Vom Lithiumabbau zum Elektroauto

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2024, Seite 14

Die dunkle Seite der grünen Wirtschaft – ein Blick von verschiedenen Seiten der Welt

Atacama-Salzsee in Chile: Seitdem Lithium abgebaut wird, geht der Bestand an Flamingos zurück. (Foto: Monica Volpin/​Pixabay)

Die grüne Wirtschaft verspricht, kurz gesagt, einen ökonomischen Wandel, der die negativen Auswirkungen fossiler Brennstoffe hinter sich lässt. Doch wie steht es dabei um die Demokratie, etwa die Legitimität der Ressourcengewinnung oder die Rechte von Betroffenen in den Abbau- und Produktionsstätten?

Die Atacama-Salzwüste in Chile und die Tesla-Fabrik in Grünheide bei Berlin mögen wie verschiedene Welten erscheinen, eingebettet in ganz unterschiedliche Zusammenhänge, mit eigener Geschichte und eigenen Geschichten. Doch teilen sie ein gemeinsames Merkmal: die Durchsetzung von industriellen Projekten, die unter dem Label der nachhaltigen Entwicklung und dem Versprechen des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft starke soziale und ökologische Konflikte entfesseln. Die beiden Orte an entgegengesetzten Punkten des Globus stehen für Anfang und Ende der Liefer- und Produktionskette einer neuen, grünen Ökonomie, sie sind aber auch indirekt miteinander verbunden in einer gemeinsamen systemischen Auseinandersetzung. Sie stehen stellvertretend für eine Seite der „grünen Wirtschaft“, in der soziale und ökologische Auswirkungen zugunsten eines Fortschritts übersehen werden, der insgesamt nur wenigen zugutekommt und auf Kosten vieler geht.

Lithiumgewinnung benötigt sehr viel Wasser

Lithium ist ein entscheidendes Mineral für die Energiewende, vor allem in Batterien für Elektrofahrzeuge. Die Nachfrage nach Mineralien hat mit dem Anstieg der Produktion von Elektroautos deutlich zugenommen. Laut der Internationalen Energieagentur wird sich die weltweite Zahl von Elektrofahrzeugen bis 2030 etwa verzehnfachen – auf 250 Millionen.

Die umfangreichen Lithiumvorkommen in der Atacamawüste sind eine große Chance und werden von politischen Vertretern als Rettungsanker für die eigene Wirtschaft betrachtet, die auf der Suche nach einer neuen Fortschrittserzählung ist. Allerdings erfordert die Lithiumgewinnung eine intensive Nutzung der Grundwasserressourcen unter dem Salar de Atacama. Das Lithium wird in der Regel aus salzhaltigen Lagerstätten gewonnen, wo das Mineral in sehr geringen Konzentrationen im Grundwasser gelöst ist. Das Salzwasser wird hochgepumpt und in große offene Becken geleitet, wo es verdunstet. Die übrig bleibenden Mineralien können gesammelt und zur Lithiumgewinnung weiterverarbeitet werden. Bei einigen Gewinnungsmethoden wird auch Wasser durch das mineralisierte Material gepumpt, um das Lithium und andere interessante Mineralien herauszulösen. Dieser Prozess kann große Mengen Wasser benötigen.

Das hat erhebliche Umweltauswirkungen, besonders in Regionen, wo Wasser ein knappes Gut ist und seine Gewinnung die Ökosysteme und Gemeinden beeinträchtigen kann, die für ihre Grundbedürfnisse darauf angewiesen sind.

In der Atacamawüste – der trockensten Wüste der Welt – sind die Grundwasserreserven lebenswichtige Ressourcen für das Überleben der endemischen Flora und Fauna sowie als Grundlage für Landbau und Viehzucht. Die Atacama ist auch seit den 1990er Jahren ein rechtlich geschütztes „Indigenes Entwicklungsgebiet“. Das Abpumpen von Grundwasser bedeutet, dass der Zugang zu frischem Wasser für die Bewohner der Region eingeschränkt wird. Die regionalen Umweltauswirkungen gefährden ökologisch und kulturell besonders sensible Gebiete, in denen indigene Gemeinschaften wie die Lickanantay und Atacameño ihre traditionelle Lebensweise durch die verstärkte Lithiumförderung bedroht sehen.

2023 schlug die chilenische Regierung die Verstaatlichung der Lithiumvorkommen vor, um Abbau und Nutzung des Minerals besser kontrollieren zu können, als wenn es in den Händen ausländischer Unternehmen bleibt. Die neue Strategie sieht die Beteiligung lokaler Gemeinschaften an Entscheidungen der Industrie vor und enthält verschiedene Vorschläge für mehr Nachhaltigkeit bei der Förderung. Allerdings hat der Staat in diesem Sektor weniger betriebswirtschaftliche Erfahrung als beim Kupferabbau. Passende Lenkungsmechanismen zur wirksamen Beteiligung lokaler Gemeinschaften müssen erst noch gefunden werden.

Große Chance oder unerkannte Gefahren?

Auf der hiesigen Seite der Welt wird die Ansiedlung von Tesla in Grünheide seit 2020 ebenfalls als große Chance zur wirtschaftlichen Entwicklung dargestellt. Sie geschieht in einer strukturschwachen Region und galt von Anfang an als wichtiger Schritt hin zu einer grünen Wirtschaft – durch die Produktion von Elektroautos. Doch der Bau der Fabrik wie auch ihre nun geplante Erweiterung finden in Gebieten von hohem wasserwirtschaftlichem Wert statt, in der Nähe wichtiger Grundwasserreserven, was die Wasserversorgung der Region durchaus weiter erschweren könnte.

Darüber hinaus widerspricht der Eingriff in die Natur dem Auftrag der ersten bundesweiten Wasserstrategie, die im Mai 2023 verabschiedet wurde. Die Strategie, die auch die Auswirkungen der Klimakrise berücksichtigt, schreibt vor, bis 2050 „Wasserverfügbarkeit und Wasserverbrauch im Sinne eines nachhaltigen Umgangs in Einklang zu bringen, um unter anderem dem Absinken der Grundwasserstände entgegenzuwirken“.

Die riesige Tesla-Autofabrik hat bei Anwohnern und Umweltschützern Besorgnis ausgelöst. Sie befürchten, dass die Wasserentnahme für die Fabrik die regionalen Ressourcen überbeanspruchen und die Wasserqualität für die Bevölkerung und die umliegenden Ökosysteme beeinträchtigen könnte. Von Anfang an hat das Tesla-Projekt in Grünheide für eine Spaltung in zwei Gruppen gesorgt: Die einen befürworten die wirtschaftliche Belebung, auf die viele in der Region hoffen – die anderen sorgen sich wegen der Auswirkungen auf die Umwelt, vor allem auf das hydrologische System.

Bürgerbeteiligung darf kein Selbstzweck sein

Sowohl in der Atacamawüste als auch in Grünheide wurden die Bürgerbeteiligung und das Recht auf vorherige Konsultation in den Hintergrund gedrängt, kritische Stimmen vor Ort ignoriert und Warnungen von Wissenschaftlern und Behörden vor den sozialen und ökologischen Auswirkungen in den Wind geschlagen. Das Versprechen eines rohstoffpolitischen Konsenses bei der nachhaltigen Umgestaltung des Automobilsektors eines hochentwickelten Landes verblasst angesichts der Realität von übergangenen Gemeinden und angespannten Ökosystemen.

In diesem Zusammenhang erweist sich kollektives Handeln als notwendiges Gegengewicht zur übermäßigen Macht von Unternehmens- und Regierungsinteressen. Lokale Alternativvorschläge zielen nicht nur darauf ab, die betroffenen Gemeinden zu schützen, sie stellen in einigen Fällen auch die vorherrschende Entwicklungs- und Fortschrittserzählung infrage. Vor-Ort-Beteiligung ist dabei mehr als das bloße Gebot, benachteiligte Gemeinschaften in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Sie stellt eine Gegenkraft zu Entscheidungen dar, die von Machtzirkeln getroffen werden, im privaten wie im öffentlichen Sektor. Auch für die Demokratie ist es entscheidend, die tatsächlichen Auswirkungen vor Ort vollständig zu verstehen, da die Gemeinden selbst am besten wissen, wie sie von diesen Projekten betroffen sind.

Globale Projekte zur Gewinnung natürlicher Ressourcen und zur Produktion erneuerbarer Energie in ökologisch und sozial komplexen Strukturen erfordern neue politische Formen. Vielfältige lokale Faktoren müssen berücksichtigt werden, vom Umweltschutz über das Wohl der örtlichen Bevölkerung bis zur wirklichen Nachhaltigkeit auf lange Sicht. Die Einbeziehung der Menschen in die Entscheidungsfindung zu den Fragen, die sie betreffen, erlaubt eine umfassende und ausgewogene Betrachtung – was wiederum Lösungen fördert, die sowohl die natürliche Umwelt als auch die Lebensqualität der Bewohner respektieren. In diesem Sinne ist Beteiligung kein Selbstzweck, um ausgegrenzte Bevölkerungsteile einzubinden, sondern ein Mittel, um eine fundierte Entscheidungsfindung in hochkomplexen Systemen zu fördern.

Dasselbe in Grün?

Letztendlich geht es darum, die Auswirkungen der Produktionsketten der neuen grünen Wirtschaft zu verstehen, von der Lithiumgewinnung im chilenischen Salar de Atacama bis zur Endfertigung von Elektroautos an Orten wie der Tesla-Fabrik in Grünheide.

Indem sie eine nachhaltige Zukunft verspricht und zugleich die Kosten für Rohstoffgewinnung und Produktion externalisiert, also andere bezahlen lässt, teilt die grüne Wirtschaft noch immer viele Mängel des fossilen Kapitalismus. Werden diese externalisierten Umweltkosten gerecht bezahlt, sind auch viele grüne Technologien nicht mehr nachhaltig.

Wie sieht unsere Zukunft aus? Wird das neue Modell die übermäßige Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die soziale Ungleichheit fortschreiben, mit von oben auferlegten Entscheidungen? Oder wird dies eine Welt sein, in der nicht nur die Umwelt geschützt wird, sondern der Respekt für das Leben in all seinen Formen durch eine breite und umfassende Entscheidungsfindung Vorrang hat?

Die Antwort liegt in unserer Fähigkeit, unsere Stimme für einen echten Wandel zu einer gerechten und nachhaltigen Zukunft für alle zu erheben. Die Probleme des fossilen Kapitalismus hinter uns zu lassen, erfordert nicht nur neue Technologien – wie Elektrofahrzeuge –, sondern auch neue politische Mechanismen, damit wir informierte und gerechte Entscheidungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Produktionsketten in der grünen Wirtschaft treffen können.

Ingo Gentes, Pablo Policzer

Aktualisierte Version eines Artikels in der chilenischen Ausgabe von Le Monde diplomatique vom März 2024. Ingo Gentes ist promovierter Politik- und Sozialwissenschaftler (FU Berlin) und lehrt Anthropologie in Santiago de Chile. Pablo Policzer ist Professor für Politikwissenschaften und Inhaber des Lehrstuhls für lateinamerikanische Politik an der Universität Calgary (Kanada).

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