Der Wald steht schwarz

Aus DER RABE RALF April/Mai 2024, Seite 12

Der Black Metal ist stolz auf seinen schlechten Ruf – aber Bäume und Wälder mag er auch

„Oben am Berg ertönt die Lure“ – mitunter sind es Misstöne. (Norwegen 1900, Bild: Theodor Kittelsen/​Wikimedia Commons)

Die wohl extremste Spielart des Heavy Metal, der Black Metal, hat seine Wurzeln im Skandinavien der 1980er Jahre. Hier, in der besenreinen Wohlfahrtsstaatsidylle zwischen Fjorden und Meeren, machten sich ein paar langhaarige Jugendliche auf, um gegen Kirche und Moral, Kommerz und Spießigkeit aufzubegehren. Ihre Musik: laut. Ihre Texte: provokativ. Letztere, die allein deshalb schwer zu verstehen sind, weil sie geschrien oder gekreischt werden, handeln von Satan und den Germanen, von Wikingern und den fiesesten Figuren aus der Welt des J. R. R. Tolkien.

Manchmal wirkt das ein wenig pubertär, denn einigen Bands geht es nur darum, sich ein möglichst böses Image zu geben. Manchmal wird es aber auch todernst. Während der „zweiten Welle“ in den 90er Jahren gab es in der Szene zahlreiche Morde und Selbstmorde. Der „Mythos Black Metal“ hat darunter nicht gelitten. Im Gegenteil. Ähnlich dem urban geprägten Gangsta-Rap lebt diese Subkultur von ihrem Ruf als verfemter Teil der Gesellschaft.

Schwarzbraun und schwarzrot

Es kommt schlimmer: Besagte Morde waren nicht nur, wie beim Gangsta-Rap, vom maskulinen Konkurrenzgehabe innerhalb der Szene motiviert, oft lag ihnen eine politische Ideologie zugrunde. Da es darum ging, möglichst böse zu sein, wird man es schon erraten haben: Teile des Black Metal sympathisierten offen mit Nationalsozialismus, Rassismus und Sozialdarwinismus. Bis heute gibt es die Unterspielart NSBM (National Socialist Black Metal), die aber vom großen Teil der Szene abgelehnt wird. Erwähnt werden muss auch, dass es mit dem RABM (Red and Anarchist Black Metal) eine Gegenbewegung gibt, die in den letzten Jahren mit Bands wie Dawn Ray’d oder Trespasser hörenswerte Alben hervorgebracht hat.

Eine völlige Distanzierung der Szene von ihren schwarzbrauen Ausläufern fällt deshalb schwer, weil man sich nicht den Regeln einer sich gesinnungsrein gebenden Mehrheitsgesellschaft unterwerfen will. Black Metal muss böse bleiben.

The forest is cold and white

Wer sich die frühesten Plattencover der ersten Black-Metal-Bands ansieht, findet allenthalben Waldmotive. Ständig blicken einem die Musiker zwischen Bäumen entgegen, öfter schauen sie ablehnend am Betrachter vorbei. Auch in den Texten wimmelt es von finsteren Wäldern und undurchdringlichen Forsten. In „Splitkein Fever“ von Darkthrone, einer legendären Band der ersten Stunde, heißt es: „Far away from you / Disgusting subhuman fuck / You think you rule the world / Up my ass, tough luck! / I have my world here / You think you are right / But you can’t touch me here / The forest is cold and white“.

Die Beziehung zum Wald wird allerdings oft stärker in indirekter, mystischer Weise artikuliert als bei dieser sich am Punk orientierenden Band. Die norwegische Künstlerin Una Hamilton Helle gibt seit Jahren die Buchreihe „Becoming the Forest“ heraus, die sich der Frage widmet, weshalb der Black Metal ein so starkes Wahlverwandtschaftsverhältnis zum Wald aufweist. Allerdings führt eine Spur aus dem dunkelsten Forst auch direkt in die Großstadt Berlin.

Schwärzeste Wälder in Marzahn

Ralf und Steffen sind seit Langem Teil der Black Metal-Szene. Bei aller Düsternis machen beide einen gut gelaunten und freundlichen Eindruck. Zur Sympathie trägt bei, dass Ralf seinen Namensvetter, den Raben Ralf, gut kennt. Seit 2005 organisieren die Herren den Black-Metal-Abend „Schwarz Metall für schwärzeste Wälder“ in Berlin-Marzahn. Die Konzertreihe ist in der Szene eine Institution, die bei Musikern und Fans sehr beliebt ist und trotzdem ihren Underground-Charakter behält.

Im Januar dieses Jahres findet die Konzertreihe mal wieder im Jugendclub „Die Klinke“ statt. Insgesamt vier Bands aus Polen und Deutschland laden zum Headbangen, dem rhythmischen Schütteln der Haarpracht. Im Club, der die Besucher mit einem „Refugees welcome“-Schild begrüßt, müssen sich die Veranstalter natürlich der leidigen Frage nach der politischen Gesinnung stellen. „Wir sind nicht rechts“, macht Steffen dem Raben Ralf klar, „sonst würde uns der Club nicht reinlassen.“ Und während der Reporter sich kurz darauf im Urinal auf einen „FCK AFD“-Aufkleber erleichtert und überlegt, ob die dortige Platzierung ein Pro- oder Anti-AfD-Statement ist, dröhnt ihm von der Bühne jener Sound entgegen, der auch ihn seit seiner Jugend fasziniert. Den Kieler Formationen Gravehammer und Skardus gelingt es meisterlich, die typische hypnotische Klangwelle losbrechen zu lassen. Würde nicht vor ihm ein Zuschauer mit dem Rückenaufnäher einer zweifelhaften Band stehen, könnte sich auch unser Reporter völlig dem Sirenengeschrei hingeben.

In den Pausen erklären Ralf und Steffen, dass der Erlös der Konzerte dem Nabu gespendet wird und dem Naturschutzgebiet „Biesenthaler Becken“ auf dem nahen Barnim zugutekommt. Obwohl auch sie bestätigen, dass die Szene eine enge Verbindung zum Wald aufweist, würden die Veranstalter sich freuen, wenn mehr Konzertbesucher an den Exkursionen ins Schutzgebiet teilnehmen würden, die beide regelmäßig anbieten.

Eine raue Schönheit

Einige Tage später gibt Skardus, die Gruppe aus Kiel, die auf dem Berliner Konzert gespielt hat, dem Raben Ralf ein Interview. Auf die Frage nach der Verbindung zwischen Wald und Metal antwortet Bandmitglied „Herr Jürgensen“: „Spätestens mit der ‚zweiten Welle‘ und dem prägenden Einfluss aus Skandinavien wurde der nächtliche Wald ein visuelles Stilmittel im Black Metal. Die Motive sollten eine geheimnisvolle, bedrohliche Stimmung verbreiten und vor allem den Mainstream provozieren. Der dunkle Wald symbolisiert häufig die Suche nach Konfrontation und auch Verbindung mit Kräften der Natur. Black Metal kann gleichermaßen so erlebt werden. Ob die beschworenen Mächte des Chaos allerdings aus Sicht von Musizierenden immer den Wald schützen wollen, kann in Zweifel gezogen werden: In den frühen Neunzigern wurden Gruppen, die Naturschutz thematisierten, von noch jungen Black-Metal-Bands als ‚Treibhaus-Effekt-Metal‘ diffamiert, weil dies ihrem radikal-nihilistischen Ideal widersprach. Darum hängt die Bedeutung von Natur und Wald immer sehr von den einzelnen Anhänger*innen und – seien wir ehrlich – vom gerade angesagten Zeitgeist ab.“

Die Frage, wie sich das Thema Natur in der Musik von Skardus widerspiegelt, beantwortet Sänger Morten Basse so: „Textlich haben wir auf unserem aktuellen Album ‚Stormriek‘ auf die lokalen Sagen und Legenden aus Schleswig-Holstein zurückgegriffen. Dort spielt natürlich auch die Natur – hier besonders die Küste und das Meer – eine tragende Rolle. Das haben wir dann ebenfalls versucht, musikalisch umzusetzen – vielleicht trifft es ‚die raue Schönheit‘ ganz gut.“

Auch die Holsteiner müssen sich natürlich der Gretchenfrage nach der Politik stellen. Schlagzeuger „J. S.“ weist darauf hin, dass sich Skardus „vielleicht nicht explizit politisch positioniert“, es als Band aber wichtig findet, „nur mit Partnern zusammenzuarbeiten, hinter denen wir stehen können“. Sänger Morten ergänzt: „In den Texten finden sich keine ganz konkreten politischen Statements. Wer sich aber die Mühe macht und sie aufmerksam liest, wird herausfinden, worum es uns geht oder gehen könnte.“

Johann Thun

Weitere Informationen:
www.black-metal-berlin.de
www.linktr.ee/becomingtheforest
www.skardus.bandcamp.com

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