – etwa mit bestimmten Schädlingsresistenzen – in nachhaltige Anbausysteme zu integrieren?
Warum eine teure und risikoreiche Technik nutzen, die die ökologische Interaktion mit der Umwelt – die natürliche Pflanzen ja nutzen, um sich zu schützen – komplett ignoriert?
Sie sprechen bewusst von einer „Risikotechnologie“. Viele Studien der letzten Jahre sind jedoch zu dem Schluss gekommen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen nicht mit erhöhten Risiken für Umwelt und Verbraucher einhergehen.
Studien, die da keine Risiken sehen, machen eben wieder genau das: Sie ignorieren die flexible Interaktion von Genen und Umwelt. Mich überzeugen sie nicht. Dagegen gibt es zahlreiche Studien, in denen sogenannte Off-Target-Effekte dokumentiert wurden, die niemand vorausgesehen hat. Damit sind dann ja wohl die Argumente der anderen Studien widerlegt!
Als Hauptbefürworter einer Gesetzesnovelle haben Sie eben die großen Saatgut- und Chemiekonzerne genannt. Inwiefern würde denn diese Gruppe von einer Gesetzesänderung profitieren?
In erster Linie geht es um die Kennzeichnungspflicht, die man loswerden will. Denn wenn nachher auf einem Produkt „Gentechnik“ steht, kann man es in Europa nur schwer vermarkten. Momentan hat der Verbraucher bei uns ja noch die Wahlfreiheit, ob er gentechnisch veränderte Produkte konsumieren möchte oder nicht. Und die Mehrheit lehnt es ab.
Außerdem wollen die Konzerne das Saatgutrecht aushebeln. Bislang bietet das europäische Recht – im Gegensatz zum amerikanischen Recht – noch einen relativ guten Schutz für die Bauern und auch für kleine Saatgutfirmen. Aber mit dem Einzug der Gentechnik wäre das anders, denn Gentechnik fällt klar unter das Patentrecht. Und Konzerne wie Bayer, die global aufgestellt sind, versprechen sich dadurch am meisten Einnahmen – und natürlich auch Kontrolle über unser Ernährungssystem.
Das müssen Sie erklären!
Die Patente werden ja nicht nur für die neu gezüchtete Eigenschaft beantragt, sondern für alle Pflanzen, Produkte und Produktlinien, die daraus entstehen – also zum Beispiel das Ketchup bei Tomaten. Und flugs kassiert man an all diesen Produkten mit und beherrscht durch Lizenzvergabe den Markt.
Auch Euroseeds, der europäische Verband der Pflanzenzüchter, setzt sich für eine Novelle des Gentechnikrechts ein. Dieser Verband vertritt aber doch auch klein- und mittelständische Unternehmen – nicht nur die Großen.
Na ja, da ist in den letzten Jahren ein großes Brainwashing gelaufen. Kleinen und mittelständischen Züchtern hat man immer erzählt: „Das ist alles so einfach und billig. Das kann quasi jeder machen.“ Und viele der Kleinen haben wirklich geglaubt, dass sie sich da anschließen können. Sie haben aber nicht bedacht, dass die meisten Patente im Bereich der neuen Gentechnikmethoden schon vergeben sind – und zwar an die Großen: an Bayer, Corteva, Syngenta und BASF.
Zum anderen ist Euroseeds auch nicht die Vereinigung kleiner und mittelständischer Züchter. Nach wie vor läuft ja ein gigantischer Konzentrationsprozess in der Branche. Das kommt einem zwar oft nicht so vor, weil auf den Saatgutverpackungen immer noch viele verschiedene Firmen stehen. Aber die meisten davon befinden sich unter dem Dach einer großen Firma. Die Hild Samen GmbH zum Beispiel, die viele Gemüsesorten züchtet und auch für den Gärtnerbereich tätig ist, ist eigentlich ein Ableger von Bayer. Das heißt: Scheinbar kleine Firmen gehören zu einem großen Firmengeflecht. Und Euroseeds ist definitiv eine Vereinigung, in der die Großen den Ton angeben.
Und warum plädiert Ihrer Meinung nach der europäische Bauernverband für eine Änderung des Gentechnikrechts?
Allgemein herrscht so eine Art neue Technikgläubigkeit, dass alle Probleme jetzt irgendwie aus den Laboren heraus gelöst werden können oder durch Präzisionslandwirtschaft. Auch da hat man in den letzten Jahren viel dafür getan von Seiten der Lobby, dass den Bauern das suggeriert wurde. Außerdem vertritt der europäische Bauernverband Copa-Cogeca ja nicht nur die Bauern. Er behauptet das zwar immer gerne, aber er ist auch ganz eng mit der Industrie verflochten über Aufsichtsräte und andere Funktionen.
Diese Präzisionslandwirtschaft, die Sie gerade erwähnten, findet sich auch im Diskussionspapier zur Ackerbaustrategie 2035 von Agrarministerin Julia Klöckner. Da geht es viel um zentrale Datenerfassung – und auch um genomeditierte Pflanzen.
Ja, das ist auch bei der EU-Kommission der Fall, wenn sie ihre Zukunftsmodelle entwirft. Da ist oft von Hightech die Rede, es wird viel auf Digitalisierung gesetzt. Das haben wir auch schon ein paar Mal hier in den Diskussionen in Brüssel angesprochen. Denn wichtig ist ja vor allem: Wem gehören am Ende die Daten? Die großen Chemie- und Saatgutfirmen sind natürlich in erster Linie daran interessiert, auf Basis all dieser Daten ihre digitalen Techniken, ihr gentechnisch verändertes Saatgut und ihre Spritzmittel zu verkaufen. Dabei wurde der Beweis dafür, dass man zum Beispiel mit Präzisionstechnik weniger Pflanzenschutzmittel ausbringt, noch gar nicht erbracht. Und wenn es um Innovationen für die Zukunft geht: Der Ökolandbau ist aus meiner Sicht die eigentliche Innovation!
Apropos Ökolandbau: Was würde eigentlich mit dem europäischen Biolandbau passieren, falls das Gentechnikrecht geändert würde?
Beim Ökolandbau darf ja prinzipiell keine Gentechnik eingesetzt werden – auch keine neue Gentechnik. Würde das Gesetz geändert, müsste der Biolandbau wieder eigene Kontrollsysteme aufbauen. Das widerspricht sowohl einem fairen Wettbewerb als auch dem Verursacherprinzip. Deshalb ist ganz klar, dass wir ein Standortregister brauchen. Wir brauchen ein gutes Haftungsrecht, und wir brauchen Entschädigungen, falls Waren von Biobauern kontaminiert werden. Und falls wir in den nächsten drei Jahren tatsächlich mal das Ziel „20 Prozent Ökolandbau“ erreichen sollten, gäbe es erhebliche Konflikte auf dem Land, wenn es um die Vermeidung von Gentechnik ginge.
Nun gibt es ja durchaus prominente Vertreter des Ökolandbaus wie Urs Niggli, den ehemaligen Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in der Schweiz, die sich sicher sind, dass die neuen Technologien die europäische Landwirtschaft nicht nur ertragreicher, sondern auch umweltfreundlicher machen können.
Damit ist er aber – und das kann man nur immer wieder sagen – in der ganzen Bioszene auf einsamem Posten. Ich kenne keinen Verbandsvertreter, keinen Biobauern, der irgendwie sagt: „Da hat der Urs aber recht.“ Er ist ein hochgeschätzter Vertreter des ökologischen Landbaus, doch damit hat er sich ein Stück weit sein Renommee kaputtgemacht.
Aber selbst in Ihrer eigenen Partei werden doch Stimmen lauter, die meinen, man solle sich den neuen Methoden nicht kategorisch verschließen.
Ich kenne die paar Personen aus dem Umfeld des Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben und aus dem dortigen Sachsen-Anhalt. Da gibt es einen Beschluss der Grünen Jugend mit 100 Leuten, dass sie eine offenere Haltung gegenüber den neuen Technologien anstreben. Und auch das kürzlich veröffentlichte Positionspapier von einigen Grünen-Mitgliedern ist eben eine Meinungsäußerung von 22 Personen. Doch von mehreren Landesverbänden und auf Bundesebene gibt es klare Beschlüsse, die die neue Gentechnik stark regulieren wollen und sich gegen ihren Einsatz in der Landwirtschaft aussprechen. Eben weil dies aus den oben genannten Gründen für eine nicht zielführende Technologie gehalten wird!
Außerdem muss man eines mal ganz klar sagen: In Europa ist Gentechnik ja nicht verboten – weder die alte noch die neue. Gentechnisch veränderte Pflanzen werden ja auch in Spanien angebaut. Aber wir haben halt klare Regeln. Und die umfassen nun mal unter anderem das Anbauregister und die Kennzeichnung – das gehört zum europäischen Vorsorgeprinzip dazu. Und wer das in Frage stellt, stellt die ganze Vorsorgepolitik grundsätzlich in Frage. Bayer und andere forschen ja auch im Bereich der neuen Gentechnik. Nur ob sie sich nachher trauen, diese Produkte dann mit dem Gentechnik-Label auf den Markt zu bringen – das ist eine andere Frage. Das Argument, dass das geltende Gentechnikrecht „veraltet“ wäre, ist aus meiner Sicht nur vorgeschoben: Eigentlich will man die Kennzeichnung verhindern, weil die Verbraucher die Lebensmittel dann erkennen können und nicht mehr kaufen.
Nicht zuletzt wären ja auch die Supermärkte und Lebensmittelhersteller in besonderem Maße von einer fehlenden Gentechnik-Kennzeichnung betroffen.
Ja, und kurz nachdem der Europäische Gerichtshof im Juli 2018 sein Urteil verkündet hat, dass das Gentechnikrecht auch für die neue Gentechnik gilt, haben selbst die großen Handelsketten gesagt, dass sie kein Interesse an gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln haben. Das ist doch eine klare und eindeutige Aussage.
Ich glaube auch, dass viele Argumente der Befürworterseite einfach nicht haltbar sind. Zum einen hat die Bevölkerung kein Interesse daran, gentechnisch veränderte Lebensmittel auf den Tisch zu bekommen. Zum anderen sind wir auch nicht in einer Situation, wo man nach dem letzten Strohhalm greifen müsste. Wir haben keine Ernährungs- oder Versorgungskrise! Wir haben weltweit eine Verteilungskrise.
Haben Sie einen Überblick darüber, welche Summen öffentlicher Forschungsgelder derzeit für Genome-Editing-Technologien ausgegeben werden?
Die Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen von 2019 ergab allein für Deutschland im Zeitraum von 2012 bis 2020 über 60 Millionen Euro – und für ein weiteres Großprojekt bis zum Jahr 2025 nochmal 40 Millionen Euro Fördergelder.
Und zusätzlich gibt es noch einen ganz großen privaten Sponsor dieser Technologien, das ist die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die weltweit einen Haufen Gelder an die neue Gentechnik verteilt. Da geht es richtig um Milliarden-Beträge. Das kann man ja auch alles machen, nur gibt es eben nach wie vor dieses eklatante Missverhältnis, dass in die Forschungsförderung der ökologischen Landwirtschaft höchstens zwei Prozent der europäischen landwirtschaftlichen Forschungsmittel fließen, und das ist wirklich ein Problem! In Deutschland sind es auch nur etwa zwei Prozent – und das trotz des Öko-Aktionsplans der Bundesregierung!
Werden zurzeit eigentlich Nachweisverfahren entwickelt, um bei Importen aus dem außereuropäischen Ausland genomeditierte Lebensmittel identifizieren zu können?
Nein, und eigentlich müsste die EU-Kommission jetzt mal richtig Haltung beweisen und sagen: „Für Importe gilt das europäische Gentechnikrecht, und diese Importe sind so nicht erlaubt oder müssen von der EFSA genehmigt werden“, also von der europäischen Lebensmittelbehörde. Wir haben die Kommission auch schon zweimal angemahnt, dass sie entsprechende Verfahren entwickeln muss. Sie schläft da derzeit aber den Schlaf der Gerechten – nach dem Motto „wir wissen von nichts“.
Oft ist auch zu hören, genomeditierte Produkte ließen sich gar nicht richtig regulieren, weil sie nicht von Produkten aus konventioneller Zucht zu unterscheiden seien. Das ist aber falsch! Natürlich könnte man Nachweise über den gentechnischen Eingriff liefern, denn es ist doch klar: Wenn etwas dem Patentschutz unterliegt, hat ja auch die entsprechende Firma ein großes Interesse daran, dass man die gentechnischen Veränderungen bei den Waren nachweisen kann. Deshalb werden die Firmen am Ende des Tages auch ihre eigenen Nachweisverfahren entwickeln.
Vielleicht wird das Thema aber auch deshalb noch nicht so heiß gekocht, weil noch gar nicht so viele genomeditierte Sorten auf dem Markt sind. Wie gesagt: Der große Hype, von dem da immer die Rede ist – und die USA haben Genome Editing ja nun wirklich kaum reguliert –, der ist bislang ausgeblieben. Das sind im Wesentlichen Luftnummern!
Für wie wahrscheinlich halten Sie denn nun eigentlich eine Änderung des europäischen Gentechnikrechts?
In Brüssel sprechen sich derzeit viele für eine Änderung aus. Aber jetzt wurde erst mal ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die Mitgliedsländer diskutieren. Und auch die EU-Kommission wird sich damit beschäftigen. Außerdem steht ja das Urteil des obersten europäischen Gerichts, das Genome Editing klar als Gentechnik einordnet. Und man kann jetzt nicht mal eben hingehen, das Gesetz ändern und das Urteil aushebeln. Man kann auch nicht so einfach ein neues Gesetz auf den Tisch legen, denn das würde das ganze europäische Vorsorgeprinzip aushebeln. Also: So einfach, wie das viele nach dem Gerichtsurteil gedacht haben, ist das nicht. Und ich rechne auch nicht damit, dass es in dieser Legislaturperiode noch durchgeht. Es sei denn, man trickst ganz gewaltig.
Martin Häusling ist seit 2009 agrarpolitischer Sprecher der Fraktion der Grünen im Europaparlament und Mitglied im Agrar- und Umweltausschuss. In Brüssel kämpft Häusling vor allem für eine ökologischere Reform der EU-Agrarpolitik. Darüber hinaus engagiert er sich unter anderem gegen Agro-Gentechnik, Pestizide und Patente auf Leben sowie für Artenschutz, Tierschutz und Tiergesundheit.
Das Gespräch führte Angela Lieber. Sie ist Journalistin mit den Schwerpunkten Umwelt, Agrarpolitik und Gesundheit.