Klimaschutz ohne Friedenspolitik?

Aus DER RABE RALF August/September 2019, S. 16/17

Vor 80 Jahren begann Deutschland den Zweiten Weltkrieg, vor 30 Jahren fiel die Berliner Mauer, vor 20 Jahren bombardierte die Nato serbische Chemiebetriebe. Was wir nicht vergessen dürfen

Das bombardierte Chemiezentrum in Pančevo am 18. April 1999. (Foto: Pedrag Popović)

Luftkrieg als Methode

Nein, nicht das Geschützfeuer des deutschen Schulschiffs „Schleswig-Holstein“ auf die polnische Garnison der Danziger Westerplatte ist das Brutalste am Morgen des 1. September 1939. Minuten zuvor haben 87 Flugzeuge der deutschen Luftwaffe begonnen, das kleine polnische Städtchen Wieluń östlich von Breslau zu bombardieren. Aus 2000 Metern Höhe stürzen sie sich aufs Zentrum, klinken mit Schwung ihre Bomben aus. Schon bei der ersten Angriffswelle wird das Krankenhaus zerstört, mit Bordwaffen auf die überraschten Einwohner geschossen. Eintausendzweihundert sterben grausam. Wie eine riesige Fackel brennt der Ort noch am nächsten Tag.

Befehlshaber Wolfram von Richthofen, verantwortlich auch für die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica zwei Jahre zuvor, hat Wieluń und die Kleinstädte Działoszyn und Kamieńsk als Übungsziele für seine nagelneuen Sturzkampfbomber ausgesucht. Die Wehrmachtseinheit, die dann einmarschiert, untersteht dem heute als Hitlerattentäter geehrten Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Mit diesem ersten Kriegsverbrechen in Polen begründet Deutschland den totalen Bombenterror des Zweiten Weltkrieges. Und zugleich die noch heute weltweit wichtigste Militärstrategie, den Luftkrieg gegen Länder, Städte und Bevölkerung.

Windräder für das deutsche Volkstum

Während Wehrmachtssoldaten zwölf Tage später bei Solec an der Weichsel zum ersten Mal 30 jüdische Bürger in einem Keller lebendig verbrennen, nimmt in der Hochschule Weimar der junge Ulrich Hütter aus Stuttgart seine Tätigkeit als Dozent für Luftfahrttechnik auf. Mit seinen bahnbrechenden Forschungen zur Aerodynamik unterstützt er bald die Ventimotor GmbH beim Entwickeln effizienter Windräder. Thüringens Gauleiter Fritz Sauckel und der SS-Offizier und IG-Farben-Chemiker Walther Schieber haben sie gegründet. Nach dem „Endsieg“ über die „minderwertigen“ Slawen sieht der mehrstufige „Generalplan Ost“, von SS-Reichsführer Himmler initiiert, in den eroberten Gebieten die Ansiedlung von „arischen Wehrbauern“ vor. Für ihre Höfe sollen 28.500 Windturbinen gebaut werden.

Während die Wehrmacht 1941 nun auch in der Sowjetunion hunderte Dörfer und Städte planmäßig niederbrennt, testet NSDAP-Mitglied Hütter am Weimarer Stadtrand die ersten wissenschaftlich berechneten Windradflügel der Welt und schreibt an seiner Doktorarbeit „Beitrag zur Schaffung von Gestaltungsgrundlagen für die Windkraftwerke“. Sie wird richtungsweisend und Hütter wird später der westdeutsche „Windpapst“. Die Ventimotor GmbH muss 1944 aufgeben. Ihre systemtreuen Ingenieure werden in rüstungswichtigere Betriebe geschickt. Doch der Endsieg bleibt aus. Das geschlagene Deutschland hinterlässt in den überfallenen Ländern Blut und Asche. 27 Millionen Menschen allein aus der Sowjetunion sind tot.

Nato-Bomben auf serbische Chemiebetriebe

Als zu Kriegsbeginn am 24. März 1999 über Jugoslawien deutsche Tornados schon in der ersten Staffel gegen Radarstellungen mitfliegen, tragen sie am Rumpf das gleiche Balkenkreuz wie die Stukas, die 1939 das polnische Wieluń zerstörten. Ausgerechnet der grüne Außenminister Joschka Fischer hat mit seinem SPD-Kollegen Rudolf Scharping die Kriegsstimmung angeheizt – um „ethnische Säuberungen“ und eine „humanitäre Katastrophe“ zu verhindern. Doch viele ihrer Behauptungen sind falsch, wie Oberstleutnant a.D. Jochen Scholz, ehemaliger Referent beim Generalinspekteur der Bundeswehr, bestätigt. In den Lageberichten des Amtes für Nachrichtenwesen für die Abgeordneten, die er täglich liest, ist bis zum letzten Tag vor dem Nato-Angriff nur von einem blutigen Bürgerkrieg zwischen UÇK-Soldaten und der serbischen Armee die Rede.

Als militärische Erfolge ausbleiben, geht die Nato zum Luftkrieg gegen zivile Einrichtungen über, zerstört oder beschädigt 60 Brücken, 110 Krankenhäuser, 480 Schulobjekte, 365 Klöster, das Fernsehzentrum, die Strom- und Wasserversorgung, 121 Industriebetriebe. 2500 Menschen finden den Tod.

Als besonders zynisches Umweltverbrechen gilt bis heute nicht nur der Einsatz von über 30.000 Urangeschossen an etwa 80 Orten, sondern auch die vorsätzliche Bombardierung der großen Chemiezentren in Pančevo, Novi Sad und Bor. Zwölf Tage nach Beginn der Luftschläge treffen zum ersten Mal Raketen die Raffinerie von Pančevo. Das auslaufende Öl brennt zwei Wochen. Am 6. April zerstören Bomber die Ölraffiniere in Novi Sad. 80.000 Tonnen Öl laufen aus, 20.000 Tonnen verbrennen. Riesige Wolken aus Ruß, Teer, Ölpartikeln, Schwefeldioxid und Stickoxiden ziehen übers Land. Nur ein winziger Bruchteil davon löste später im gesetzesstrengen Deutschland die Dieselruß-Debatte aus.

Am 15. und 18. April 1999 und selbst noch am 8. Juni, kurz vor Waffenstillstand, zerstört die Nato das serbische Chemiezentrum in Pančevo völlig. Jahre zuvor war es mit US-Hilfe modernisiert worden. Bauplangenau treffen die Raketen – auch einen noch halbvollen Tank mit 450 Tonnen Vinylchlorid, dem krebserregenden Vorprodukt für die PVC-Herstellung. Es ist einer der Behälter, die die Werkleitung als besonders gefährlich an die Nato gemeldet hatte. Eine 20 Kilometer lange Giftgaswolke zieht mehr als zehn Tage über die Vororte von Belgrad in die Gemüse- und Kornkammern Serbiens. Der Anteil an Vinylchlorid steigt zeitweise auf das 10.600-Fache des internationalen Grenzwertes. 40.000 Menschen werden evakuiert. Die Gift-Wolke zieht nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn. Selbst 550 Kilometer südlich messen Wissenschaftler der griechischen Universitäts-Station Xanthi hochgiftige Dioxine und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffverbindungen.

Schon wenige Jahre nach Kriegsende beobachten serbische Mediziner wie der führende Onkologe Vladimir Čikarić und die Neurologin Danica Grujičić, beide Professoren in Belgrad, einen dramatischen Anstieg der Krebsrate und der Sterblichkeit. Heute liegt Serbien bei Lungen- und Brustkrebs an der Spitze Europas.

Chemischer Super-GAU als Kriegsverbrechen

Für die Toxikologin Ursula Stephan, Professorin für Chemie in Halle, ist der Einsatz von Uranmunition und die Bombardierung der serbischen Chemiebetriebe bis heute ein vorsätzlicher Chemiekrieg, der tausende Opfer von Langzeitschäden bewusst in Kauf nahm und nach der Genfer Konvention verboten ist. Als 1999 alle deutschen Umweltverbände dazu schweigen, ist Ursula Stephan Vorsitzende der deutschen Störfall-Kommission, einer Expertenvereinigung für Sicherheitsfragen der Industrie und auch für die Folgen und Verhütung von Chemieunfällen.

Ursula Stephan. (Foto: privat)

Ohne zu zögern, folgt sie Ende Juli 1999 dem Wunsch des WWF Österreich. Unter Leitung des Direktors des Donau-Karpaten-Programms der Organisation, Philip Weller, besucht sie mit einer Expertin vom Dessauer Umweltlabor Öko-Control die zerstörten Chemieorte und erarbeitet ein Gutachten zu den medizinischen Aspekten und auch zu den Folgen für die Natur – gehört doch Serbien zu den rund 150 „Weltzentren der biologischen Vielfalt“.

Fast zeitgleich untersuchen auch Spezialisten der von Klaus Töpfer geleiteten UN-Umweltbehörde UNEP vor Ort die Schäden der Chemieangriffe. Doch sie halten den Ball Nato-freundlich flach und erklären als Fazit ihres Berichtes, dass die meisten „Verschmutzungen“ Altlasten aus der Zeit vor dem Krieg seien.

Ursula Stephan dagegen deklariert das Ausmaß der Zerstörung, der Bodenbelastung und der weiträumigen Giftgaswolken nach den strengen deutschen Gesetzen als „exzeptionellen Störfall“ und Super-GAU. Als eine Katastrophe außer Kontrolle, für deren Ausmaße es keine Erfahrungen und Berechenbarkeit, keine Vorbereitungsmöglichkeiten und deshalb keine Abwehrszenarien gibt. Vergleichbar mit Tschernobyl oder Fukushima. Und sie berechnet auch die Nato-Seite: Aus 78.000 Tonnen verbrannter Explosiv- und Raketentreibstoffe und den Abgasen von über 150.000 Flugstunden der Bombenflugzeuge und Marschflugkörper sind neben allen Chemikalien noch über eine Milliarde Kubikmeter luftverschmutzender Substanzen freigesetzt worden.

Diese Gesamtmenge an Kohlendioxid, Stickoxiden und unverbrannten Kohlenwasserstoffen dürfte seit dem Golfkrieg weltweit der größte militärische Beitrag zur Luftverschmutzung und zum Treibhauseffekt gewesen sein, schreiben Ursula Stephan und Philip Weller im Jahr 2000 in der Fachzeitschrift „Umweltmedizin“.

Wieso wird darüber bis heute bei den Umweltverbänden und den Grünen geschwiegen?

Hartmut Sommerschuh


Erinnerung an grüne Friedensideale

Während der „Konferenz für Europäische Atomare Abrüstung“ im Mai 1983 in Westberlin besuchen Petra Kelly, Gert Bastian und drei weitere Bundestagsabgeordnete der Grünen spontan Ostberliner Friedensaktivisten. Sie entrollen auf dem Alexanderplatz ein Transparent mit der Forderung „Abrüstung in Ost und West“ gegen den Nato-Doppelbeschluss – und noch ein zweites: „Die Grünen – Schwerter zu Pflugscharen“.

Das darauf abgebildete Emblem mit der biblischen Losung hat der Kleinmachnower Grafiker Herbert Sander 1980 nach einer berühmten sowjetischen Skulptur vor dem New Yorker UN-Gebäude gestaltet. Evangelische Jugendgruppen in der DDR verwenden es während einer zehntägigen „Friedensdekade“.

Der Abbruch der Aktion von Kelly und Bastian durch die Staatssicherheit trifft zwei Uraktivisten. Petra Kelly stand bereits bei der Gründung der Grünen 1979 als Sprecherin für eine engagierte Verbindung von Ökologie- und Friedensbewegung, während Gerd Bastian als Generalmajor der Bundeswehr eine lange militärische Laufbahn abbrach und zur Friedensbewegung wechselte. Ihr Brückenschlag nach Ostberlin ist damals ermutigend. Bekundet doch das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ auf spektakuläre Weise jene Friedens- und Umweltgedanken, aus denen in der Berliner Umweltbibliothek, der Dresdner Kreuzkirche, im Wittenberger Friedenskreis und in der Leipziger Nikolaikirche die Montagsdemonstrationen keimen. Und schließlich die friedliche Revolution von 1989.

Hartmut Sommerschuh


 

„Ohne Frieden und Gerechtigkeit kein Umweltschutz“

Fragen an Reinhard Dalchow, evangelischer Pfarrer und stellvertretender Bundesvorsitzender der Grünen Liga

Reinhard Dalchow. (Foto: privat)

Der Rabe Ralf: Die Grüne Liga hat als Netzwerk ihre Wurzeln in der Umwelt- und Friedensbewegung der DDR. Vom Frieden ist heute kaum noch die Rede.

Reinhard Dalchow: Die Aufgaben eines kleinen Umweltverbandes sind vielfältig. Alle Themen können von uns nicht abgedeckt werden. Aber es war und ist auch Aufgabe der Grünen Liga, sich für den Frieden zu engagieren.

Jede kriegerische Auseinandersetzung bringt nicht nur unendliches Leid für die betroffenen Menschen, sondern Zerstörung von Flora und Fauna, massive Belastungen für das Klima und so weiter.

In der alten Bundesrepublik wuchs das Friedensengagement in Protesten gegen atomare Aufrüstung. Was war das Besondere der DDR-Umwelt- und -Friedensarbeit?

Das ostdeutsche Engagement war geprägt von der Friedensdekade, die jedes Jahr im Oktober durchgeführt wurde.

Es war eine gute Idee, das biblische Thema der Skulptur, die die Sowjetunion den Vereinten Nationen geschenkt hatte und die vor dem UN-Gebäude in New York steht, aufzunehmen: Schwerter zu Pflugscharen. Damit hatte die SED ein Problem. Denn dagegen vorzugehen hieße ja, sich gegen die Sowjetunion zu stellen. Dies mündete dann in dem Olof-Palme-Friedensmarsch durch die DDR vom 1. bis 19. September 1987. An dieser Demo nahmen viele kirchliche Umwelt- und Friedensgruppen teil. Ich denke, die Wahrnehmung von Friedensverantwortung hat viele Menschen in dieser Zeit geprägt.

Vor zwanzig Jahren bombardierte die Nato ohne UN-Mandat Restjugoslawien. Die Umweltverbände schweigen bis heute. Ist Geschichtsvergessenheit eingezogen?

Geschichtsvergessenheit glaube ich nicht. Aber allgemein ist das Thema Frieden viel zu wenig präsent. Das ist auch an den Ostermärschen zu sehen, die heute, auch in Westdeutschland, nur noch kleine Veranstaltungen gegenüber früheren Zeiten sind. Die Folgen der Kriege werden verheimlicht oder verharmlost.

Manchmal steht man dem auch ein bisschen ohnmächtig gegenüber, jedenfalls geht es mir als Kriegsdienstverweigerer so. Da wird das 1987 in Reykjavik geschlossene Abkommen zur Abrüstung atomarer Waffen zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion von den USA aufgekündigt, und es gibt nur sehr leise Kritik. Dabei ist die Gefahr eines neuen atomaren Wettrüstens leider wieder sehr real.

Ich weiß, das Friedensthema ist in vielen regionalen Umweltverbänden vor Ort durchaus präsent. Sie sollten deutlich machen: Alle von ihnen bearbeiteten Themen finden im Krieg keine Beachtung mehr. Ohne Frieden wird es keine nachhaltige Zukunft geben.

Nach dem Ja von Außenminister Joschka Fischer zur ersten Kriegsbeteiligung Deutschlands nach 1945 wandten sich viele Menschen von den Grünen ab.

Die Kriegsbeteiligung Deutschlands 1999 gegen Serbien war eine eklatante Fehlentscheidung. Die „ethnischen Säuberungen“ sind nicht verhindert worden. Die Grünen sprechen sich in ihren Programmen für zivile Krisenprävention aus, für Abrüstung und gegen Waffenlieferungen in Krisengebiete. Ich erwarte, dass diese Ziele und ein ziviler Friedens- und Versöhnungsdienst endlich massiv gefördert werden.

Dazu sollten die Mittel dem Militäretat entzogen werden, und das nicht nur in „symbolischer“ Form. Klimaschutz kann nur im friedlichen Rahmen gelingen.

Sie waren viele Jahre engagierter Umweltbeauftragter der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Wie ist heute ihre Haltung zu Rüstungsexporten und zur Militarisierung der Politik?

1983 hat der Ökumenische Rat der Kirchen auf seiner Vollversammlung in Vancouver die Stationierung von Massenvernichtungswaffen als Verbrechen gegen die Menschheit bezeichnet und zu einem gemeinsamen Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung aufgerufen. Die Agenda 21, ein von der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro beschlossener Aufgabenkatalog für das 21. Jahrhundert, wird wesentlich davon getragen.

Für mich war dieser „Dreischritt“ zukunftsweisend. Ohne Gerechtigkeit kein Frieden, ohne Gerechtigkeit und Frieden keine Bewahrung der Schöpfung. Dazu steht auch die Grüne Liga. Auch das jährliche Festival am Tag der Umwelt in Berlin mit seinen hunderten Ständen und Programmen umfasst diesen Dreischritt. Denn hier sind neben den Umweltthemen die Friedensgruppen wie auch die Solidaritätsinitiativen für eine gerechte Welt präsent.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Hartmut Sommerschuh

Weitere Informationen:
www.grueneliga.de
Tel. (030) 2044745


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