„Wir opfern nicht unsere Heimat“

Aus DER RABE RALF Februar/März 2024, Seite 20

Betroffene wehren sich gegen den Abbau von Europas größtem Lithiumvorkommen im serbischen Jadar-Tal

Momčilo und Marija Alimpić sowie Dimitrija und Goran Tomić (v.r.n.l.) von der Bürgerinitiative. Die Brüder sind zwei der wenigen, die ihre Häuser nicht verkaufen und abreißen. (Foto: privat)

Es ist selten geworden, dass Marija Alimpić die steile Serpentine hinauf zum Hof ihres 67-jährigen Vaters Momčilo in 450 Metern Höhe fährt. Über 600 Pflaumenbäume der alten Sorte „Serbische Olive“ pflegt er hier. Sie bringen einen guten Schnaps. Als Lehrerin für Französisch und Latein ist Marija gezwungen, für ihren Unterhalt täglich an vier Schulen in zwei Orten zu unterrichten. Jeder Tag endet spät. Es ist eine Behördenschikane für ihr Engagement an der Seite des Vaters gegen die Pläne eines Weltkonzerns und dessen Unterstützer im Land.

Vor ihren Augen liegt unten das Jadar-Tal mit seinen kleinen, fruchtbaren Feldern und den Dörfern zwischen waldreichen Bergen, unweit der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Seit 13 Generationen ist es die Heimat der Familie und eine der schönsten Landschaften Serbiens. Hier will das britisch-australische Unternehmen Rio Tinto ein unterirdisches Lithiumbergwerk errichten. Das Betriebsgelände bei Loznica wäre zwischen 36 und 40 Quadratkilometern groß, sagt Momčilo Alimpić. Außerdem hat Rio Tinto „eine Deponie biblischen Ausmaßes“ bei Brezovice in der Nähe von Krupanj geplant. „Mein Vater“, erzählt Marija, „war derjenige, der den Kampf gegen Rio Tinto in Serbien begann, und ich habe mich ihm angeschlossen, um zu helfen.“

Krupanj ist das Zentrum der historisch bedeutenden Berglandschaft Radjevina südlich des Jadar-Tales. Mit 23 Dörfern, ehrwürdigen Kirchen, einem Kloster. Die Berge jenseits des Tales sind sogar ein internationales IBA-Vogelschutzgebiet. Der 687 hohe Cer mit seinen vier Gipfeln und malerischen Wäldern beherbergt auch seltene Bäume, Wildkirschen-, Wildapfel- und Wildbirnenhaine. 600 verschiedene Arten von Heilpflanzen und Wildkräutern wurden hier dokumentiert.

Protest gegen Bergwerkspläne

Mit ihrem Verein „Schützen wir Jadar und Radjevina“ begannen Momčilo und Marija mit Freunden in Veranstaltungen und Interviews die Öffentlichkeit zu informieren. Als Ende 2021 Zehntausende aus Protest gegen die Lithium-Pläne landesweit Straßen und Autobahnen blockierten, sah sich die Regierung von Präsident Aleksandar Vučić gezwungen, alle Verträge mit Rio Tinto wieder zu kündigen. Denn im April 2022 standen Wahlen ins Haus. Doch schon kurz nach seiner Wiederwahl bezeichnete Vučić den Stopp als seinen „größten Fehler“. Schließlich steht hinter allem die EU und wegen des Lithiums kommen Grünen-Abgeordnete wie Viola von Cramon aus Brüssel. Auch Angela Merkel und Olaf Scholz fragten schon nach dem wertvollen Leichtmetall.

Während der Bergbaukonzern bis heute versichert, dass er die Entscheidung der Regierung respektiert und keine neuen Konzessionen erhalten hat, dass also die Kündigung gilt, trommelt Rio Tinto in Broschüren ungeniert weiter. Es sei doch eine einzigartige Chance für die Region und die Menschen. Noch immer unterhält das Unternehmen Büros in der Stadt Loznica und im Dorf Brezjak, neben dem das Bergwerk geplant war. Vor allem aber kauft es weiter Grundstücke und legt allen, die wegziehen, noch Geld drauf, wenn sie die Dächer ihrer leeren Häuser selbst abreißen. Besonders davon betroffen ist das Dorf Gornje Nedeljice hinter Brezjak.

Schon leer gezogene Häuser im Dorf Gornje Nedeljice. (Foto: Milan Timotić)

„Wir sind uns bewusst“, sagt Marija, „dass die Europäische Union großen Druck auf die Umsetzung der grünen Agenda ausübt. Das raubt uns zwar die Nerven, macht uns aber auch noch entschlossener, nicht nachzugeben. Unsere Antwort wird immer Nein sein, genug ist genug. Jemand sollte ihnen sagen, dass der Kolonialismus vorbei ist. Das Lithium befindet sich an derselben Stelle, an der unsere Leute im Ersten und dann im Zweiten Weltkrieg massakriert wurden. Jetzt wollen die Enkel der Menschen, die Serben getötet haben, unsere heiligen Stätten aus Profitgründen zerstören. Wie viele Opfer müssen wir noch bringen, damit sie ihre Gier befriedigen können?“

Erinnerung an Kriegsverbrechen

Marija erinnert daran, was damals in ihrer Heimat geschah. Die Radjevina gehörte 1804 zu den Gebieten des Ersten Serbischen Aufstands, der eine 300 Jahre lange Unterdrückung durch das Osmanische Reich beendete. Im August 1914 besiegte die serbische Armee in der blutigen Schlacht am Jadar (auch Schlacht von Cer) Teile der ins Land eingefallenen österreichisch-ungarischen Armee, die mit Deutschland verbündet war.

Im Zweiten Weltkrieg fand Ende August 1941 die Schlacht von Loznica zwischen den serbischen Tschetniks und der deutschen Wehrmacht statt. Der Angriff markierte den Beginn des Volksaufstands gegen die Besatzer. Immer in Erinnerung bleiben auch die deutschen Massaker von Kraljevo und Kragujevac, bei denen Wehrmachtssoldaten und kollaborierende serbische Freiwilligenkommandos in „Sühneaktionen“ 4000 Zivilisten umbrachten. „Und so ging es weiter“, sagt Marija.

Im Kosovokrieg 1999 bombardierte die Nato ohne UN-Mandat 78 Tage lang Serbien. Deutschlands Außenminister Joschka Fischer (Grüne) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) befeuerten öffentlich die Kriegsstimmung mit Falschaussagen über „ethnische Säuberungen“ und eine „drohende humanitäre Katastrophe“.

Weil es nicht gelang, Miloševićs Militärstruktur auszuschalten, wurden die Angriffspläne für die Marschflugkörper und Langstreckenbomber zwölf Tage nach Kriegsbeginn auf „zivilmilitärische“ Ziele erweitert. Die Nato zerstörte oder beschädigte 60 Brücken, 110 Krankenhäuser, 480 Schulobjekte, 365 Klöster, das Belgrader Fernsehzentrum, die Strom- und Wasserversorgung, 121 Industriebetriebe. 2500 Menschen fanden den Tod. Als besonders zynisches Kriegsverbrechen gilt bis heute neben dem Einsatz von über 30.000 Urangeschossen an über 80 Orten die vorsätzliche Bombardierung der großen Chemiezentren in Pančevo, Novi Sad und Bor (Rabe Ralf August 2019, S. 16).

Dieser erste Angriffskrieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 führte nicht nur zu einer ökologischen und humanitären Katastrophe und mit Camp Bondsteel im Kosovo zur größten US-Militärbasis auf dem Balkan. Die wirtschaftlichen Folgen fesselten das verstummte Serbien an Wiederaufbauhilfen und Investitionen aus den Siegerländern.

Sensationelles Lithium-Vorkommen

Im Jahr 2001 wurde der westlich orientierte Zoran Djindjić Ministerpräsident. Er ließ Milošević 2002 an das Haager Kriegsverbrechertribunal ausliefern. Nach Djindjićs Ermordung durch Milošević-Anhänger gewann 2004 der ebenfalls Europa zugewandte Reformer Boris Tadić die Präsidentschaftswahlen.

„Investoren stoppen, Natur retten“ – landesweite Massenproteste gegen Rio Tinto Ende 2021. (Foto: Igor Pavićević/Workers’ Liberty)

Längst hatten in diesem „postsozialistischen Übergang“ große multinationale Unternehmen damit begonnen, in Serbien staatliche Bergwerke und Industrien zu übernehmen und nach Mineralvorkommen zu suchen. Zu den „Pionieren“ gehörte das in London und Melbourne ansässige Unternehmen Rio Tinto, einer der größten Bergbaukonzerne der Welt. Bereits seit 2001 ließ Rio Tinto über seine Tochtergesellschaft „Rio Sava Exploration“ in Serbien Universitäten sponsern und Hunderte Suchbohrungen niederbringen.

Im Jahr 2004 meldete das Unternehmen die Entdeckung eines sehr seltenen Minerals im Tal des Flusses Jadar, ganz in der Nähe von Loznica. Eine Sensation, denn das Vorkommen entpuppte sich mit geschätzten 200 Millionen Tonnen als eine der größten Lagerstätten von Boraten und Lithium. Bislang ist nach der EU-Liste für „kritische Rohstoffe“ Chile der wichtigste Lithiumlieferant für die Europäische Union mit einem Anteil von fast 80 Prozent.

Um das Jahr 2030, so Experten der Deutschen Rohstoffagentur, könnte bei Europas Übergang zum Elektroauto eine dramatische Lithiumknappheit drohen und die Position der EU in der Konkurrenz mit China gefährden. Wurden 2015 weltweit noch 83.000 Tonnen Lithium produziert, wird sich der Bedarf bis dahin um mehr als 300 Prozent steigern. Lithium und das Kathodenmaterial Kobalt sind bislang laut dem Helmholtz-Institut Ulm mit Kosten von über 120 US-Dollar pro Kilowattstunde die Preistreiber bei Batteriezellen. Als sogenannte „Ladungstransfer-Ionen“ wandern Lithiumpartikel beim Schließen des Stromkreises vom Minuspol zum Pluspol, bis die Batterie „leer“ ist. Beim Aufladen kehren sie zurück. Für einen mittleren 60-Kilowattstunden-Akku werden immerhin sechs Kilogramm Lithium gebraucht.

Was passiert mit der vielen Schwefelsäure? 

Das am Jadar, einem serbischen Nebenfluss der Drina, gefundene Mineral Natrium-Lithium-Bor-Silikat-Hydroxid ist so einmalig, dass es seinen Namen Jadarit nach dem Flusstal bekam. Chris Stanley vom Londoner Natural History Museum, der mit der Klassifikation und Namenssuche für das neu entdeckte Mineral betraut wurde, war erstaunt, im Internet auf eine ältere Meldung zu einem Mineral mit fast derselben Zusammensetzung unter der Bezeichnung „Kryptonit“ zu stoßen. Es stammte aus den Superman-Comic-Geschichten vom zerstörten Planeten Krypton und galt als pure Erfindung – bis zu der Entdeckung in Serbien. Entsprechend groß war das weltweite Medienecho.

Während in der chilenischen Atacamawüste Lithium in Verdunstungsbecken aus hochgepumptem salzhaltigem Wasser anfällt und ringsum die Brunnen der Dörfer austrocknen, muss das Mineral Jadarit unterirdisch abgebaut werden. Danach kann das eingelagerte Lithium gewonnen werden. Jadarit ist löslich in kalten verdünnten Säuren. „Niemand erklärte den Bürgern“, erzählt Marijas Vater, „und sie konnten es auch nicht erklären, was mit den 300.000 Tonnen Schwefelsäure passieren wird, die jährlich zum Waschen der Erze verwendet werden sollen, und mit den 8000 Kubikmetern Wasser pro Tag, die diese Schwefelsäure dann wieder herauswaschen.“

So soll das Bergwerk laut Rio-Tinto-Werbung aussehen. (Foto: Screenshot Werbevideo Rio Tinto)

London ist seit 1770 die Drehscheibe der internationalen Bergbaukonzerne. Deshalb betreiben hier Umweltaktivisten auch das sogenannte London Mining Network. Vor jeder Jahreshauptversammlung von Rio Tinto sammeln sie für die Aktionäre Fakten über die Umweltsünden des Konzerns – wichtige Argumente auch für Marijas und Momčilos Verein. In Westaustralien wurden historische Stätten der Aborigines zerstört, in Papua-Neuguinea starben ganze Flüsse. Am 2. Juli 2023 gingen in Madagaskar Tausende rings um die Titandioxid-Mine von Rio Tinto auf die Straße. Sie protestierten gegen viel zu geringe Ausgleichszahlungen für die erlittenen Umwelt- und Gesundheitsschäden. Zwei Vertreter der Gemeinden, die sich organisiert hatten, entgingen nur knapp einer Verhaftung.

„Hier ist nicht das Land Rio Tinto

Für Europas Wirtschaftskreise gilt das rohstoffreiche Serbien heute wegen der geografischen Nähe und der niedrigen Lohnkosten als willfähriger Beschaffungsort, interessant für „Nearshoring“, die osteuropäische Variante des Offshorings. Am 3. August 2023 wiederholte Marijanti Babić, Serbien-Chef von Rio Tinto, in einem Interview mit der Zeitschrift Loznički Nedeljnik noch einmal, welche „einzigartige Chance für eine positive Entwicklung Serbiens“ dem Land entgehe. Marija und ihr Vater reagieren entrüstet: Bis das Bergwerk im Jadar-Tal in fünf bis sechs Jahren in Betrieb gehen kann, haben sich längst bessere Technologien wie die heute schon produzierten Natrium-Ionen-Batterien durchgesetzt, so ihre Überzeugung. Außerdem gebe es doch im deutschen Oberrheingraben und im Erzgebirge auch Lithium, meint Marija.

„Das Unternehmen wirbt weiter in der Öffentlichkeit für ein Projekt, das im Rechtssystem der Republik Serbien nicht existiert und für das eine Genehmigung erforderlich ist“, beschreibt sie die Situation. „Rio Tinto ist uneingeladen in unser Land gekommen und wird von Menschen geführt, die Pläne für unsere Zukunft machen. Bei jemand, der zu Umweltverbrechen auf der ganzen Welt fähig ist, gibt es aber nichts, was uns überraschen könnte.“ Doch für Marija ist klar: „Wir leben nicht im Land Rio Tinto, sondern in Serbien, und dieses Land gehört uns!“

Inzwischen hat Marias Verein die serbische Tochtergesellschaft von Rio Tinto sowie das Unternehmen Google und einige lokale Medien verklagt, weil sie Werbung für das Jadar-Projekt gemacht haben. Nach serbischen Gesetzen darf für ungenehmigte Projekte nicht geworben werden. Eine erste Anhörung vor Gericht fand am 12. Dezember in Loznica statt.

Die schwankende serbische Regierung hat das Jadar-Projekt seit Ende August 2023 nicht mehr kommentiert, aber Präsident Vučić äußerte sich am 7. Januar in einer Fernsehsendung zum orthodoxen Weihnachtsfest kurz mit den Worten: „Wir müssen sehen, was mit dem Lithium passiert.“

Hartmut Sommerschuh  

Weitere Informationen: „Zaštitimo Jadar i Rađevinu“ in sozialen Netzwerken (übersetzen mit Google Translator)

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