Ausstellungskritik

Was wäre, wenn wir nicht scheitern?

Aus DER RABE RALF Dezember 2023 / Januar 2024, Seiten 15, 27

Die Ausstellung „Klima X“ fragt: Warum tun wir nicht, was wir wissen?

Spielerische Auseinandersetzung mit ernsten Themen. Foto: Yves Sucksdorff

Im imposanten Museum der Kommunikation in Berlin-Mitte findet derzeit die Ausstellung „Klima X“ statt. Sie dreht sich um die Frage: „Warum tun wir nicht, was wir wissen?“ Dabei geht es nicht nur um die Klimakatastrophe, sondern auch um den Beginn und den Grund für die Eskalation der Klimakrise – und natürlich um die Kommunikation. Die Ausstellung ist technisch und spielerisch aufgebaut, sodass die Besucherinnen und Besucher Spaß dabei haben, sich mit den ernsten Themen auseinanderzusetzen. Die Ausstellung sorgt dafür, dass sie sich ihrer Rolle in der Klimakrise bewusst werden, aber sich nicht allein fühlen.

Angst und Hilflosigkeit

Viele wissen, was gut für die Umwelt und für sie selbst ist, und tun dennoch oft das Gegenteil. Wenn man bedenkt, dass die sozialen Medien vielen Menschen Angst einjagen, ist es nicht verwunderlich, dass sie sich klein und schwach vorkommen und das Gefühl haben, allein nichts ausrichten zu können. Das nimmt den Menschen die Hoffnung auf Besserung. Die Ausstellung will dagegen vermitteln, dass es noch Hoffnung gibt. Über den Klimawandel heißt es dort: „Er ist real. Wir sind die Ursache. Er ist gefährlich. Die Fachleute sind sich einig. Wir können noch etwas tun.“

Die Ausstellung hat mehrere Stationen, die die Besucher auf neue Herausforderungen stoßen lassen. Vor allem der Test, was für ein Menschentyp man ist, hinterlässt Spuren. Dabei werden den Besuchern Bilder gezeigt, die die Klimakrise und ihre Folgen betreffen. Dabei müssen sie angeben, was sie fühlen, wenn sie die Bilder sehen. Als Ergebnis erfährt man, was für eine Haltung man der Klimakrise gegenüber hat. Es zeigt sich, dass viele Menschen unter Schock stehen oder zurzeit hilflos oder ratlos sind. Es zeigt sich aber auch, dass viele von uns etwas tun wollen – allerdings nicht wissen, wo sie anfangen sollen.

Anruf in der Zukunft

Die Ausstellung macht auf wichtige Ereignisse und Themen aufmerksam, die auf den ersten Blick wenig mit der Klimakrise zu tun haben. So geht es um Frauenrechte oder um die Ereignisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg – und darum, inwiefern sie den Klimawandel in eine andere Richtung gelenkt haben. Beim Gang durch die Ausstellung wird deutlich, wie sehr alles miteinander verbunden ist und wie viele Geschehnisse und Entscheidungen der letzten Jahrhunderte – wenn nicht sogar Jahrtausende – die Klimakrise beeinflusst haben.

Am Ende der Ausstellung gibt es die Möglichkeit, einen Anruf in eine Zukunft zu wagen, die es geben könnte, wenn wir nicht versagen. Die Personen, die in der Leitung sind, erzählen, wie ihr Leben aussieht und welche Regeln in ihrer Welt gelten. Je nachdem, wem man zuhört, erfährt man von unterschiedlichen Dingen, die den Alltag prägen. Einer erzählt, wie angenehm das Leben sein kann, auch wenn man nicht sehr oft verreist. Einigen von uns mag das Leben der Menschen am anderen Ende der Leitung langweilig vorkommen, allerdings würde „friedlich“ ihre Welt besser beschreiben.

„Jugendliche fühlen sich ernst genommen“

Stimmen aus der Zukunft. Foto: Yves Sucksdorff

Ein Gespräch mit Kurator Sebastian Mall gibt Aufschluss über Intention und Ziel der Ausstellung. Wichtig zu wissen ist, dass die Ausstellung für Menschen ab zwölf gedacht ist. Nicht geeignet ist sie für Menschen, die mit ihrer persönlichen Situation nicht klarkommen. Schließlich geht es um ernste Dinge, die uns erdrücken oder uns zumindest sehr nahe gehen können.

Auf die Frage, was die Ausstellung erreichen soll, antwortet der Kurator: Die Menschen sollen wieder Hoffnung schöpfen und Zuversicht gewinnen, um richtig zu handeln. Er selbst habe bei der Auseinandersetzung mit den Themen eine Menge lernen können, betont der Ausstellungsexperte mit 20-jähriger Berufserfahrung. Besonders interessant findet er die Geschichte der Klimakommunikation und die im Hintergrund stehende Frage der Verantwortung des Journalismus.

Insgesamt werde man sich seiner Rolle bewusster und handle auch entsprechend, sagt Mall. Gerade Jüngere könnten aus der Ausstellung viel mitnehmen, findet er. „Junge Menschen fühlen sich hier ernst genommen“, ist seine Erfahrung. Ausschlaggebend sei, dass sie auf andere zugehen und die Themen ansprechen. Zu kommunizieren und sich Gedanken zu machen sei schließlich der erste Schritt. Das Ausstellungsteam ist fest davon überzeugt, dass „Klima X“ Menschen dazu anregt, etwas gegen den Klimawandel zu tun – oder zumindest Interesse zu zeigen.

Shirin Shanibaqi

Ausstellung „Klima X. Warum tun wir nicht, was wir wissen?“, bis 1. September 2024 im Museum für Kommunikation, Leipziger Str. 16, Berlin-Mitte (U2 Mohrenstraße, U6 Stadtmitte), Di 9-20, Mi-Fr 9-17, Sa/So 10-18 Uhr. Eintritt 8/4 Euro (unter 18 Jahre frei)
www.mfk-berlin.de/klima-x


Utopische Harmonie

Das Georg-Kolbe-Museum zeigt die erste und letzte große Einzelausstellung von Lin May Saeed

Ausstellungsansicht des Georg-Kolbe-Museums. Foto: Enric Duch

Gleich beim Eintreten fallen die fast überlebensgroßen Tierskulpturen auf, die den großen Raum im Georg-Kolbe-Museum mit ihrer Präsenz beherrschen. Schon vor dem Eingang werden die BesucherInnen mit einem traurigen Hund konfrontiert, der den Kopf gesenkt hat. Die erste Einzelausstellung der deutsch-irakischen Bildhauerin Lin May Saeed ist ein Erlebnis und auch ein Vermächtnis. Denn die Berliner Künstlerin konnte zwar noch die ausgestellten Werke auswählen, war aber schon schwer erkrankt. Am 30. August 2022 starb sie mit 50 Jahren an einem Gehirntumor. Wir lernen also postum die Arbeit einer Frau kennen, die ihre Kunst eng mit ihrem Tierrechtsaktivismus verbunden hat.

Skulptur gewordene Tierrechte

An der Kunstakademie in Düssel­dorf entdeckte Lin May Saeed nicht nur die Kunstform der Skulptur für sich. Dort wurde sie auch zur Aktivistin für Tierrechte. „Gegen Ende der Neun­zi­ger­jahre kam die Pelz­mode gerade wieder auf. In der Mode­stadt Düssel­dorf war das sehr spür­bar“, berichtete die Künstlerin über den Beginn ihres Engagements. Sie begann Flug­blät­ter zu vertei­len und lernte Gleichgesinnte kennen. Stark beeinflusst wurde die Künstlerin von dem Buch „The Case for Animal Rights“ des US-Philosophen Tom Regan. Das Buch ist ein Grundlagenwerk der Bewegung für Tierrechte. Es liegt mit anderen Büchern zur Philosophie der Tierrechtsbewegung in der Ausstellung zum Lesen bereit.

Lin May Saeed blieb nicht bei der theoretischen Auseinandersetzung um die Rechte der Tiere stehen. In der Exposition ist in einem eigenen Raum auch das mit Beton gefüllte Auto zu sehen, in dem sie acht Stunden vor dem Eingang eines Schlachthofs in Niedersachsen zubrachte. Es war eine Protestaktion gegen die Vernutzung von Tieren.

Romantisches Naturbild

Interessant ist auch der Ausstellungsort. Das Georg-Kolbe-Museum befindet sich in einer noblen Villa tief im Westen Berlins, in dem der deutschnationale Künstler Georg Kolbe von 1928 bis 1947 lebte und arbeitete. Zum konservativen Berliner Bürgertum gehörte auch die Künstlerin Renée Sintenis, deren Werke ebenfalls in der Exposition zu sehen sind. Doch ob die Ausstellung tatsächlich ein „Dialog“ zwischen May Saeed und Sintenis ist, muss bezweifelt werden. Dazu sind allein schon die künstlerischen Exponate zu unterschiedlich. Die kleinen Tierbilder von Sintenis kommen gegenüber den großen Skulpturen von May Saeed kaum zur Geltung.

Interessant wäre auch gewesen, sich kritischer mit der Tierrechtsideologie auseinanderzusetzen, der Lin May Saeed in den letzten Jahren ihres Lebens anhing. Dahinter stand ein teilweise romantisches Bild der Natur, was auch an einigen ihrer Bilder zu erkennen ist, die eine so nie existierende Harmonie zwischen Menschen und Tieren zeigen. Dabei lässt sich der Kampf gegen die kapitalistische Vernutzung von Mensch und Tier auch ohne Naturromantik begründen. Leider gab es dazu auch im umfangreichen Begleitprogramm zu der sehr empfehlenswerten Ausstellung keine Diskussionen.

Peter Nowak 

Ausstellung:
„Lin May Saeed. Im Paradies fällt der Schnee langsam. Ein Dialog mit Renée Sintenis“
Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, Berlin-Westend (S3, S9 Heerstraße)
bis 25. Februar 2024, Mi-Mo 11-18 Uhr
Eintritt 8/5/0 Euro
www.georg-kolbe-museum.de

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