Wenn Wasser fehlt

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2022, Seite 1

Gehen Berlin und Brandenburg einer trockenen Zukunft entgegen?

Grüne-Liga-Projekt in der Gemeinschaftsunterkunft Paul-Schwenk-Straße in Berlin-Marzahn. (Foto: Ines Fischer)

„Alles ist aus dem Wasser entsprungen! Alles wird durch Wasser erhalten!“ So schäumt es erhaben aus Goethes Faust. Der leisere Hölderlin säuselt lieber ehrfurchtsvoll vom „Geheimnis der Wasser“. Wir normalsterbliche Nordhalbkugler sehen es nüchtern: Für uns ist Wasser etwas Selbstverständliches, beinahe banales. Etwas, über das man nicht groß nachdenkt. Es kommt einfach vom Himmel oder aus dem Hahn. Sogar seinen chemischen Aufbau kann man sich leicht merken. Es ist allgegenwärtig. Der ganze Planet ist blau. Der Spruch „Wasser ist Leben“ ist dermaßen wahr, dass er zur Floskel geworden ist.

Und doch spuken Brunnenvergifter durch unsere Albträume. Und doch fürchten wir Hormone im Leitungswasser und Mikroplastik in Wasserflaschen. Berechtigte Sorgen mischen sich mit Paranoia. Manch einer spricht dem bei Vollmond abgefüllten Nass magische Wirkungen zu. Andere spüren verborgenen Wasseradern mit der Wünschelrute nach. Die schöne Wassernixe Undine ist scheu. Wasser ist geheimnisvoll. Wasser ist oft bedroht.

Im wüsten Brandenburg

Ein fest auf dem Boden der Realität stehender Selfmademan wie Elon Musk hat mit solchen Spinnereien freilich nichts zu schaffen. Als er unlängst die Baustelle seiner „Gigafactory“ in Grünheide besuchte und von einer Journalistin gefragt wurde, warum der örtliche Wasserversorger vor einer drohenden Knappheit warne, erwiderte der Tesla-Monarch: „Es ist genug Wasser hier, schauen Sie sich um! Sieht das hier aus wie eine Wüste?“ Da die in Betrieb genommene Autofabrik so viel Wasser wie eine 40.000-Einwohner-Stadt benötigen wird (Rabe Ralf Februar 2021, S. 14), darf es auch gar nicht anders sein.

Wenn die Grüne Liga Brandenburg zusammen mit anderen Umweltverbänden Klage gegen das allseits umjubelte Bauprojekt eingereicht hat, kann es sich also nur um eine Aktion von „ewiggestrigen Ökofaschisten“ oder „heimlichen Agenten der Dieselindustrie“ handeln, wie in den sozialen Netzwerken vermutet wird. Zu dieser Verschwörung gegen den Fortschritt müssen wohl auch die zahlreichen Forstwissenschaftler gehören, die den märkischen Wäldern einen drohenden Verdurstungstod und erhöhte Brandgefahren attestieren. Ebenso klagen die Landwirte der Mark bestimmt nur deshalb über trockenheitsbedingte Ernteausfälle, weil sie den zukunftsorientierten Städtern das schöne Elektroautospielzeug madig machen wollen. Verlassen wir diese Hinterwäldler lieber. Wenden wir uns der Hauptstadt zu.

Verbraucht keinen Sprit, aber Wasser. (Foto: Blomst/​Pixabay)

Leerer Himmel über Berlin

Leider muss man auch hier Unschönes lesen. Der berühmte Himmel über der Stadt ist verschlossen. Es droht erneut ein Dürrejahr, das fünfte in Folge. Im März gab es nur einen einzigen Regentag. Das schon vom Betonfraß bedrohte Stadtgrün leidet Durst. Zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern ist dies nicht entgangen. Viele beteiligen sich zum Beispiel am Rettet-unsere-Bäume-Projekt der Grünen Liga Berlin und versuchen mit dem Einsatz von Gießsäcken bei Jungbäumen Abhilfe zu schaffen. Aber ist das genug? Aktuell liegt der Berliner Grundwasserspiegel um 20 Prozent unter normal. Um dies auszugleichen, wären mindestens vier Jahre durchschnittliche Niederschläge erforderlich. Angesichts des Klimawandels ist dies eher unwahrscheinlich.

Gewässertyp des Jahres

Einmal im Jahr, zum Weltwassertag am 22. März, kürt das Umweltbundesamt den Gewässertyp des Jahres. Dieses Jahr wurde das Grundwasser ausgewählt. Mit Recht: In Deutschland werden 70 Prozent des Trinkwassers aus Grund- und Quellwasser gewonnen und unsere Wälder könnten ohne das unterirdische Wasser nicht überleben. Doch nicht nur der ausbleibende Regen bedroht dieses natürliche Wasserreservoir, auch die industrialisierte Landwirtschaft trägt ihren Teil dazu bei. Ein Drittel der Grundwasserkörper in Deutschland ist wegen zu hoher Nitratbelastung in einem schlechten Zustand, hinzu kommen noch erhebliche Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, die sich fast überall nachweisen lassen. Um das Grundwasser zu schützen, wird an einer radikalen Reduzierung der Düngermengen kein Weg vorbeiführen.

Lebensraum Grundwasser

Das Grundwasser ist auch deshalb schützenswert, weil es ein einzigartiges Ökosystem bildet. In der Tierwelt der „Stygofauna“ wimmelt es nur so von Ruderfußkrebsen, Grundwasserschnecken, Ringelwürmern und Höhlenfischen. In Deutschland wurden bisher fast 500 Tierarten im Grundwasser gefunden. Viel ist noch verborgen, sogar die Tiefsee ist besser erforscht. Wer hier auf Entdeckungsreise gehen will, kann in Berlin an den öffentlichen Grundwasserbeprobungen des BUND teilnehmen. Der Umweltverband meldet, dass „bei jeder Probe ein Sensationsfund gemacht werden kann“, so wurde in Pankow erstmalig ein Muschelkrebs im Grundwasser entdeckt. Privatpersonen, Gruppen oder Schulklassen können die Entnahme der Wasserproben an Messstellen in ihrer Nähe auch selbst übernehmen. Aus der Erforschung der Tiere lassen sich wichtige Rückschlüsse über den Zustand des Grundwassers ziehen.

Vision Schwammstadt

Für alle da: Wasser. (Foto: Johann Thun)

Wasser ist ein Allgemeingut, was nicht heißt, dass jeder es verschwenden darf. Der Zugang zu Wasser bleibt ein Grundrecht. Niemals darf es zum privatisierten Luxusgut werden. Was ist angesichts drohender Wasserkrisen also zu tun? Es gibt durchaus ambitionierte Lösungsvorschläge. Einer davon ist die Vision der „Schwammstadt Berlin“.

Der Klimawandel führt bekanntlich zu Wetterextremen: Neben Perioden der Dürre wird es auch in der Hauptstadt häufiger zu Starkregen kommen. Auf den versiegelten Flächen können die plötzlichen Wassermassen nicht abfließen und überlasten die Kanalsysteme. In einer Schwammstadt werden durch die Begrünung von Dächern, Fassaden und Straßenzügen natürliche Wasserspeicher geschaffen, ein ausgeklügeltes System einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung könnte errichtet werden. Bisher wird Niederschlagswasser noch über die Kanalisation einfach ins Klärwerk gepumpt. Wahrlich nicht die schlauste Art, mit dem kostbaren Gut umzugehen.  Im Mai 2018 hat Berlin eine Regenwasseragentur gegründet, die das Projekt Schwammstadt maßgeblich vorantreibt. Ohne die Bürgerinnen und Bürger wird es aber nicht gehen.

Das diesjährige Umweltfestival der Grünen Liga Berlin steht unter dem Motto „Wasser – Elixier des Lebens“. Neben der Regenwasseragentur werden auch Wasseraktivisten wie die Vereine Berliner Wassertisch, a tip tap, Flussbad Berlin und viele andere vor Ort sein. Es wird zahlreiche Möglichkeiten für Gespräche geben. Nutzen wir sie, denn Wasser geht uns alle an.

Johann Thun

Weitere Informationen:
www.bund-berlin.de/grundwasser 
www.regenwasseragentur.berlin


Das Wasserrohr

Nachts braust ein hohles Rauschen an mein Ohr.
Schrill tönt mein Schritt, der banges Leben kündet.
Tief unterm Erdreich liegt ein Wasserrohr:
Weiß nicht, wo’s herkommt – weiß nicht, wo es mündet.

So tief wie eine Ahnung rollt der Schall,
wie bange Märchen, die wir schaudernd träumen.
Mein Fuß erschrickt – und weiß, dass überall
tief unter meinen Wegen Wasser schäumen.

Erich Mühsam

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