Mit Krone, Schwert und Grundbuch

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 16/17

Große Teile der deutschen Wald- und Landwirtschaftsflächen gehören noch immer dem Adel

Stammwappen des Hauses Reuß (um 1279). (Zeichnung: Hugo Ströhl/​Wikimedia Commons)

2022 war ein Jahr, in dem wieder viel über Adel und Monarchie geredet wurde. Im September mussten die wirtschaftlich angeschlagenen Briten den Tod ihres steuerlich alimentierten Staatsoberhauptes betrauern, durften sich dann aber mit den Skandalen um den Nestbeschmutzer Prinz Harry und seine Gespielin Meghan vom ökonomischen Abstieg ablenken lassen.

Nun erwartet das Inselvolk sehnsüchtig die Krönung von Charles III. Dieser gilt auch deshalb als Mann der Zukunft, weil er die königlichen Landwirtschaftsflächen nach ökologischen Maßstäben beackern lässt. Wie zahlreiche Fotos mit Mistforke beweisen, legt seine Hoheit gelegentlich sogar selbst mit Hand an. Leider wird der König wegen des Brexits nicht mehr von den vornehmlich nach Fläche vergebenen EU-Förderungen profitieren können. Seine Untertanen werden ihm sicher gerne beistehen.

Von deutschem Adel

In Deutschland erinnerte der Adel kürzlich mit etwas weniger Pomp an seine Existenz. Am 7. Dezember wurde im Rahmen einer Großrazzia Heinrich XIII. Prinz Reuß festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, als gekrönter Kopf einer rechtsradikalen Gruppe einen Staatsstreich geplant zu haben. Erst kürzlich wurde ruchbar, dass der dem grundbürgerlichen Beruf des Immobilienmaklers nachgehende Reichsspross kurz davor stand, dem verhassten BRD-Staat 400 Hektar Wald abzukaufen. Zum Bedauern beider Handelspartner wird dieses Geschäft nun wohl nicht zum Abschluss kommen können.

Der arme Heinrich wuchs in Verhältnissen auf, in denen schon einmal bittere Erfahrungen mit der Obrigkeit gemacht werden mussten: Seine ursprünglich in Thüringen ansässige Großfamilie wurde im Zuge der sowjetischen Bodenreform nach 1945 enteignet. Die gewaltsame Wegnahme des Grundbesitzes hat wohl zu einer Art Generationentrauma geführt, aus dem sich die späte Radikalisierung des Rebellen im Tweedanzug erklären lässt.

Leider reagierten Teile des deutschen Hochadels wenig solidarisch. Die als Herzogin von Oldenburg geborene Beatrix Amelie Ehrengard Eilika von Storch – aus einer politisch engagierten Familie stammend (der Großpapa brachte es in einer bestimmten Zeit sogar zum Finanzminister) – schrieb als stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion auf der Plattform Twitter despektierlich von der „Rentnertruppe“ des Prinzen. Der Staat solle, so die Herzogin, lieber gegen die wahren Terroristen vorgehen, die im islamischen und klimaaktivistischen Milieu zu finden seien. Erstaunlich harte Worte, denn wie der Soziologe Andreas Kemper herausgearbeitet hat, weiß Frau von Storch eigentlich nur zu gut, welch tiefe Wunden kommunistische Zwangsenteignungen bei den Opfern hinterlassen können.

Die Brazilian Connection 

Kemper stellt in einem online einsehbaren Artikel dar, dass die Protestantin Beatrix nebst Gatten Sven zu dem katholisch-aristokratischen „TFP-Netzwerk“ gehört. Die Abkürzung steht für „Tradição, Família e Propriedade“ (Tradition, Familie und Privateigentum) und geht auf eine Organisation zurück, die 1960 in Brasilien gegründet wurde und bis heute auch in den USA und in Europa aktiv ist. Die Gründer Plinio Corrêa de Oliveira und Erzbischof Geraldo de Proença Sigaud taten für eine ultrakonservative Politik ein und polemisierten gegen die im großagrarisch geprägten Brasilien zur Debatte stehende Bodenreform. Ihre Hauptgegner waren die linken Vertreter der Befreiungstheologie, die in ihrer ketzerischen Verblendung die Bergpredigt wörtlich nahmen.

Um 1990 gründeten in Deutschland die zukünftigen Ehepartner Sven und Beatrix zusammen mit Cousin Paul Herzog von Oldenburg einen Arbeitskreis, der ideologisch Oliveira und Sigaud nahestand. Zu diesem Umfeld gehörte auch Mathias von Gersdorff, der bis heute das deutsche Büro der TFP leitet. Von Gersdorff hat nicht nur zahlreiche Bücher geschrieben, in denen er vor Abtreibung, sexueller Aufklärung und dem satanischen Rock’n’Roll warnt, sondern auch eine Studie über Bodeneigentum vorgelegt, deren Untertitel alles Nötige über den Inhalt verrät: „Betrachtungen über die Wiederherstellung der Besitzverhältnisse 1945-1949 in der früheren sowjetischen Besatzungszone zugunsten der enteigneten Landbesitzer“.

Dass die aristokratische Internationale ihren Kampf gegen das Unrecht noch nicht aufgegeben hat, erkennt man an Beatrix‘ Parteinahme für den erzchristlichen Rekordregenwaldabholzer Jair Messias Bolsonaro. Im Internet kann man ein schönes Foto finden, auf dem der kürzlich abgewählte brasilianische Präsident mit Beatrix und Sven zufrieden um die Wette grinst.

Blaublütige Waldbesitzer

Zurück in heimische Gefilde: Die bekannteste Vertreterin des Hauses Thurn und Taxis trägt den klangvollen Namen Gloria. Früher jettete die Gräfin als Berufsflittchen durch die Gazetten, entdeckte aber mit zunehmendem Alter das liebe Jesulein für sich. Seither verkündet sie bereitwillig in jede sich ihr darbietende Kamera die frohe Botschaft. Die (auch) in Afrika wütende Aids-Seuche wusste die Philanthropin vor etwas längerer Zeit mit der „Schnacksellust der Afrikaner“ zu erklären und verzichtete aus christlicher Sensibilität dabei auf das verletzende N-Wort. Heute ruft sie zusammen mit einem wegen einer eigenen Schmuddelgeschichte von einem Schmuddelblatt geschassten Ex-Chefredakteur in Internet-Videos zur Rettung des Abendlandes auf.

Leider muss aber auch der Kampf für das Gute mit schnödem Mammon finanziert werden. Vielleicht hilft es ein wenig, dass die größten deutschen Privateigner von Wald in Deutschland laut einer Studie von 2012 – mit drei Ausnahmen (Constantia Forst GmbH, Bofrost-Stiftung und Blauwald GmbH) – allesamt Adelsfamilien sind. Die Familie Thurn und Taxis belegt mit knapp 20.000 Hektar sogar den ersten Platz und verfügt somit über den größten Privatwaldbesitz in Deutschland. Und das, obwohl Gräfin Gloria 2004 den familieneigenen Forstbetrieb Ebnat (5000 Hektar) an die Blauwald GmbH verkaufte. Wer hat, dem wird gegeben, spricht der Apostel Matthäus.

Diebstahl und Enteignung

Geschichtswissenschaftlich gesehen ist der Adel nichts anderes als eine Räuberbande, die sich in grauer Vergangenheit mit stumpfer Gewalt Grundbesitz ergaunert hat. Da sich, wie Rousseau sagt, genug Leute fanden, die einfältig genug waren, um an die göttlich-rechtliche Legitimation dieser Aneignung zu glauben, konnte die edle Oberschicht von nun an leistungsloses Einkommen beziehen und erhaben herumstolzieren. Auch ein Gutteil des heutigen Adelsbesitzes ist Erbe aus der Vorzeit und stammt also aus Zeiten, in denen noch nicht jeder, der zu Geld gekommen war, Land kaufen durfte.

Trotz einiger Revolten blieben diese Verhältnisse im Großen und Ganzen immer unangetastet. An der „wilden Jagd auf jedes Kronentier“, von der in einem Volkslied gesungen wird, wollte sich die Mehrheit nicht beteiligen. Der Agrarwissenschaftler Onno Poppinga hat in seinen historischen Studien nachgewiesen, dass es in Deutschland nie eine nennenswerte Landreform „von unten“ gegeben hat. Sämtliche Enteignungsmaßnahmen kamen immer auf Druck von ausländischen Besatzungsmächten zustande. Aber ist das nicht ebenfalls Diebstahl?

In der Weimarer Republik hatte es immerhin im März 1926 ein Volksbegehren zur „Fürstenenteignung“ gegeben, für das nicht nur die KPD und (zögernd) die SPD eintraten, sondern auch zahlreiche Wähler von Zentrum und DDP. Die Boykottaufrufe von Adel, Kirche, Industrie, Großagrariertum und Rechtsextremen führten allerdings dazu, dass der Volksentscheid zur entschädigungslosen Enteignung im Juni 1926 scheiterte.

Junkerland in Bauernhand: Bodenreform-Urkunde von 1947. (Foto: Paul Chron/​Wikimedia Commons)

Nach 1945 gab es im vergleichsweise kleinteilig strukturierten Westdeutschland zaghafte Versuche einer Bodenreform, doch auch diese waren nicht erfolgreich. Anders sah es in der sowjetisch besetzten Zone aus. Dass das sogenannte „ostelbische Junkertum“ – nicht zu Unrecht – als Hort der Reaktion ausgemacht wurde, sollte den Enteignungen eine zumindest moralische Legitimität geben. Der im Herbst 1945 beginnende Prozess betraf vor allem nationalsozialistische Gutsbesitzer, Kriegsverbrecher sowie sämtliche Großgrundbesitzer mit Betrieben über 100 Hektar. Eine Zwangskollektivierung des Landes war hier (noch) nicht das Ziel. Die Flächen wurden an Klein- und Neubauern verteilt, deren Betriebe in der Folge allerdings oft pleitegingen.

Obwohl heute zahlreiche Nachkommen der enteigneten Großagrarier entdecken, dass ihre Großväter eigentlich im Widerstand waren und bestohlen wurden, scheitern die meisten Restitutionsversuche vor Gericht. Das liegt auch daran, dass sich Einheitskanzler Helmut Kohl bei der Wiedervereinigung zur „Unantastbarkeit der Bodenreform“ bekannte. Die schlaueren Enkel klagen deshalb nicht viel, sondern kaufen sich den ursprünglichen Besitz aus der Insolvenzmasse des gescheiterten Realsozialismus einfach Hektar für Hektar zurück.

Wer übrigens glaubt, dass Enteignungen nur in Unrechtsstaaten stattfinden, lese einmal Artikel 14 Absatz 3 des Grundgesetzes oder spreche mit Vertriebenen aus Großgrimma, Schwerzau oder Lützerath.

Die Botschaft der Eisprinzessin

Warum aber blieb so viel Adelsbesitz in Deutschland bis heute unangetastet? Das liegt wohl nicht zuletzt daran, dass es die Blaublüter immer meisterlich verstanden haben, eine Propaganda am Laufen zu halten, die sie entweder als liebende Landesväter oder als heldenhafte Vaterlandsverteidiger darstellte. Teilen des grundbesitzenden Adels kam auch der immer wieder zur Volksreligion anschwellende Antisemitismus gut zupass: Solange der Pöbel glaubte, dass es die Juden seien, die ihm den Zugang zu Land und Reichtum versperrten, stellten die Landarbeiter auf den großflächigen Besitztümern keine gefährlichen Fragen.

Heute gibt man sich lieber harmlos, fleißig und vorbildlich. Noch immer wollen viele niedriggeborene Mädchen bereits im Kindergarten am liebsten Prinzessinnen sein. Kein Wunder, kämpft doch die Eiskönigin Elsa in der gleichnamigen Disneyproduktion irgendwie auch für Emanzipation und gegen den Klimawandel.

Auf der realen Lokalebene gehört der ansässige Graf fest zum Dorfkolorit. Man ist stolz auf ihn, er schlägt die Brücke zur Vergangenheit, ist aber kein Mann von gestern, grüßt freundlich – oft sogar als erster –, engagiert sich im Gemeinderat und spricht mit seinem Nachbarn, dem Kleinbauern, auf Augenhöhe, man hat ja dieselben Sorgen. Über seinen Besitz redet er nicht oder nur ironisch. Prinz Heinrich organisierte offene Golftourniere und Gräfin Gloria lädt alljährlich auf Schloss Thurn und Taxis zum Weihnachtsmarkt. Das Volk hat also keinen Grund zur Klage.

Taten der Väter

Ernst Bloch hat Deutschland einmal als klassisches „Land der Ungleichzeitigkeit“ bezeichnet. Der Philosoph meinte damit, dass hier verschiedene Stufen des gesellschaftlichen Bewusstseins nebeneinander auftreten: Vorzeit, Mittelalter, Moderne … alles greift ineinander über. Das hat zwar den Nachteil, dass es einen unaufhörlichen Kampf zwischen Toten, Lebenden und Untoten zu geben scheint, schützt aber auch vor der Alleinherrschaft der (falschen) Gegenwart. In der unabgegoltenen Vergangenheit gibt es auch widerspenstige Tendenzen, die jederzeit wieder zum Leben erwachen können.

Gerrard Winstanley (1609-1676). (Zeichnung: Clifford Harper, anarchismus.at)

Im eingangs erwähnten England, einem anderen Land der Ungleichzeitigkeit, lebte einmal der radikale Bodenreformer Gerrard Winstanley. Dieser richtete vor über dreihundert Jahren folgende Worte an den Adel: „Die Macht, Land einzuhegen und Boden zu besitzen, wurde von euren Vorfahren mit dem Schwert in die Schöpfung gebracht. Sie ermordeten zuerst ihre Mitgeschöpfe, Menschen, und plünderten oder raubten ihnen sodann ihr Land. Sie hinterließen es schließlich euch, ihren Kindern. Und darum, obwohl ihr nicht tötet oder stehlt, haltet ihr dennoch diese verbrecherische Sache in euren Händen mit der Macht des Schwertes. Und damit rechtfertigt ihr die Untaten eurer Väter, und diese Sünde eurer Väter wird auf euren Häuptern und denen eurer Kinder lasten bis ins dritte oder vierte Glied und noch länger: so lange, bis eure blutige und räuberische Macht aus diesem Land ausgerottet ist.“

Da die Macht des Schwertes heute durch die Macht des Grundbuches gedeckt wird, müssen wir uns ausdrücklich von dem im letzten Satzteil geäußerten Wunsch distanzieren.

Johann Thun 

Weitere Informationen: www.andreaskemper.org (Suchwort: TFP)

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