Aus DER RABE RALF April/Mai 2024, Seite 21
Die Subventionierung von Dienstwagen schadet dem Klima und der Gesellschaft, sagt Verkehrsforscher Stefan Gössling
Angesichts der Klimakrise und knapper öffentlicher Kassen stehen klimaschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg wieder vermehrt in der Kritik. Stefan Gössling, Professor an der Universität Lund und Experte für Tourismus, Mobilität und Nachhaltigkeit, erläutert im Interview, aus welchen Gründen das Dienstwagenprivileg klimaschädlich ist und weshalb es abgeschafft werden sollte.
Herr Gössling, in einer Ihrer Publikationen zeigen Sie, dass speziell Dienstwagen klimaschädlich sind, und plädieren für die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Können Sie uns den Unterschied zwischen einem „durchschnittlichen Dienstwagen“ und einem „durchschnittlichen Privatwagen“ erklären?
Stefan Gössling: Es gibt viele wissenschaftliche Argumente für die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs. Ein Dienstwagen wird zum Beispiel etwa doppelt so viel gefahren wie ein privates Fahrzeug und stellt gleich eine doppelte Form der Subvention dar: Einerseits werden nicht die vollen Abgaben entrichtet, die bei privater Nutzung des Dienstwagens eigentlich zu zahlen wären. Andererseits ist das Auto sowieso subventioniert, weil zahlreiche Kosten, die für die Gesellschaft entstehen, nicht auf die Nutzer:innen umgelegt werden.
Sie schreiben, das Dienstwagenprivileg trage dazu bei, dass das Auto als selbstverständliches Transportmittel gesehen wird. Können Sie ausführen, wie der Dienstwagen das Mobilitätsverhalten von Angestellten und ihren Familien verändert und warum? Welche Konsequenzen hat das mit Blick auf die Jahresfahrleistung und die Klimabilanz?
Wer einen Dienstwagen besitzt, sieht diesen als Bonus – wir sprechen ja nicht ohne Grund vom Dienstwagen-„Privileg“. Natürlich liegt es dann nahe, diesen Wagen so oft wie möglich zu nutzen – warum mit der als teuer und umständlich empfundenen Bahn fahren, wenn das neue, große und vermeintlich billige Auto direkt vor der Haustür steht? Wir sehen aber in unseren Daten, dass dadurch auch andere Effekte entstehen. Familien mit Dienstwagen haben zum Beispiel in aller Wahrscheinlichkeit auch mehr Autos als andere Familien. Das alles führt dazu, dass Dienstwagen unser Mobilitätsverhalten verändern, wir fahren mehr – mit entsprechenden zusätzlichen Klimagasemissionen.
Viele plädieren für eine Reform des Dienstwagenprivilegs, Sie fordern seine Abschaffung. Warum?
In Zeiten des Klimawandels sind bestimmte Subventionsformen einfach nicht mehr zeitgemäß. Man sollte jetzt den Verkehr subventionieren, der Emissionen reduziert, gern auch vor allem das Fahrrad, denn jeder gefahrene Fahrradkilometer hat einen gesellschaftlichen Nutzen. Wer sich aktiv bewegt, wird weniger krank und hat eine längere Lebenserwartung. Es ist sinnvoll, diese wissenschaftlichen Einsichten stärker zu berücksichtigen.
Wie hoch wären die CO₂-Einsparungen bei Abschaffung des Dienstwagenprivilegs?
Das ist so nicht ohne Weiteres zu beantworten. Dienstwagen schaffen Komplexität. Es ist ganz klar, dass mehr gefahren wird. Es ist aber auch klar, dass Dienstwagen das Interesse am Auto erhöhen. Wer einen hochmotorigen Pkw hat und viel fährt, der ist vielleicht auch gegen Tempo 130 auf Autobahnen – also eine Maßnahme, die Emissionen deutlich reduzieren und auch viele schwere Unfälle verhindern könnte. Aufgrund der Dienstwagenregelung bauen Autobauer immer größere Fahrzeuge, statt auf kleinere und effizientere Modelle zu setzen. Wenn das alles in die Waagschale geworfen wird, dann kann man das Einsparpotenzial nicht überschätzen.
Sie kritisieren, dass die Klimaschutzbemühungen der Bundesregierung sich vor allem darauf konzentrieren, die CO₂-Emissionen des einzelnen Neufahrzeugs zu verringern. Wie bewerten Sie diese Bemühungen vor dem Hintergrund der Abweichungen von Herstellerangaben und realem Spritverbrauch, wie sie die Forschungsorganisation ICCT belegt hat?
In Deutschland haben wir eben keine wissenschaftsbasierte Verkehrspolitik, sondern eine Industrielobbypolitik, die sich immer der Automobilindustrie verpflichtet gefühlt hat. Die Klimaziele haben nie Relevanz für deutsche Verkehrsminister gehabt, das zeigt auch die fast alleinige Konzentration auf spezifische CO₂-Emissionen von Neufahrzeugen. Das ist nicht nur technisch unmöglich umzusetzen, wenn die Autos immer größer werden, sondern es ist vor allem auch ein gesellschaftlicher Diskurs: „Als Fahrer kann dir egal sein, wie du die Umwelt beeinträchtigst, denn das Problem lösen wir technisch.“ Mit dieser Maxime ist seit den 1990er Jahren verschlafen worden, das Klimaproblem ernsthaft anzugehen.
Was sind Ihrer Meinung nach, abgesehen vom Dienstwagenprivileg, die wichtigsten Stellschrauben für eine Klimaschutzpolitik im Verkehrsbereich, die sich dem 1,5-Grad-Ziel verpflichtet sieht?
Wir brauchen eine Neuorientierung in der Verkehrspolitik, die sich am Mobilitätsbedarf orientiert und nicht an Autointeressen. Was das heißt, machen viele Länder und Städte vor. Schon bei unseren nächsten Nachbarn könnten wir viel lernen.
Niederländische Städte zeigen, dass ein Radfahr-Anteil von 60 Prozent erreichbar ist. Mit ihren historisch gewachsenen Stadtkernen wären deutsche Städte prädestiniert für Mikromobilitätsstraßen, in denen man nur zu Fuß und per Rad oder E-Scooter unterwegs sein darf.
Die Bahn und der ÖPNV müssen dringend weiter ausgebaut werden – mit Tempo 250 im Fernverkehr könnte man innerhalb von vier Stunden mit dem Zug von Freiburg nach Flensburg gelangen, das schafft man mit dem Auto nicht. Den innerdeutschen Flugverkehr kann man schon jetzt abschaffen.
Die Aufgaben sind immens. Das Gute ist vielleicht, dass fast alle Maßnahmen Vorteile für die Allgemeinheit bieten und nicht selten auch für die betroffenen Nutzergruppen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Isabell Merkle, Deutsche Umwelthilfe
Weitere Informationen: www.duh.de/dienstwagencheck/dienstwagen-foerderung