„Das Baumantra muss durchbrochen werden“

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2022, Seite 3

Wird das immobilienlobbyfreundliche Hamburger Baumodell zum bundesweiten Vorbild?

Bauen, bauen, bauen – hier in Berlin-Mitte. Zählen nur noch Quadratmeter und Euro? (Fotos: Markus Pichlmaier/​ideengrün)

Der Neubau von Einfamilienhäusern in Deutschland muss eingedämmt werden, um den Flächenverbrauch zu senken und die Umwelt zu schützen. So hat es Bundesbauministerin Klara Geywitz im Frühjahr verkündet. Es sei „ökonomisch und ökologisch unsinnig“, wenn jede Generation neue Einfamilienhäuser baue, erklärte die SPD-Politikerin. Wie ihre Ankündigung in die Tat umgesetzt werden soll, ließ die Ministerin allerdings offen.

Grüne Liga fordert Bauwende

„Grundsätzlich geht diese Aussage in die richtige Richtung“, findet Josephine Sahner von der Grünen Liga. „Deutschland braucht eine Bauwende.“ Der Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen im Baubereich seien erheblich. „Da muss dringend etwas passieren“. Laut einem UN-Bericht machen Bau und Betrieb von Gebäuden mittlerweile 38 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen aus.

Ist die SPD-Bauministerin plötzlich „ergrünt“ und hat die Probleme erkannt? Nach Ansicht der Grünen Liga ist das nicht klar zu erkennen. „Die Bundesregierung hält weiterhin daran fest, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen“, merkt Sahner an. „Wenn es der Bauministerin wirklich um ökologische Aspekte ginge, müsste sie diese Zahl zumindest auf den Prüfstand stellen.“ Doch das passiere nicht. Bauen für bezahlbaren Wohnraum, so verkündeten es die Sozialdemokraten allerorten. „Woher die Zahl von genau 400.000 Wohnungen kommt, kann bis heute keiner fachlich herleiten“, meint Sahner.

Zweifelhaftes Vorbild Hamburg

Ob massiver Neubau wirklich zu erschwinglichen Mietpreisen führt, ist zu bezweifeln, wie ein Blick nach Hamburg zeigt. Unter dem damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) wurde in der Hansestadt Anfang 2010 eine Bauoffensive sondergleichen ins Leben gerufen. Etwa 77.000 Wohnungen sind bis 2020 neu entstanden. Für die Immobilienwirtschaft hat sich das gelohnt. Doch gilt das auch für die Mieter:innen?

In Hamburg scheint das Kalkül nicht aufzugehen. Das dort erscheinende Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ stellte in seiner Ausgabe vom 19. Februar fest: „Gerade ist der neue Mietenspiegel erschienen. Um 7,3 Prozent ist die durchschnittliche Nettokaltmiete innerhalb von zwei Jahren gestiegen, so viel wie seit 20 Jahren nicht.“ Trotzdem soll das SPD-Mantra vom „Bauen, bauen, bauen“ laut Spiegel nun auf die gesamte Bundesrepublik ausgedehnt werden. Der nunmehrige Bundeskanzler Scholz holte seine Vertraute Klara Geywitz als Bauministerin ins Kabinett. Beide sind im schicken Potsdam zu Hause und wollten zusammen schon einmal die SPD anführen. Mit dem Scholz-Vertrauten Rolf Bösinger wurde zudem der ehemalige Leiter des Planungsstabs der Hamburger Senatskanzlei neuer Staatssekretär im Bauministerium.

Einseitiges „Bündnis“

Auf dem diesjährigen Wohnungsbau-Tag im Februar, veranstaltet von der Lobby deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, kündigte Geywitz ein „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ an, um ab dem Frühjahr eine Investitions- und Innovationsoffensive anzuschieben. Ende April wurde ein solches Bündnis auch ins Leben gerufen. Neben 14 Lobbyverbänden von gewinnorientierten Unternehmen aus Bauindustrie, Immobilienwirtschaft, Rohstoffförderern und Banken sitzt mit dem Deutschen Naturschutzring ein Umweltverband mit am Tisch.

Was wird man in kommenden Jahrzehnten über die heutige Art zu bauen sagen?

Wenig überraschend: Solch ein Bündnis war auch in Hamburg unter Scholz initiiert worden. Dort wurde es noch als „Bündnis für das Wohnen“ betitelt. Im Spiegel heißt es dazu: „Doch wann immer Kritik laut wird, die Hamburger SPD kann sich auf die Immobilienlobby verlassen. Es gibt zahlreiche Verflechtungen zwischen Politik und Bauwirtschaft, und im ‚Bündnis für das Wohnen‘ bestärkt man sich regelmäßig gegenseitig.“

Nach Ansicht der Grünen Liga kann es so nicht weitergehen. „Das Baumantra muss durchbrochen werden“, fordert René Schuster, Bundesvorsitzender des ostdeutschen Umweltnetzwerks. „Beim Neubau zehntausender Häuser aus Stahl und Beton fressen allein die Baustoffe so viel Energie, dass diese Gebäude auch durch Wärmedämmung nicht mehr klimafreundlich werden können.“ Für die Grüne Liga gibt es nur einen Weg zu einem klimafreundlichen Gebäudesektor: Die bestehenden Gebäude müssen saniert und vernünftig genutzt werden.

Für ein Recht auf Wohnungstausch

„Eine der wichtigsten Energiesparmaßnahmen ist es, die vorhandene Wohnfläche wieder effektiver zu nutzen“, sagt Schuster. Für Menschen, die große Wohnungen teilen oder in kleinere umziehen wollen, dürfe es keine Hürden geben, vielmehr müssten sie Beratung und Unterstützung erhalten. „Anreize und Rahmenbedingungen dazu müssen so zeitnah in Kraft treten, dass sie bei der anstehenden Sanierungswelle eingeplant werden können.“

Im Mietrecht solle das Recht auf Wohnungstausch verankert werden, fordert Schuster. Das komme sowohl dem Klima als auch den Mieter:innen zugute. Wer im Alter von einer großen in eine kleinere Wohnung umziehen will, spart bisher kaum Geld, weil bei jeder Neuvermietung die Miete erhöht wird. Beim Tausch der Wohnung grundsätzlich in den Mietvertrag des Tauschpartners eintreten zu können, wie es heute nur innerhalb der eigenen Wohnungsgenossenschaft möglich ist, würde hier ein riesiges Hemmnis beseitigen. Das Recht darauf soll nach den Vorstellungen der Grünen Liga nach mindestens fünf Jahren in der alten Wohnung bestehen. Kleine Vermieter:innen, die selbst mit im Haus wohnen, sollen davon ausgenommen sein.

Geplant wird in den Kommunen

„Wenn die SPD es wirklich ernst meint mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, dann könnte der Vorschlag relativ schnell und unkompliziert umgesetzt werden“, meint Josephine Sahner. Viel verdienen würde die Immobilien- und Bauwirtschaft jedoch daran nicht. Man darf also gespannt sein, wer den regierenden Sozialdemokraten wirklich am Herzen liegt. 

So begrüßenswert der rhetorische Vorstoß der Ministerin zur Eindämmung des Einfamilienhaus-Neubaus ist – wie dies umgesetzt werden soll und welche Beweggründe tatsächlich hinter der Ankündigung stehen, bleibt unklar. Für die Bauleitplanung und Genehmigung von Einfamilienhäusern sind jedenfalls die Kommunen zuständig und nicht die Bundespolitik.

Mike Kess 

Weitere Informationen: www.grueneliga.de (Themen und Projekte – Gesteinsabbau)

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