Ausbeutung, Gegenwehr und Alternativen

Aus DER RABE RALF Februar/März 2024, Seite 18

Fünf Dokumentarfilme über Arbeit, Würde und ökologische Herausforderungen

Filmszene aus „Regeln am Band in hoher Geschwindigkeit“. (Bild: JIP Film & Verleih)

Arbeit hat viele Gesichter. Als Erwerbsarbeit dient sie dem Lebensunterhalt, ist eine mehr oder weniger erzwungene Notwendigkeit. Je ungeliebter die Arbeit, desto mehr wird der Lohn zum Schmerzensgeld. Aber er kann auch als Belohnung oder wohlverdiente Anerkennung verstanden werden. Für manche ist die Arbeit an sich schon lohnend, weil sie sie gerne tun und einen Sinn darin sehen, oder weil sie die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz schätzen. Andere würden gerne lohnarbeiten, finden aber keine Stelle oder bekommen keine Arbeitserlaubnis.

Das ist aber nur die eine Hälfte der Arbeit. Die andere Hälfte ist die unbezahlte Arbeit, die viel zu oft unsichtbar ist, ohne die aber eine Gesellschaft kaum funktionieren könnte. Zum einen ist das die Versorgung von Angehörigen, die immer noch überwiegend von Frauen in Familien geleistet wird. Zum anderen arbeiten viele Menschen freiwillig in sozialen, ökologischen, kulturellen und politischen Bereichen. Beispielsweise indem sie diejenigen, die in der Lohnarbeit ausgebeutet werden, solidarisch unterstützen.

Zerstörung von Natur und Menschen

Die herrschende kapitalistische, gewinnorientierte Wirtschaftsweise hat die natürlichen Lebensgrundlagen in einem solchen Ausmaß zerstört, dass die Existenz der Menschheit durch Klimakatastrophe und Artensterben bedroht ist. Im Globalen Süden können viele schon heute nicht mehr überleben, die Folgen sind jedoch zunehmend auch hier im Globalen Norden spürbar.

Auch arbeitende Menschen werden durch diese Wirtschaftsweise zerstört. Im Globalen Süden müssen viele schon von Kindheit an unter gesundheitsschädigenden Bedingungen schwere Arbeit leisten. Aber auch hierzulande wird vor allem körperliche Arbeit immer weniger wertgeschätzt, und auch hier werden die Körper der Arbeitenden ausgenutzt und vernutzt. Wer nicht körperlich arbeitet, sondern dem Management mehr oder weniger kreativ zuarbeitet, soll dies unter vollem persönlichem Einsatz und mit Engagement tun. Diese Ausbeutung zielt weniger auf den Körper – wenngleich Schreibtischarbeit auch sehr ungesund sein kann –, sondern auf das Denken und Fühlen der Arbeitenden. Es ist überall die Gewalt der Verhältnisse, die viel zu viele dazu zwingt, sich das gefallen zu lassen.

Arbeitszeit ist Lebenszeit

So wie bisher kann es nicht weitergehen. Aber was wären Alternativen, und wer entscheidet darüber? Zu Corona-Zeiten kam der Begriff der „systemrelevanten Arbeit“ auf, und damit auch die Frage, was Menschen zum Leben brauchen. Den gut gemeinten klatschenden Beifall von den Balkonen haben viele Pflegekräfte als zynisch empfunden, denn davon konnten sie sich nichts kaufen.

Bei Arbeitskämpfen in der Pflege und in anderen Bereichen geht es nicht nur um mehr Lohn. Der ist zwar notwendig, solange wir in einer Welt leben, in der vieles am Geld hängt und Lohnarbeit nötig ist, um daran teilhaben zu können. Aber es geht auch um die Arbeitsbedingungen, denn Arbeitszeit ist Lebenszeit, die würdige Verhältnisse braucht.

Im Kulturzentrum Regenbogenfabrik in Berlin-Kreuzberg gab es im Herbst 2023 eine Dokumentarfilmreihe zum Thema Arbeit, mit anschließenden Gesprächen mit den Filmemacherinnen. Es ging um prekäre Arbeit und Ausbeutung, um die Frage nach der Menschenwürde in der Arbeit und um Solidarität und Widerstand, aber auch um Utopien und um anderes, selbstverwaltetes Arbeiten.

„Regeln am Band bei hoher Geschwindigkeit“

In ihrem 2020 fertiggestellten Abschlussfilm „Regeln am Band bei hoher Geschwindigkeit“ nimmt Yulia Lokshina, Absolventin der Filmhochschule München, die Arbeitsbedingungen migrantischer LeiharbeiterInnen in der Fleischverarbeitung der Firma Tönnies in den Blick. Sie wollte keinen aktivistischen Film drehen, die Passgenauigkeit mit den Skandalen und Protesten um dieses Unternehmen in der Coronazeit ergab sich zufällig.

Der Film beginnt mit der Erzählung über den Tod eines Arbeiters in einer Maschine der Fleischfabrik, während Schweine in monotonen Bewegungen Kugeln hin und her rollen. Es folgt ein Mosaik von Eindrücken aus der Lebensrealität der ArbeiterInnen, beispielsweise überlange Wegezeiten, überteuertes Wohnen in Gruppenunterkünften, sinnfreier Sprachkurs. Es gibt auch solidarische Unterstützung durch öffentliche Veranstaltungen, Beratung und Übersetzungshilfen. Eine Frau begleitet eine Arbeiterin, die ins Gefängnis kam, weil sie in einer psychischen Ausnahmesituation keine Hilfe fand und ihr neugeborenes Baby in einem Gebüsch ablegte.

Ein Münchner Gymnasium hat für diesen Film Bertolt Brechts Theaterstück „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ eingeübt. Der Lehrer versucht – mitunter recht belehrend – die eher passiven SchülerInnen zu eigenen Überlegungen anzuregen. Beispielsweise zur Frage, ob KonsumentInnen mehr fürs Fleisch zahlen sollten. Der Film endet mit einer verstörenden Performance der SchülerInnen in einem nächtlich verschneiten Wald.

Mittlerweile wurden die gesetzlichen Regelungen für Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie verändert. Damit sind jedoch die Fragen nach den Arbeits- und Lebensbedingungen der WanderarbeiterInnen, die der Film sehr deutlich offenlegt, noch lange nicht gelöst.

„Work Hard – Play Hard“

Ganz andere Formen von Entwürdigung in der Arbeit stellt Carmen Losmann mit „Work Hard – Play Hard“ vor. Nachdem sich 2006/2007 innerhalb kurzer Zeit drei Mitarbeiter des Autobauers Renault in Frankreich das Leben genommen hatten – ein IT-Spezialist und zwei Ingenieure – wollte die Filmemacherin mehr wissen über die Hintergründe. Es war die Zeit, als viele Unternehmen umstrukturiert wurden. Neue Formen der Arbeitsorganisation mit flacheren Hierarchien wurden eingeführt, um die kreativen Ressourcen der MitarbeiterInnen noch besser auszunutzen.

Der Film dokumentiert die Einführung von Managementmethoden zur Optimierung der Ausbeutung in Unternehmen in Deutschland. An den Beispielen eines neuen Unilever-Bürohauses und der Hamburger Hafencity zeigt er, wie Firmengebäude so gestaltet werden, dass sie nicht mehr an Arbeit erinnern. Die informelle Kommunikation in der Kaffeepause soll zur Quelle von Innovationen und Produktivitätsentwicklung werden. In der persönlichen Atmosphäre sollen die MitarbeiterInnen so vom Geist des Unternehmens durchdrungen werden, dass sich das Streben nach Umsatzwachstum und Gewinnmaximierung tief in ihren Bedürfnisstrukturen verankert.

Unternehmensberatungen bieten Methoden für die Personal- und Teamentwicklung an, bei denen der ganze Mensch mit Körper, Geist und Seele gefordert ist. Alles steht im Dienst der Karriere, und es scheint keinen Unterschied mehr zu geben zwischen den Interessen der Beschäftigten und denen des Unternehmens. Die solcherart konditionierten Angestellten sollen den immer neuen Anforderungen des „Change Management“ flexibel und hoch motiviert nachkommen.

Die Freundlichkeit der maskenhaften Gesichter und die standardisierten Äußerungen können die Kälte der realen Gewalt kaum verstecken. Manche Gebäude strahlen den Charme von Zuchtanstalten oder Gefängnissen aus. Der Film wurde 2011 fertiggestellt und wirft Fragen nach Macht und Entwürdigung auf, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in der ganzen auf entfremdeter Arbeit beruhenden Gesellschaft.

„Frauen bildet Banden“

Das FrauenLesbenFilmCollectif LasOtras veröffentlichte 2019 den Film „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“. Über mehrere Jahre hat das Kollektiv mit vielen Freundinnen die Geschichte der Frauengruppe nachgezeichnet, die in der BRD der 1970er und 80er Jahre mit militanten Aktionen von sich reden machte.

Zeitgenossinnen und Dabeigewesene – Letztere anonymisiert – berichten über Diskussionen in der Frauenbewegung und über die Entstehung der Roten Zora aus den Revolutionären Zellen (RZ) und über ihre Aktionen. Die Kulturwissenschaftlerin Katharina Karcher, die 2018 ihre Doktorarbeit „Sisters in Arms“ (bewaffnete Schwestern) über feministische Militanz in Deutschland veröffentlicht hat, kommentiert dies. Eingeblendet werden historische Fotos und Kampfsportszenen, und zum Schluss gibt es aktuelle Kommentare von Frauen aus aller Welt.

Die Rote Zora griff Themen alltäglicher patriarchaler Gewalt auf: Vergewaltigungen, den Abtreibungsparagrafen 218, Gewalt gegen Frauen durch Frauenärzte und Frauenhandel, Zwangssterilisationen in der damals so genannten „Dritten Welt“ sowie Gen- und Reproduktionstechnologien. Die Frauen prangerten die von ihnen als Täter Identifizierten an und verübten in kleinen, klandestinen Gruppen Anschläge auf Institutionen, Räume und Autos. Dabei achteten sie darauf, dass keine Menschen zu Schaden kamen.

Als Textilarbeiterinnen der deutschen Firma Adler in Südkorea streikten, verübte die Rote Zora Brandanschläge auf Adler-Geschäfte in Deutschland, mit denen die Sprinkler-Anlagen ausgelöst wurden. Mit der Androhung weiterer Anschläge gelang es der Gruppe, die Forderungen der Streikenden wirksam zu unterstützen.

Der Film gibt Einblicke in die Geschichte feministischer Kämpfe, die Fragen aufwerfen nach Militanz und internationaler Solidarität. Eine Protagonistin betont, dass das gemeinsame Handeln damals über ideologische Unterschiede hinweghelfen. In der Ablehnung von Gen- und Reproduktionstechnologie waren sich die Frauen damals jedoch offensichtlich einig – was Fragen nach feministischer Positionierung heute aufwirft.

„Der laute Frühling“

Johanna Schellhagens Film „Der laute Frühling – Gemeinsam aus der Klimakrise“ (Rabe Ralf August 2022, S. 23) ist ebenfalls aus einem Kollektiv heraus entstanden. Labournet.tv produziert eigene Filme, archiviert und untertitelt alte und neue Filme aus der ArbeiterInnenbewegung aus aller Welt und veröffentlicht sie kostenlos online.

Die Filmemacherin möchte herausfinden, wie der Klimawandel aufgehalten werden kann. Im ersten Teil ihres Films zeigt sie Aktionen der Klimabewegung und befragt AktivistInnen und WissenschaftlerInnen zur Situation. Ihr ernüchterndes Fazit: Es hat alles nichts gebracht. Die CO₂-Emissionen nehmen zu, der Klimawandel schreitet voran.

Sie fragt auch nach der Wirksamkeit anderer sozialer Bewegungen, die seit 20 Jahren immer wieder auf die Straße gehen, 2001 in Argentinien, im sogenannten Arabischen Frühling 2010, in den letzten Jahren in Frankreich, Chile, Iran und anderen Ländern. Auch Black Lives Matter oder linke Parteien – wie Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland oder die Versuche von Bernie Sanders in den USA – konnten nichts Grundlegendes ändern. Was kommt danach und wer hat die Macht für Veränderungen?

Der zweite Teil des Films von 2022 zeigt das Frühjahr 2024 in animierten gezeichneten Szenen. Es kommt zu Platzbesetzungen, die sich zu einer Revolution auswachsen. Die ArbeiterInnen übernehmen die Macht und die Firmen, es gibt keinen Staat mehr, niemand zahlt mehr Miete. Im Radio rufen RevolutionärInnen auch Polizei und Militär auf, sich der Revolution anzuschließen. Wo für unnütze Produkte Rohstoffe und Energie verbraucht werden, wird die Produktion eingestellt. Lebensnotwendiges wird weiterhin hergestellt, Verkehr und Gesundheitsversorgung aufrechterhalten. Die Menschen diskutieren am Arbeitsplatz und erleben, was Selbstermächtigung bedeutet. Zum Beispiel nicht mehr fragen zu müssen, ob du bei der Arbeit aufs Klo gehen darfst. Es geht nicht konfliktfrei ab, aber die Vorhut einer neuen Welt wird sichtbar.

Der Film wirft Fragen nach sinnvollem politischem Engagement und nach sinnvoller Arbeit auf und spricht die Hoffnung auf die Selbstorganisationskräfte der Arbeitenden an. Müssten nicht AktivistInnen in all die lebensnotwendigen Arbeitsbereiche gehen, um dort an der Transformation mitzuwirken?

„Taste of Hope“

Die genossenschaftlich betriebene Teebeutelfabrik Scop Ti in Südfrankreich hat eine bewegte Geschichte. Als der Mutterkonzern Unilever das florierende Unternehmen 2011 schließen wollte, um die Produktion nach Polen zu verlegen, besetzten die ArbeiterInnen ihre Fabrik. Nach 1336 Tagen gewannen sie den Kampf vor Gericht und produzieren nun in Selbstverwaltung.

Mit „Taste of Hope“ begleitet Laura Coppens die ArbeiterInnen durch die Mühen, sich in der Konkurrenz des Marktes zu behaupten. Dass sie dabei sein darf, wenn delikate Themen besprochen werden, zeugt vom Vertrauensverhältnis, das sie während der Dreharbeiten aufgebaut hat. Die Perspektive ist einfühlsam begleitend, ohne etwas zu beschönigen. Am Beispiel von Scop Ti wird deutlich, wie viele Kompromisse das Bestehen in der Marktwirtschaft verlangt.

Wenn die Kamera durch die riesigen Produktionshallen fährt, wird sinnlich erfahrbar, welche Herausforderungen in kollektiv organisierter Fabrikarbeit stecken. Wenn eine Maschine kaputtgeht, ist das existenzbedrohend, denn es gibt keinen Ersatz und eine Reparatur ist teuer. Manches lässt sich mit Erfahrung und Geschick selbst reparieren. Wenn zu viel Ausschuss produziert wird, oder wenn sich mal wieder zu viele nicht an die notwendigen Auflagen für Ordnung und Sauberkeit halten, dann stellt das auch Fragen an das Miteinander und die gemeinsamen Werte.

Die ArbeiterInnen haben sich nicht zusammengetan, weil sie unbedingt selbstverwaltet wirtschaften wollten, sondern die vorhandene Belegschaft hat um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze gekämpft. Welches gemeinsame Selbstverständnis bildet sich dabei heraus? Welche Rolle sollen beispielsweise die Vergangenheit und der erfolgreiche Kampf in der Außendarstellung spielen? Oder versteht sich die Genossenschaft jetzt als ganz normale Firma?

Der 2019 veröffentlichte Film zeigt die vielschichtigen Herausforderungen, vor denen selbstverwaltete Betriebe stehen. Er wirft Fragen auf – danach, wie ein solcher Betrieb sich sinnvoll nach außen präsentieren kann, wie auch nach der Gestaltung der inneren Organisation und Kommunikation.

Was wäre, wenn …?

In politischen, vor allem klimapolitischen Diskussionen bleibt die Rolle der Arbeit oft unterbelichtet. Dabei schafft das Zusammenspiel von menschlicher Arbeit und Natur die Grundlagen des Lebens. Jede und jeder nutzt täglich die Ergebnisse der Arbeit von anderen, und viele fügen diesem Gemeinsamen selbst etwas hinzu. Liegt nicht darin ein großes Potenzial für gesellschaftliche Veränderungen? Was wäre, wenn Menschen selbst entscheiden und miteinander aushandeln könnten, was sie arbeiten möchten, welche Produkte und Leistungen sie benötigen, in welcher Qualität und welcher Menge, und wie sie diese herstellen möchten? Wie müsste eine solche Gesellschaft ohne Ausbeutung von Mensch und Natur gestaltet sein?

Elisabeth Voß 

Transparenzhinweis: Die Autorin war als Vorstandsmitglied des NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg e.V. (NETZ BB) selbst aktiv an der Veranstaltungsreihe beteiligt. Die Reihe in der Regenbogenfabrik wurde vom Netz BB in Kooperation mit Docfilm42 e.V. durchgeführt, gefördert von der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt. Der Film „Taste of Hope“ wurde dort im Rahmen des Dokumentarfilmfestivals LetsDok gezeigt. Die Autorin verwendet hier Formulierungen aus ihrer Filmbesprechung in der Zeitschrift Graswurzelrevolution vom Oktober 2019, ohne dies gesondert kenntlich zu machen. 

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