Klein oder bio?

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2024, Seite 1

Auf kleinere und vielfältige Landwirtschaftsflächen kommt es an, sagt der Agrarökologe Teja Tscharntke

Auf großen Feldern bringt auch Ökolandbau nicht viel mehr Artenreichtum. (Foto: Jonas Rogowski/​Wikimedia Commons)

Teja Tscharntke ist Professor für Agrarökologie an der Universität Göttingen. Er ist der weltweit am meisten zitierte Ökologe aus dem deutschsprachigen Raum. 2021 veröffentlichte er mit seinem Team einen Aufsehen erregenden wissenschaftlichen Artikel über die Ergebnisse eines Forschungsprojekts zur Beziehung zwischen Biodiversität und der Größe von Landwirtschaftsflächen. Der Rabe Ralf sprach mit dem Wissenschaftler über die Illusionen des Ökolandbaus und warum nicht-öko auch keine Lösung ist.

Der Rabe Ralf: Herr Tscharntke, wie lassen sich die Ergebnisse Ihrer Studie in einem Satz zusammenfassen?

Teja Tscharntke: Die umfangreichen Untersuchungen zeigen, dass Agrarlandschaften mit kleinen Feldern sehr viel mehr Arten beherbergen als Landschaften mit großen Feldern.

Welche Methoden liegen dem Forschungsprojekt zugrunde?

Im Rahmen eines großen Projekts wurden insgesamt 435 Landschaften in sieben europäischen und einer nordamerikanischen Region ausgewählt. In jeder Region ging es dabei um den Vergleich von Landschaften mit kleinen und mit großen Feldern. Es wurden Wildbienen, Tagschmetterlinge, Laufkäfer, Schwebfliegen, Spinnen, Vögel und Pflanzen erfasst, um möglichst allgemeingültige Aussagen zu Unterschieden in der Artenvielfalt treffen zu können.

Sie sagen, dass Agrarflächen, die kleiner als sechs Hektar sind, die ideale Größe haben, um eine große Artenvielfalt zu ermöglichen. Wie kommen Sie ausgerechnet auf diese Zahl?

Die Beziehung zwischen mittlerer Feldgröße und Artenreichtum war in den untersuchten Landschaften nicht linear. Die Unterschiede zwischen zwölf und sechs Hektar großen Flächen waren geringer als die zwischen sechs und einem Hektar. Entsprechend wird mit einer Verkleinerung von Feldern der größte Effekt erzielt, wenn sie deutlich unter sechs Hektar geht.

Der Artikel hat für großes Aufsehen, aber auch für Kritik gesorgt. Einige Kolleginnen und Kollegen werfen Ihnen vor, die positiven Effekte, die der Ökolandbau für die Biodiversität hat, zu gering zu schätzen. Was antworten Sie auf diesen Vorwurf?

Eine Verkleinerung der Feldgröße von sechs auf einen Hektar führt zu einer sechsfach höheren Artenzahl in den Landschaften, das heißt zu 600 Prozent mehr Vielfalt. Die Umstellung auf Öko-Landbau führt im Mittel zu 34 Prozent mehr Arten. Die Umstellung auf Öko-Landbau ist deshalb nicht der Königsweg, um die Artenvielfalt zu erhöhen.

Es braucht Agrarlandschaften mit kleinen Feldern, am besten bewirtschaftet mit einer Vielfalt an Nutzpflanzen – bunte Fruchtfolgen, Mischkulturen et cetera – und mit 20 Prozent naturnahen, unproduktiven Flächen. Auf diese Weise würden Agrarlandschaften und der ländliche Raum insgesamt sehr viel artenreicher. Diese drei Faktoren – kleine Felder, Anbau-Vielfalt, 20 Prozent Natur – sind aber leider kein verbindlicher Teil der EU-Zertifizierung des Öko-Landbaus.

Teja Tscharntke. (Foto: privat)

Es fällt auf, dass Ihre Studie äußerst wohlwollend in Kreisen rezipiert wird, die eher der konventionellen Landwirtschaft nahestehen, etwa im Fachmagazin „Top Agrar“. Sogar die AfD beruft sich in einem Antrag auf Ihre Ergebnisse. Dabei sind sie gar nicht „anti-öko“. Fühlen Sie sich missbraucht?

Solange die Ergebnisse unserer Untersuchungen richtig wiedergegeben werden, kann ich keinen Missbrauch erkennen. Allerdings kann es nicht darum gehen, den Öko-Landbau schlechtzureden zugunsten eines „Weiter so“ in der konventionellen Landbewirtschaftung.

Es geht darum, den Öko-Landbau nicht einfach als perfekte Lösung aller Probleme anzusehen, sondern die Politik neu zu orientieren auf kleine Felder, vielfältigen Anbau und 20 Prozent unproduktive Natur, da dies effektive Maßnahmen für den Erhalt und die Förderung der Biodiversität sind. EU-zertifizierter Öko-Landbau, der im Wesentlichen nur auf synthetische Dünger und Pestizide verzichtet, erreicht nur wenig mehr als der konventionelle Landbau und ist deshalb nicht die optimale Lösung zur Förderung der Artenvielfalt.

Sie betonen immer wieder, dass der Zusammenhang zwischen kleinen Schlägen und großer Biodiversität bislang unterschätzt oder ignoriert wurde. Dabei ist „Small is beautiful“ doch seit Langem eine zentrale Forderung der Umweltbewegung – gerade auch in Bezug auf eine kleinbäuerlich geprägte Landwirtschaft. Ist Ihnen das entgangen?

Kleine Betriebe können auch große Felder haben und große Betriebe könnten ihre Fläche auch kleinteilig beackern. Es kommt nicht auf die Betriebsgröße an, sondern auf die Art der Bewirtschaftung. Eine biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung ist von der Betriebsgröße grundsätzlich unabhängig. Sie mag sogar auf großen Betrieben effizienter anzusiedeln sein.

Wenn man die noch vor 50 Jahren gebauten Traktoren mit den Riesenmaschinen vergleicht, die heute die Äcker umpflügen, mag man nicht glauben, dass die großen Hersteller bald wieder mehr kleinere Modelle anbieten. Diese wären aber für die Bewirtschaftung kleiner Flächen nötig. Glauben Sie, dass es auch hier ein Umdenken geben muss und wird?

Kleine Felder können eine handtuchartig schmale Form haben, wie es in Südeuropa häufiger zu sehen ist, so dass auch konventionelle Maschinen zum Einsatz kommen können. Aber grundsätzlich erfordert die kleinteilige Bewirtschaftung eine Umstellung des Maschinenparks und der Arbeitsabläufe, insbesondere wenn es darum geht, eine viel größere Vielfalt an Nutzpflanzen als bisher anzubauen und auch auf diese Weise Agrarlandschaften vielfältiger zu gestalten.

Der Ukrainekrieg und die Bauernproteste haben dazu geführt, dass in der EU-Agrarpolitik jetzt die Rücknahme von Umweltauflagen beschlossen wird statt Regeln für mehr Umweltschutz. Obwohl der Großteil der Bauern von den europäischen Fördertöpfen abhängig ist, wehrt man sich gegen eine „Vorschriftsbürokratie“, die langfristige Planbarkeit unmöglich macht. Sind das nicht äußerst schlechte Zeiten, um den Landwirten eine Verkleinerung ihrer Flächen zu verordnen?

Die Rücknahme des Standards für den „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ als Kern der Cross Compliance, also der EU-Agrarförderregeln, ist sehr bedauerlich. Besonders der Verzicht auf die Forderung, einen vierprozentigen Mindestanteil von nicht-produktiven Flächen oder Landschaftselementen vorzuhalten, ist ein großer Rückschritt. Zu Zeiten der Flächenstilllegung in der EU der 1990er und 2000er Jahre gab es noch einen Anteil von mehr als fünf Prozent Brachen in den Agrarlandschaften, was für den Erhalt der Artenvielfalt von großer Bedeutung war. Da Landwirte rund die Hälfte ihres Einkommens durch Subventionen beziehen, sollten sie auch die Bereitschaft zeigen, ökologisch sinnvolle Auflagen zu berücksichtigen.

Sie glauben Hinweise darauf zu haben, dass eine Verkleinerung der Landwirtschaftsflächen nicht unbedingt Ertragseinbußen zur Folge haben muss. Worauf stützt sich diese These?

Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die das zeigen – auch von uns. Die Kosten einer kleinteiligen Bewirtschaftung sind zwar deutlich höher, aber die Produktivität leidet nicht darunter. Ganz im Gegenteil geht mit kleinen Flächen eine produktivere Bewirtschaftung einher mit dem Effekt, dass auf kleinen Flächen mehr erzeugt wird als auf großen Flächen. Dieses umgekehrte Verhältnis zwischen Flächengröße und Produktivität ist durch umfangreiche Analysen mit Daten aus aller Welt gut belegt.

Egal ob im kapitalistischen Westen oder im kommunistischen Osten, die wirtschaftlich vorangetriebene Entwicklung führt zum monokulturellen Gigantismus. Ihre Forderung nach Kleinteiligkeit steht dem fundamental entgegen. Trotz des populistischen Hochhaltens von „Familienbetrieben“ stützt die Politik das „Wachse oder weiche“-Prinzip. Erscheint angesichts dessen der Wunsch nach einer Rückkehr zur Kleinteiligkeit nicht wie ein naiver Anachronismus?

Diesen Eindruck mag es geben, aber weltweit werden 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe von Kleinbauern bewirtschaftet, die weniger als zwei Hektar Land besitzen. Für die globale Ernährungssicherheit sind sie ein entscheidender Rückhalt.

Bei uns stellt sich angesichts der großen Unterstützung der Landwirtschaft durch Subventionen und politische Rahmenbedingungen die Frage, welche Prioritäten wir als Gesellschaft setzen. Sollen landwirtschaftliche Flächen immer intensiver bewirtschaftet werden und der Artenrückgang im ländlichen Raum immer weiter fortschreiten, um möglichst günstige Produkte zu produzieren und auch weiterhin massenhaft exportieren zu können?

Zudem importiert die EU Agrargüter, die auf einer Anbaufläche produziert werden, die so groß wie Deutschland ist. Import-Leitprinzipien für Menschenrechte, wie sie von den Vereinten Nationen schon 2011 gefordert wurden, fehlen. Importe können auf Kinderarbeit, Hungerlöhne oder gravierende Umweltzerstörung zurückgehen.

Kleinräumige Agrarlandschaft mit einem Netz aus Wallhecken, sogenannten Knicks. (Foto: Christian Kaiser/​Wikimedia Commons)

Schleswig-Holstein ist bekannt für seine Knicks. Auch anderswo in Norddeutschland und in Europa gibt es solche Wallhecken, die eine vergleichsweise kleinteilige Kulturlandschaft umschließen und gleichzeitig ökologisch und wirtschaftlich nützlich sind. Ist eine „Verknickung“ Deutschlands ein mögliches Zukunftsszenario?

Wallhecken sind aus Sicht des Naturschutzes ein hohes Gut. Zudem sind sie auch ein kulturhistorisches Erbe, das es zu bewahren gilt. Eine Kleinteiligkeit der Flächenbewirtschaftung wird häufig mit Randstreifen einhergehen, die unterschiedlich bewirtschaftet werden können und wesentlich zur Heterogenität der Landschaft beitragen – als einjährige Blühstreifen, ausdauernde wiesenartige Streifen oder Hecken- und Baumreihen.

Der rapide voranschreitende Verlust an Biodiversität, der maßgeblich von der industrialisierten Landwirtschaft vorangetrieben wird, ist dramatisch. Zwischen 1989 und 2016 hat beispielsweise die Gesamtmasse von Fluginsekten um 76 Prozent abgenommen – und das in Naturschutzgebieten. Die negativen Folgen dieser Entwicklung werden in naher Zukunft noch deutlicher zu spüren sein. Die Lebensmittelproduktion selbst wird massive Schäden davontragen. Was macht Ihnen Hoffnung, dass Ihre Forderungen so schnell umgesetzt werden, wie es die Lage erfordert?

Die Mehrheit in unserer Gesellschaft möchte eine umwelt- und biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftung im ländlichen Raum, wie viele Umfragen zeigen. Allerdings wird diese Zielsetzung schnell relativiert, sobald sie mit einer Belastung für den eigenen Geldbeutel einhergeht. Dennoch werden Umwelt- und Naturschutzthemen seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit sehr ernst genommen und stehen auf der politischen Agenda weit vorn.

Im demokratischen Rechtsstaat gibt es glücklicherweise die Möglichkeit, möglichst viele Bürger von einer anderen Prioritätensetzung zu überzeugen und für eine politische Richtungsänderung zu gewinnen. Dazu gibt es keine Alternative. Wer hätte in den sechziger Jahren gedacht, welche Rolle Frauenrechte bekommen können, dass das Rauchen so weitgehend eingeschränkt werden kann oder dass es einen Ausstieg aus der Kernenergie geben könnte? Deswegen kann der Appell nur sein, sich gegen den dramatisch und weltweit fortschreitenden Verlust der Artenvielfalt und für eine weltweite Verantwortlichkeit für Menschenrechte einzusetzen – am besten durch eine aktive Mitgliedschaft in einer demokratischen Partei.

Danke für das Gespräch.

Interview: Johann Thun

Studie von 2021: www.doi.org/10.1016/j.tree.2021.06.010
Deutschsprachige Studie im Auftrag der Grünen: www.kurzelinks.de/tscharntke

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