Spuk im Herrenhaus

Aus DER RABE RALF Februar/März 2024, Seite 16

Der Naturpark Westensee. Über ein Idyll mit drohenden Schatten

Ein rechtes Versteck: Das Gut Manhagen. (Foto: Johann Thun)

Es ist schön im Naturpark Westensee. Im Zentrum Schleswig-Holsteins gelegen, ist er ein echter Geheimtipp für alle Naturfreunde. Wer das Glück hatte, hier aufzuwachsen, wird den Ort nur ungern wieder verlassen, und wenn doch, wird er die Erinnerung daran immer mit sich herumtragen.

In der von der letzten Eiszeit geprägten, sanft an- und absteigenden Hügellandschaft wimmelt es von weiten Seen, dichten Wäldern, versteckt mäandernden Flüssen und geheimen Sümpfen. Nicht nur von Gletschern zusammengeschobene Bodenschichten treffen hier aufeinander, auch die verschiedenen Zeitschichten liegen unaufgelöst Seite an Seite. In den Siedlungen stehen neben alten Reetdachhäusern geistlose Neubauten, draußen ragen neben kleinen Wind- und Solarparks Hügelgräber und Findlinge als stumme Zeugen der Vorzeit hervor.

In den angrenzenden Dörfern, die Namen tragen wie Eisendorf, Groß-Vollstedt oder Bokel, leben mehr Bauern als Landwirte. Das kleinteilig strukturierte Grün- und Ackerland ist umgeben von Wallhecken, den sogenannten Knicks, dicht bepflanzten und verbuschten Baumreihen, an denen der Wind endlangpfeift. Ursprünglich wurden sie von den dänischen Herrschern eingeführt, um das Gemeindeland der Allmende zu teilen und zu enteignen. Heute bieten sie seltenen Tieren einen Wohnraum und sind streng geschützt. Alle zehn Jahre dürfen die Knicks zur Holzgewinnung heruntergeschnitten werden. Die Gesetze des Knickens beruhen gleichzeitig auf den Paragrafen der Umweltschutzbehörde und dem erinnerten Gewohnheitsrecht. Wehe dem, der dagegen frevelt. Traurig sieht es aus, wenn nach dem Herunterschneiden nur ein paar größere Bäume, Übersteher genannt, einsam auf den Erdwallen verbleiben. Es dauert aber nicht lange, bis „der Wald, der wandelt“ wieder an Ort und Stelle steht und Besitz von Besitz trennt.

Ja, es ist schön im Naturpark Westensee. Der morgendliche Spaziergänger erkennt in den dichten Nebelwolken die Hörner von Hochlandrindern und hört den gedämpften Galopp von Islandpferden, die hier jeder zu halten scheint. Später sieht er am Himmel einen Seeadler kreisen.

Im Winter gleicht die Region einem hermetischen Vers aus der Edda. Im Sommer sind Waldwege, Heuballen und Stege von einem weißen Licht umgeben, das die Landschaft von innen her leuchten lässt, ihr eine fast psychodelische Note gibt. Tolkien-Leser werden meinen, dass „Der Herr der Ringe“ eher in diesem Auenland als in einem computermanipulierten Neuseeland hätte verfilmt werden sollen.

Geister der Vorzeit

Unweit des Naturparks liegt Nortorf. Eine Kleinstadt, die, obwohl sie damit wirbt, der geografische Mittelpunkt Schleswig-Holsteins zu sein, ziemlich genau am Ende der Welt zu liegen scheint. Dazu passt, dass es eine alte Sage gibt, nach der hier eine Schlacht ausbrechen soll, die tatsächlich das Weltende einläutet: „Es wird ein langer und fürchterlicher Kampf sein, also dass das Blut längs den Wagenspuren auf den Feldern rinnet und die Kämpfer darin bis an die Knöchel waten“, überliefert der Volkskundler Karl Müllenhoff.

Im 12. Jahrhundert hatte ein Bauer aus dieser Gegend eine Jenseitsvision, die auf Latein festgehalten wurde. Er sah einen Fluss, der aus Schwertern, Spießen und Lanzen bestand. Die Toten, die schwimmend ans andere Ufer wollten, wurden zerfleischt.

Es ist unheimlich im Naturpark Westensee. Der abendliche Spaziergänger erschrickt vor einem plötzlich aus der Dunkelheit erscheinenden Hörnerkopf, von irgendwo kommt gedämpfter Galopp.

Der Jurist Friedrich Johann Lorenz Meyer, der 1815 durch diese Gegend reiste, notierte: „Als ob in den Ebnen von Vollstedt die Geister der Vorzeit noch zwischen den Heldengräbern walten, werden hier die Gemüther des Volks mehr wie irgendwo von Fabeln und Sagen beherrscht.“ 

Marmor und Ketten

„Im Herrenhaus ist der Strom ausgefallen, es ist dunkel und irgendwie spukt es hier. Wir brauchen dringend Hilfe. Könnt Ihr uns helfen, das Wesen zu finden, das hier im Herrenhaus Emkendorf sein Unwesen treibt?“ Mit diesen Worten wirbt das Gut Emkendorf für seine mehrmals im Jahr angebotene Gruselführung. Welches Wesen mag hier wohl herumspuken?

Das Gut ist so etwas wie der Musenhof des Naturparks. Über die Landesgrenzen hinaus kennt man das „Schleswig-Holstein Musik Festival“, in dessen Rahmen auch hier jeden Sommer Konzerte stattfinden. Der Ruhm des in einem weitläufigen Landschaftsgarten gelegenen Herrenhauses reicht weit in die Vergangenheit zurück. „Weimar des Nordens“ wurde der Ort genannt, als Julia von Reventlow hier die Gutsherrin war und illustre Geister zum geselligen Austausch lud. Obwohl der fröhliche Heide Goethe nie zu Besuch kam und nur Spott für die ergriffenheitschristliche Ausrichtung des Kreises übrighatte, war doch zumindest Matthias Claudius ein häufiger Gast. Er soll sogar hier sein berühmtes „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ gedichtet haben.

Gut Emkendorf: „Zahlreiche Leibeigene und Sklaven“. (Foto/​Ausschnitt: Matthias Süßen/​Wikimedia Commons, CC by-sa 4.0)

Die für die Dichtertreffen, die stilvollen Umbauten und das geschmackvolle Interieur des Hauses nötigen Finanzmittel konnte Julia leicht aufbringen, war sie doch die Tochter des dänischen Schatzhalters Heinrich Carl von Schimmelmann, der – gar nicht so christlich – mit dem sogenannten Dreieckshandel, bei dem im atlantischen Raum Waren wie Sklaven, Rohzucker und Stoffe hin- und hergetauscht wurden, ein gewaltiges Vermögen gemacht hatte. 

Zeugnis von Kultur und Barbarei

Der Historiker Christian Degen hat ein Standardwerk über den Dreieckshandel geschrieben, in dem es lapidar über Gut Emkendorf heißt: „Es ist Denkmal einer vergangenen Zeit, einer feudalen Gesellschaft, die dank beachtlicher Privilegien, großer Einkünfte und der Verfügungsgewalt über zahlreiche Leibeigene und Sklaven Bedeutendes schaffen konnte.“ Etwas deutlicher wird Walter Benjamin, der meint, dass Kulturgüter allesamt von einer Abkunft sind, „die man nicht ohne Grauen bedenken kann“.

Was Benjamin allgemein über Kulturgüter sagt, passt auch nach Emkendorf, denn das Gut „dankt sein Dasein nicht nur der Mühe der großen Genien, die es geschaffen haben, sondern auch der namenlosen Fron ihrer Zeitgenossen. Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein.“

Das ist doch nun alles lange vorbei, wird man vielleicht sagen, aber Benjamin fährt gnadenlos fort: „Und wie das Kulturgut selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozess der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“

Lange war das Gut im Besitz der adligen Familie von Reventlow verblieben, doch 1929 kaufte es der millionenschwere Verleger Curt Heinrich. Dieser war Besitzer der „Kieler Zeitung“ und der „Kieler Neuesten Nachrichten“, die Vorgänger der bis heute erscheinenden „Kieler Nachrichten“. Schon vor der Machtergreifung hatte er äußerst wohlwollend über die Nazis berichten lassen. Dem späteren NSDAP-Mitglied und strammen NSDAP-Ortsgruppenleiter gehörten die „Kieler Nachrichten“ auch nach 1945 noch. Die Barbarei blieb für ihn selbst folgenlos.

Heute wird Emkendorf weiterhin von der Familie Heinrich verwaltet, die sich neben der Förderung der Kultur auch sehr für die ökologische Bewirtschaftung der zahlreichen zum Gut gehörenden Land-, Wald- und Seenflächen einsetzt.

Finden die Besucher der Gruselführung am Ende heraus, dass es die unerlösten Geister der geschundenen und missbrauchten Sklaven sind, die durch das Herrenhaus spuken? Oder sind es die Opfer eines uns zeitlich näher stehenden Grauens, die hier für Unruhe sorgen? Wir wissen es nicht. Auf eine Anfrage, wie das Gut mit seinem kolonialen und nationalsozialistischen Erbe umgeht, bekam der Rabe Ralf die Antwort, dass man sich hierzu nicht äußern wolle. 

Es gibt sie noch

Der Naturpark Westensee ist adliges Land. Davon zeugt nicht nur das Gut Emkendorf. Im nachbarlichen Gut Deutsch-Nienhof produziert die Familie von Hedemann-Heespen einen von Kennern geschätzten Biowein. Unweit davon liegt das Gut Manhagen, ebenfalls ein ökologischer Musterbetrieb, der Touristen zur Übernachtung in edler und naturnaher Kulisse einlädt. Während die heutigen Besitzer der anderen Güter keine vergleichbaren Tendenzen erkennen lassen, ist der auf Manhagen residierende Thomas Hoof politisch alles andere als ein unbeschriebenes Blatt.

Hoof kommt aus dem grün-alternativen Milieu Nordrhein-Westfalens und wurde mit der Gründung von „Manufactum“ reich, dem bekannten Versandhandel für hochwertige Nobelprodukte, der mit dem Slogan „Es gibt sie noch, die guten Dinge“ für sich wirbt. 2008 verkaufte Hoof seine Anteile und leitet seither neben seinem Öko-Urlaubsbetrieb nur noch den aus Manufactum hervorgegangenen Verlag „Manuscriptum“.

Ob die zahlreichen Gäste, die auf Google begeisterte Rezensionen über das „Idyll im Norden“ schreiben, wissen, wen der Gutsherr so alles im Verlagsprogramm hat? Sein ambitioniertestes Projekt ist wahrscheinlich die Herausgabe der gesammelten Werke von Rolf Peter Sieferle, jenem renommierten Umwelthistoriker, der als intellektueller Vertreter der „Merkel muss weg“-Fraktion und Migrationsapokalyptiker sein Leben beendete. Seine posthume Schrift „Finis Germania“ konnte der bekannte rechtsextreme Publizist Götz Kubitschek noch werbewirksam im hauseigenen „Antaios-Verlag“ unterbringen, auch Manuscriptum hat sie im Programm.

Hoof veröffentlicht selbst gelegentlich in Kubitscheks altneurechter Edelhetzpostille „Sezession“. Seine eigenen Texte sind allerdings nicht viel mehr als wiedergekäuter Sieferle und weisen eine stilistische Eleganz auf, die in etwa dem „Toilettenpapierhalter Zangra“ gleicht, den man bei Hoofs altem, unpolitischem Raritätenversand für sagenhafte 49,90 Euro erwerben kann. („Bitte beachten Sie, dass aufgrund des Herstellungsprozesses die Federrolle nicht 100%ig gerade im Gehäuse sitzt.“)

Zu den Bestsellern des Verlages gehören, neben einigen Werken des grantigen Geronten Gauland, das homophobe Pamphlet „Die Große Verschwulung“ des Katzenkrimiautors Akif Pirinçci und „Nie zweimal in denselben Fluß“, der Gesprächsband mit Björn Höcke, den manche auch als Landolf Ladig kennen. Wenn schon das erstgenannte Werk vermuten lässt, dass hier jemand etwas zu oft an der Katzenstreu geschnuppert hat, ist das zweite ein dermaßen unangenehmes Gebräu aus mit angelesenen Wikipedia-Artikeln aufgeblasener Bildungshuberei, furzgemütlichem Nationalkitsch und offen zur Schau getragener Autofellatio, dass sogar die rechte „Junge Freiheit“ das hochnotpeinliche Buch verreißen musste.

Vielleicht ist es wirklich nicht korrekt, den westdeutschen Thüringer immer wieder mit dem bekannten Postkartenmaler und Ex-Führer zu vergleichen, aber in puncto Produktion von unlesbarem Schriftgut nehmen sich beide tatsächlich nicht viel.

All das wäre nur zum Lachen, wenn es unter den Deutschen keine wachsende Anzahl an Volksgenossen gäbe, die die Tragödie der Vergangenheit gerne noch einmal als Farce wiederholen wollten. Ob einige davon Treffen im schön gelegenen Gutshof Manhagen abhalten, ist bisher nicht bekannt. 

Schweine unter Flecktarn? Auch andere Fragen bleiben unbeantwortet. (Foto: Johann Thun)

Rechte und Schweine

In Hoofs Verlagsprogramm finden sich zahlreiche Bücher mit ökologischem Inhalt. So hat etwa der Landwirt und frühere DDR-Umweltbewegte Michael Beleites 2020 hier den Band „Lebenswende. Degeneration und Regeneration in Natur und Gesellschaft“ veröffentlicht, dessen Inhalt man sich leider denken kann. „Manuscriptum“ steht exemplarisch für die immer wieder unternommenen Versuche der alten und neuen Rechten, die Ökobewegung zu kapern oder als „ursprünglich rechts“ zu deklarieren. Weitere aktuelle Beispiele dafür sind die aus dem Sezession-Umfeld kommende Zeitschrift „Die Kehre“ oder das momentan wieder stark anlaufende Projekt, den Protest der Bauern zu unterwandern.

Dass auch Thomas Hoof nicht isoliert im rechten Abseits bleibt, hat die Taz vor einigen Jahren publik gemacht. Zu den Pächtern seiner Öko-Flächen gehört nämlich auch der Tierpark „Arche Warder“, ebenfalls im Naturpark ansässig. Der Park leistet verdienstvolle Arbeit im Bereich der Zucht bedrohter Nutztierrassen und lockt zahlreiche Touristen in die Gegend. Wohl auch aus Reaktion auf den Taz-Artikel machen die Betreiber online darauf aufmerksam, dass der Tierpark sich zwar im politischen Raum „neutral“ bewegen muss und „mit verschiedenen demokratischen Parteien zusammenarbeitet, um Umwelt und Tiere zu schützen“, schreiben aber auch: „Aufgrund des Wiedererstarkens rechtsextremer Ansichten bringen wir nachdrücklich unsere Ablehnung gegenüber fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen, homophoben oder sonstigen diskriminierenden Überzeugungen zum Ausdruck.“

Wer die Arche Warder besucht (und das sollte man unbedingt), wird direkt am Eingang von einem „Kein Ort für Nazis“-Schild begrüßt. Dennoch scheint die Zusammenarbeit mit Hoof weiterzubestehen. Nur ein paar Meter von Manhagen entfernt tummelt sich auf einer zum Gut gehörenden Fläche weiterhin der wertvolle Schweinebestand. Ob das noch immer allein darauf zurückzuführen ist, dass ökologische Flächen anderweitig nicht zu bekommen sind, konnte nicht geklärt werden. Eine entsprechende Anfrage ließ der Tierpark unbeantwortet. 

Andere Geschichten

Der Naturpark Westensee ist voller Geschichten. Manche davon sind widerspenstig, versteckt und fast vergessen, wie Träume. Im gleichnamigen Dorf starb 1946 Bernhard Kuhnt, ein Hauptakteur der Novemberrevolution. Einige utopische Tage stand er an der Spitze der „Selbständigen Republik Oldenburg-Ostfriesland“ und wurde später von den Nazis als „Novemberverräter“ vorgeführt. In Westensee erinnert heute nichts an ihn.

Immerhin nimmt die erwähnte Volkssage um den Weltuntergang bei Nortorf kein schlechtes Ende, denn nach der letzten Schlacht soll „für lange Zeit überall auf Erden Friede herrschen“.

Wer im Naturpark Westensee nach Frieden sucht, kann im kleinen Ort Bokel Urlaub machen. Hier haben vor einigen Jahren ein paar menschen- und naturfreundliche Hippies die beiden Zirkuswagenhöfe „Mühle 17“ und „Ulliwood“ gegründet. Für wenig Geld kann hier jeder übernachten und die Umgebung erkunden. Denn es ist wirklich schön im Naturpark Westensee.

Johann Thun

Statement im Tierpark Arche Warder. (Foto: Johann Thun)

Weitere Informationen:
www.ulliwood.de
www.muehle17.de
www.arche-warder.de

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