Aus DER RABE RALF Februar/März 2024, Seite 3
EU-weites Bürgerbegehren für eine Vermögenssteuer zur Finanzierung des ökologischen und sozialen Wandels
Pandemie, Krieg und Inflation – 2023 war ein krisenreiches Jahr. Bundeskanzler Olaf Scholz merkte in seiner Neujahrsrede an, dass die Welt „unruhiger und rauer“ geworden sei und sich in „geradezu atemberaubender Geschwindigkeit“ verändere. Unverändert bleibt jedoch der Fakt, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.
Denn es sind die großen Konzerne, die in Europa und weltweit von Kriegen und Krisen profitieren. Und damit eine kleine Zahl an realen Personen: Das reichste eine Prozent „kassiert fast doppelt so viel wie der Rest der Welt zusammen“, ist dem neuesten Bericht der Entwicklungsorganisation Oxfam zu entnehmen, der im Dezember beim UN-Klimagipfel in Dubai vorgelegt wurde. Der Titel „Survival of the Richest“ ist eine Anspielung auf Darwins Regel „Survival of the Fittest“ (Überleben der am besten Angepassten). In dem Oxfam-Report steht auch, dass 828 Millionen Menschen hungern, fast jeder zehnte Mensch.
Während die Auswirkungen der Corona-Pandemie, des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der steigenden Inflation die Lebensbedingungen von Millionen arbeitenden Menschen weltweit deutlich verschlechtert haben, wächst der Reichtum der „Ultrareichen“ in gleicher Geschwindigkeit. Das hat zur Folge, dass zum ersten Mal seit 25 Jahren extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zunehmen. Auch in Deutschland geht die berühmt-berüchtigte Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander.
Nicht alle werden ärmer
Fraglich ist daher, von welchem „Wohlstandsverlust“, der „uns alle ärmer macht“, Finanzminister Christian Lindner spricht, wenn man sich die Krisengewinne vieler großer Konzerne ansieht. Weltweit sind im Zuge der Covid-Pandemie seit dem Jahr 2020 insgesamt 26 Billionen US-Dollar an das reichste Prozent der Menschheit geflossen. Die restlichen 99 Prozent begnügten sich mit 16 Billionen Dollar. Und während die Energie- und Lebensmittelpreise durch den Ukraine-Krieg ansteigen, konnten 95 Energie- und Lebensmittelkonzerne ihre Gewinne in nur einem Jahr mehr als verdoppeln, wie Oxfam festhält. Zu den Gewinnern der Krisen zählen außerdem die Rüstungs- und die Verkehrsindustrie. Unruhig und rau war es also vor allem für viele Millionen Arbeiterinnen, Rentner, Sozialleistungsempfängerinnen oder Studierende, nicht nur in Deutschland.
Die soziale Ungleichheit zeigt sich ebenso in den Auswirkungen des Klimawandels und seiner Bewältigung. Auch hier sind nicht alle Menschen gleich betroffen. Es sind die ärmeren Bevölkerungsgruppen und Länder, die oft stark unter Extremwetter wie Dürren oder Überschwemmungen und der daraus resultierenden Verknappung von Ressourcen leiden. Dabei tragen sie viel weniger zur globalen Erwärmung bei. Die Oxfam-Studie verweist darauf, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung so viele klimaschädliche Treibhausgase verursacht wie die ärmeren zwei Drittel. In Deutschland sind diese „Ultrareichen“ für 15-mal so viel CO₂-Ausstoß verantwortlich wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Es sind also die besonders reichen Menschen und Länder, die beim Klimaschutz besonders in der Verantwortung stehen.
„Tax the Rich“
Die europäische Bürgerinitiative „Tax the Rich“ (die Reichen besteuern) fordert deshalb die EU-Kommission auf, eine Vermögenssteuer auf klimaschädliche Konzerne, deren Krisengewinne und auf große Vermögen von Kapitalbesitzenden einzuführen. Derzeit existiert eine Vermögenssteuer auf nationaler Ebene nur noch in ausgewählten OECD-Ländern wie Frankreich, der Schweiz oder Norwegen. Der Großteil der EU-Länder erhebt keine solche Steuer. Auch in Deutschland wird seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben.
Aus den Einnahmen einer europäischen Vermögenssteuer könnten soziale und ökologische Maßnahmen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten finanziert werden. Durch die Vermögenssteuer für „Ultrareiche“ könnten dem EU-Haushalt pro Jahr über 200 Milliarden Euro mehr an Eigenmitteln zur Verfügung stehen, so die Initiative. Die Summe ist erstmal nur eine Schätzung, denn bisher gibt es keine genaue Definition von „ultrareich“. Die Vermögenssteuer sollte laut dem Vorschlag von „Tax the Rich“ in jedem EU-Land individuell festgelegt werden, um die wirtschaftlichen, sozialen und steuerlichen Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten zu berücksichtigen.
Mehr (Klima-)Gerechtigkeit ist möglich
Die zusätzlichen Einnahmen aus der Vermögenssteuer könnten einen finanziellen Spielraum schaffen, um beispielsweise die Energiewende zu erleichtern oder Maßnahmen zum Schutz vor künftigen Unwetterkatastrophen zu unterstützen – oder auch den klimagerechten Wiederaufbau nach bereits entstandenen Schäden. Gleichzeitig könnten sie den reicheren Ländern ermöglichen, mehr Klimahilfe für ärmere Länder zu leisten, etwa zur Unterstützung der CO₂-Minderung, aber auch für Projekte zur Ernährungssicherung, weil vor allem Dürren infolge des Klimawandels den Welthunger weiter verschlimmern.
Neben den Klima- und Umweltmaßnahmen könnten die Einnahmen aus der Vermögenssteuer auch in den Ausbau von Bildungs-, Gesundheits- und sozialen Sicherungssystemen investiert werden, angefangen mit einem freien Zugang für alle Menschen. Nicht zuletzt müssten Frauenrechte gestärkt werden, denn Frauen und Mädchen sind überproportional von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, unter anderem dadurch, dass sie häufiger an Armut und Hunger leiden.
Von Krise zu Krise
Die europäische Bürgerinitiative kritisiert auch das Versagen der Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik der EU und der einzelnen Regierungen. Erst durch dieses Versagen habe die Ungleichheit in den EU-Ländern – und damit auch Armut und Ausgrenzung – in den letzten Jahren so stark anwachsen können. Hinzu kommt: Durch die Krisen wie die Pandemie oder den Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Kosten wie steigende Energiepreise steht auch die EU vor enormen finanziellen Herausforderungen. Einmal mehr ist unklar, wer das bezahlen soll. Es werden folglich Milliardenkredite aufgenommen.
Eine europäische Vermögenssteuer würde nicht nur die Ungleichheit und die Klimakrise bekämpfen, sie wäre auch ein Schritt weg von der Fixierung auf Gewinnstreben und hin zum Prinzip einer gerechten Besteuerung. Die gegenwärtige Wirtschaftspolitik muss nach Überzeugung der Initiative demokratischer, gerechter und vor allem sozialer werden. Die Profitmaximierung weniger dürfe nicht länger über dem Gemeinwohl vieler stehen.
Jetzt teilnehmen
Sollte „Tax the Rich“ EU-weit eine Million Unterstützungsbekundungen erhalten, ist die EU-Kommission verpflichtet, sich mit dem Anliegen auseinanderzusetzen und zu reagieren. Die Sammlung der Unterstützungserklärungen hat bereits begonnen und endet im Oktober 2024. Abstimmen kann man online über die Website der Initiative. Europäische Bürgerinitiativen wie diese waren in der Vergangenheit schon mehrmals erfolgreich.
Julia Duchnicki
Weitere Informationen und Abstimmungs-Link: www.tax-the-rich.eu
Direkt zur EU-Unterschriftsseite: eci.ec.europa.eu/038/public/