„Lieber Windräder im Wald als Kohlekraftwerke“

Aus DER RABE RALF April/Mai 2024, Seite 1/4

Forstwissenschaftlerin Birgit Kleinschmit über kranke Bäume, schützende Jäger und den Wald für alle

Windräder auf dem Hunsrück. (Foto: Giggel/​Wikimedia Commons)

Den Deutschen wird eine innige Beziehung zum Wald nachgesagt. Er ist Ausflugsziel, Hundeklo und Sehnsuchtsort. Man schätzt ihn als Rendite abwerfenden Rohstoff und ständig bedrohten heiligen Hain. Aber wie steht es aktuell um ihn? Wie könnte seine Zukunft aussehen? Der Rabe Ralf sprach mit der Forstwissenschaftlerin Birgit Kleinschmit. Die gebürtige Münsteranerin ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik des Bundeslandwirtschaftsministeriums und Professorin an der Technischen Universität Berlin.

Der Rabe Ralf: Frau Kleinschmit, mal ganz platt gefragt: Wie geht es dem „deutschen Wald“?

Birgit Kleinschmit: Nicht gut. Der aktuelle Waldzustandsbericht zeigt, dass in Deutschland vier von fünf Bäumen krank sind. Die Fichte leidet sogar auf Standorten mit guter Wasserversorgung unter der Dürre, aber auch die Buche und Eiche sind in vielen Bereichen massiv geschwächt.

Was sind die Hauptursachen für den schlechten Zustand der Wälder?

In den letzten Jahren haben Extremwetterereignisse wie Trockenheit und Stürme sowie Schädlingsbefall, besonders durch den Borkenkäfer oder den Eichenprachtkäfer, zu den Schädigungen der Bäume geführt. Nur klimaresiliente Mischwälder aus Laub- und Nadelbäumen werden zukünftig die immer häufiger wiederkehrenden Klimaextreme bewältigen.

In den 1980er-Jahren sprach man vom „Waldsterben“. Müsste man heute wieder auf diesen Begriff zurückgreifen?

Nein, denn nicht der Wald stirbt, sondern die Bäume sind krank und sterben ab. Der Wald hat eine enorme Kraft, sich durch Keimung, Wurzelbrut, Aussaat, Anwachsen von Pionierpflanzen oder – mit menschlicher Hilfe – durch Anpflanzung klimaresilienter Baumarten zu regenerieren und an die neuen ökologischen Bedingungen anzupassen. In Deutschland wird es voraussichtlich auf ganz wenigen Extremstandorten, zum Beispiel in äußerst trockenen Gebieten mit wenig Wasserspeicherkapazität, zur Degradation des Waldes kommen.

Jeder hat mittlerweile vom Borkenkäfer gehört, der zum ultimativen Waldvernichter erklärt wird. Dieses Insekt ist allerdings unter Fachleuten eher als Symptom denn als Ursache für massive Baumverluste bekannt – Stichwort Monokultur. Könnten Sie das genauer erklären?

Der Borkenkäfer ist ein natürlicher Teil des Ökosystems Wald. Die Insekten tragen dazu bei, das Gleichgewicht im Wald zu regulieren, in dem sie schwache oder kranke Bäume befallen und Lebensraum für gesunde Bäume schaffen. Sind Wälder durch Trockenheit geschwächt, kann es zu einem Massenbefall kommen. Dabei sind Monokulturen immer einer stärkeren Gefahr ausgesetzt als klimaresiliente Mischwälder. Besorgniserregend neben dem Borkenkäferbefall ist aktuell der massive Befall der Eichen durch den Eichenprachtkäfer.

Ein anderes emotionales Thema betrifft die Jagd. Während Jäger sich selbst als Heger und Pfleger der Wälder sehen, verweisen Gegner auf Studien, die widerlegen sollen, dass Bejagung zur nötigen Reduzierung des Wildbestandes beiträgt. Wer hat recht?

Für eine langfristige Gesundheit der Wälder und den Erhalt der Biodiversität ist eine angemessene Bejagung erforderlich. In unserer Kulturlandschaft gibt es nicht überall einen geeigneten Lebensraum für Prädatoren, also Raubtiere wie Luchs oder Wolf, welche die Wildtierpopulation angemessen regulieren könnten. Für Rehe und Wildschweine ist aus Studien zudem bekannt, dass europaweit die Populationsdichten mit steigenden Temperaturen und sinkender Schneehöhe weiter zunehmen werden, dass also mit dem Klimawandel der selektive Fraßdruck auf Jungpflanzen ebenfalls zunimmt. Ein Umbau zu klimastabilen Mischwäldern wird deshalb ohne die Jagd nicht gelingen.

Für manche ist die Lösung ganz einfach: radikale Aufforstung. Als Praxis ist das sogar zu einem Geschäftsmodell geworden, das Züge eines modernen Ablasshandels aufweist, nach dem Motto: „Wenn du dieses Produkt kaufst, pflanzen wir dafür einen Baum.“ Auch Organisationen wie „Plant-for-the-Planet“ sammeln Geld für das Pflanzen neuer Bäume. Können dadurch die Wälder gerettet werden?

Die finanzielle Unterstützung für Baumpflanzungen, aber genauso die Honorierung anderer Ökosystemleistungen, fördert den Schutz der Wälder, da sie den Waldbauern neben dem Holzverkauf eine alternative Einkommensquelle bietet. Um international den Schutz der Wälder zu erhöhen, sind aber weitere Hebel förderlich, wie beispielsweise die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Sie hat das Ziel, sicherzustellen, dass Produkte, die auf den europäischen Markt gelangen, nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen.

Birgit Kleinschmit. (Foto: privat)

Ihr Kollege Wilhelm Bode hat den „Dauerwald“ wieder ins Gespräch gebracht. Hier steht der Wald als Ganzes im Mittelpunkt. Überzeugt Sie dieses Konzept?

Die Idee einer nachhaltigen, dauerhaften Nutzung des Waldes ist über 200 Jahre alt und das Grundprinzip der gesetzlich verankerten Waldwirtschaft in Deutschland. Geschichtlich bedingt durch Bergbau oder Kriege haben die heutigen Wälder nicht alle Dauerwaldcharakter, sondern müssten erst wieder durch Waldumbau zu klimastabilen Dauerwäldern entwickelt werden.

Was wären Ihrer Meinung nach die wichtigsten Maßnahmen für einen nachhaltigen Waldschutz?

Die Anpassung der Wälder hin zu klimaresilienten Mischwäldern ist am wichtigsten. Damit viele der gesellschaftlich wichtigen Ökosystemleistungen des Waldes beispielsweise für Klimaschutz, Wasserschutz oder Erholung langfristig gesichert werden können, sollte den Waldbesitzenden durch die öffentliche Hand eine Vergütung bereitgestellt werden. Wir brauchen eine neue Lastenverteilung zwischen Waldeigentümern und Gesellschaft.

Das Thema Wald steht im Mittelpunkt des diesjährigen Umweltfestivals der Grünen Liga Berlin. Das Festivalmotto lautet „Wald – einer für alle“. Obwohl große Teile der Wälder in Deutschland öffentlich zugängig sind, ist die Hälfte des Waldes in Privatbesitz. Vor allem der Adel verfügt noch immer über einen großen Anteil daran (Rabe Ralf Februar 2023, S. 16). Sind diese Besitzverhältnisse für den Waldschutz eher Fluch oder Segen?

Der gesetzliche Rahmen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung ist für alle Waldbesitzenden gleich, unabhängig von der Betriebsgröße und Besitzart. Aus der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ergeben sich für alle die gleiche Pflicht zur Walderhaltung und auch das allgemeine Betretungsrecht. Waldbesitzende haben einen Generationenvertrag, unabhängig von den Besitzverhältnissen. Es besteht eine große Verantwortung, von Generation zu Generation den Wald ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig zu managen. Eine Herausforderung entsteht aktuell im Kleinstprivatwald, wo Erben teils weit entfernt von den Wäldern wohnen und ihren Verpflichtungen nicht mehr angemessen nachkommen wollen oder können.

Einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen schlagen aber vor, auch aus den landeseigenen Forsten private „Bürgerwälder“ zu machen. Dadurch soll die Verbundenheit der Einzelnen mit dem bedrohten Naturgut gestärkt werden. Was halten Sie von dieser Idee?

Eine Entfremdung vom Wald spüre ich besonders bei der städtischen Bevölkerung. Ein effektiver Hebel sind meiner Meinung nach nicht Bürgerwälder, sondern vielmehr ein stärkeres Erlebbarmachen des Waldes, zum Beispiel durch Waldwochen in den Kindergärten und Schulen, durch Schulwaldprojekte, durch Baum- oder Waldpatenschaften, durch Pflanzaktionen oder Exkursionen in den Wald sowie durch sachlich fundierte Berichte über den Wald in den Medien. Die großen Herausforderungen, vor denen wir mit der Anpassung der Wälder an den Klimawandel stehen, sind nur mit entsprechenden Fachkenntnissen zu bewältigen. Übergeben wir diese Verantwortung an 85 Millionen Bürger, wäre das wie beim Fußball, alle wissen es besser als der Bundestrainer.

Berlin besteht zu 18 Prozent aus Wald, das sind ungefähr 16.000 Hektar. Die Hauptstadt ist aber auch Schlusslicht bei der Windenergie. Nun wird diskutiert, ob demnächst auch in den Berliner Forsten Windräder aufgestellt werden müssen. Ist das wirklich nötig?

Wo Windräder errichtet werden dürfen, unterliegt einem gesetzlich verankerten Umweltplanungs- und Umweltprüfungsprozess, in dem sowohl die Belange der Umwelt als auch die der Menschen berücksichtigt werden. Wenn wir als Gesellschaft und als Berliner die Energiewende wollen, müssen wir auch die damit verbundenen Konsequenzen wie die Errichtung von Windrädern mittragen – und wenn es sein muss, auch im Wald. Ich selbst habe lieber eine Windkraftanlage im Wald als ein Kohlekraftwerk vor der Tür.

Sie betreuen an der TU Berlin das Projekt „Tree Sat AI“. Es geht um die digitale Erfassung von Baumarten in Deutschland. Könnten Sie kurz das Ziel und die Funktionsweise des Projekts erklären?

Das Ziel von dem Forschungsprojekt ist die Entwicklung von KI-Methoden für das Monitoring von Wäldern und Baumbeständen. Auf Basis frei zugänglicher Satelliten-, Verwaltungs- und Social-Media-Daten werden Prototypen für die Deep-Learning-basierte Klassifikation von Baum- und Bestandsmerkmalen für Anwendungsfälle aus dem Bereich Forst-, Naturschutz- und Infrastrukturmonitoring entwickelt. Mit den Methoden helfen wir, die Baumartenzusammensetzung und die Biodiversität in unseren Wäldern besser zu dokumentieren.

Ihr Projekt verwendet auch Citizen-Science- und Social-Media-Daten zur Analyse. Wie können die Bürgerinnen und Bürger sich konkret einbringen?

Für KI-Anwendungen sind lokal erhobene gesicherte Referenzdaten in großem Umfang entscheidend. Bürger:innen leisten dazu mit der Erfassung von Pflanzen- und Tierarten durch Citizen-Science-Software wie iNaturalist oder Flora Incognita einen wichtigen Beitrag.

Was halten Sie eigentlich von Peter Wohlleben?

Er ist ein toller Geschichtenerzähler, der den Menschen den Wald in den letzten Jahren wieder nähergebracht hat. Viele seiner Thesen sind aber wissenschaftlich nicht belegt. Ich persönlich bin für daten- und faktenbasierte Informationen für die Bürgerinnen und Bürger.

Vielen Dank.

Interview: Johann Thun

Weitere Informationen: www.tu-berlin.de (Suche: TreeSatAI)


Leserbriefe

Windkraft im Wald propagiert, Energiesparen vergessen

Aus DER RABE RALF August/September 2024, Seite 30

„Lieber Windräder im Wald als Kohlekraftwerke“ – das ist eine typische Aussage aus der Politik: Dinge werden miteinander verknüpft, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, um den Leuten was weiszumachen. Wer sagt, dass wir nur die Wahl haben zwischen Kohlekraftwerk und Windkraft im Wald? Vielmehr haben wir die Wahl zwischen Windkraft im Wald und Windkraft auf Pestizid-Acker oder Windkraft auf Industriebrachen. Und zusätzlich haben wir noch die Option Energiesparen – die wird auch allzu gern vergessen.

Der Wald hat eine wichtige Funktion für den Klimaschutz, insbesondere für die Temperatur- und Feuchtigkeitsregulierung – das ist nicht neu. Wer da propagiert, dass die Windräder nun im Wald stehen müssen, um was für den Klimaschutz zu tun, der hat entweder nicht nachgedacht oder verfolgt ganz klar andere Interessen – die Wirtschaft freut sich.

Ich finde es schade, dass so ein Slogan von einer Frau, die – wenn auch Forstwissenschaftlerin – doch ganz klar politische Interessen vertritt, auf der Titelseite des Raben Ralf steht. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das nicht so einfach unkommentiert stehengelassen, sondern im Interview kritisch hinterfragt wird.

Aber ich möchte auch sagen, dass ich den Raben Ralf insgesamt sehr gut finde. Danke für Ihre Arbeit.

Katrin Quiel


Mit Windkraft auf Kahlflächen dem Fichtensterben begegnen

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2024, Seite 30

Zum Thema „Windkraft im Wald“ möchte ich die Zuschrift von Katrin Quiel relativieren, da es wie alles im Leben nicht nur schwarz oder weiß ist. Ihre Feststellung, dass Energiesparen der beste Klimaschutz sei, sollte eigentlich ein Grundmanifest sein. Allerdings gibt es sehr gute Gründe, auch auf Waldstandorten Windkraftanlagen zu betreiben. Als Landbauer, Ortsbürgermeister und seit 1998 Energiewirt befasse ich mich sehr ausführlich mit der dringend erforderlichen Energiewende. Es kann in vielerlei Hinsicht sehr sinnvoll sein, im Wald Windkraftanlagen zu errichten.

Das durch den Klimawandel verursachte Waldsterben betrifft ganz besonders die Fichte. Inzwischen kann man zum Beispiel im Westerwald, im Hochsauerland, im Harz und auf dem Hunsrück durch das Fichtensterben riesige Kahlflächen besonders auf Höhenzügen beobachten. In dem waldreichen Rheinland-Pfalz sind es vielfach auch Kommunalwälder, die betroffen sind und für diese Körperschaften auf Generationen keine Einnahmen aus dem Holzverkauf erwarten lassen. Im Gegenteil, auf Jahrzehnte sind durch Neuanpflanzung, Wildschutz und Bestandspflege enorme Investitionen erforderlich. Warum sollte auf solchen freien und oft topografisch hervorragenden Standorten keine Energienutzung stattfinden? Ein wichtiger Nebeneffekt wären dringend benötigte Einnahmen für die meist klammen Haushalte.

Ein wesentlich größeres Problem ist allerdings die Tatsache, dass während der Groko-Ära weder der erforderliche Netzausbau noch die Entwicklung von Speichersystemen gefördert wurden und vielerorts keine Netzanbindung für diese inzwischen sehr leistungsfähigen Anlagen möglich ist! Das betrifft besonders das Repowering kleiner und alter Windkraftanlagen. Deutschland hat seine durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 2000 erlangte weltweite Führungsrolle durch die Vernachlässigung der Erneuerbaren wieder eingebüßt, was auch nicht durch eine „schwarze Null“ entschuldbar ist. Hoffentlich kann ich durch meine langjährigen Erfahrungen etwas zu einer sachorientierten Sichtweise beitragen.

Alfred Hauer, Niederweiler (Eifel)

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