Lauter Ruf nach der Bauwende

Aus DER RABE RALF Februar/März 2021, Seite 3

Erfolgreiche Petition: Der Bundestag muss sich mit klima- und sozialverträglichem Bauen befassen

Gipstagebau im Südharz: Die Industrie will mehr Naturgips abbauen. (Foto: Markus Pichlmaier/ideengrün)

Es war eine Aufholjagd sondergleichen. Anfang Januar hatte die Bundestags-Petition der „Architects for Future“ für eine Bauwende erst 20.000 Unterstützer, nicht einmal die Hälfte des nötigen Quorums. Erst wenn 50.000 Menschen unterzeichnen, muss es eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages geben. Die „Architects for Future“ fordern in der Petition einen nachhaltigen Wandel im Bausektor und ein „umfassendes Maßnahmenpaket für ein klima- und sozialverträgliches Bauen“. Unter anderem müsse der Marktpreis von Baumaterialien alle Umweltfolgekosten umfassen. Bauprodukte müssten kreislaufgerecht sein, damit sie nach Abriss wiederverwendet werden können.

Die im vergangenen November gestartete Internet-Petition fand zwar über die Wochen eine beachtliche Anzahl an Unterstützern, aber Mitte Dezember wurde deutlich: Wenn es so weiter geht, wird das Ziel verfehlt. Haben die Leute kein Interesse an einer Bauwende? Lag es an Weihnachten oder der alles überschattenden Corona-Krise? Oder einfach daran, dass es im Wust einer Vielzahl von Petitionen zu unterschiedlichen Themen an Aufmerksamkeit mangelte?

Bauen belastet Klima und Menschen

Der Druck zum Handeln ist auf alle Fälle da. Schon vor einem Jahr hatte eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ergeben: Wenn das Wachstum beim Neubau weiter anhält, können die CO₂-Emissionen aus Baustoffen bis 2050 ein Fünftel des Emissionsbudgets erreichen. Das Bauwesen gehört zu den ressourcenintensiven Wirtschaftszweigen. Allein in Deutschland werden jährlich 517 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe verbaut.

Ulrich Wieland von der Bundeskontaktstelle Gesteinsabbau der Grünen Liga weist darauf hin, dass klimaverträgliches Bauen und ein stärkerer Einsatz von Recyclingbaustoffen nicht nur dem Klima nützen, sondern auch Regionen entlastet, in denen Sand, Kies und Gips abgebaut wird. „Deutschlandweit bemerken wir verstärkte Interessen der Gesteins- und Mineralindustrie, Abbaugebiete massiv auszuweiten“, sagt Wieland. „Das trifft auf erbitterten Widerstand in den Regionen.“ Von den Gipsfördergebieten im Südharz über die Sand- und Kiesgruben in Ostdeutschland bis zu denen am Rhein bildeten sich an vielen Orten Bürgerinitiativen, die gegen die Industrieinteressen aufbegehren. „Eine Wende im Bauwesen könnte auch zu einer Befriedung in den betroffenen Regionen führen“, betont Wieland. Mit der „Erfurter Erklärung“ vom August 2020 hatte die Grüne Liga zusammen mit lokalen Initiativen bereits einen umfassenden Forderungskatalog vorgelegt (Rabe Ralf Oktober 2020, S. 3).

In Berlin wird kräftig gebaut – warum nicht mit Holz? (Foto: Markus Pichlmaier/ideengrün)

„Auch Berlin kann mit Holz bauen“

In Berlin befasst man sich schon länger mit der Bauwende, auch wenn man über Anfänge noch nicht weit hinausgekommen ist. Mit der Verwaltungsvorschrift „Beschaffung und Umwelt“ hat der Senat Vorgaben für die Landesverwaltung gemacht, die natürliche Materialien bevorzugen und den Kreislaufgedanken in alle Planungen einbringen sollen. Jedes Bauteil soll sich am Lebensende eines Gebäudes wiederverwenden oder zumindest wiederverwerten lassen. Durch eine Lebenszyklusbetrachtung für alle neuen Gebäude sollen auch die Kosten von Anfang bis Ende kalkuliert werden.

Der Bauexperte der Berliner Bündnisgrünen Andreas Otto geht einen Schritt weiter. Für ihn muss der Holzbau in Berlin aus dem Probebetrieb in Serie gehen. „Die bisher realisierten Projekte des Senats und der Landesunternehmen belegen, dass Schulen, Wohnhäuser, Studierendenwohnheime und andere Gebäudetypen aus Holz auch in Berlin umsetzbar sind“, sagt Otto. „Die öffentliche Hand muss nach diesen Testprojekten jetzt in großem Stil in das ökologische Bauen einsteigen.“

Kohleausstieg rechtfertigt keine neuen Gipstagebaue

„Klimaschutz im Bausektor muss endlich als Chance betrachtet werden“, fordert auch Wieland. Alternative Lösungen stünden bereit: „Wenn beispielsweise REA-Gips aus Kohlekraftwerken im Zuge des Kohleausstieges wegfällt, wäre es ein Irrweg mit katastrophalen Folgen für den Südharz, wenn die Industrie dort versucht, die wegfallenden Gipsmengen durch massive Abbauerweiterungen zu kompensieren“, so der Gesteinsexperte.

Eine Fachtagung der Grünen Liga im letzten November hatte ergeben, dass auf einen Aufschluss neuer Gipstagebaue verzichtet werden kann. Dazu müsse man die Recyclingquoten erhöhen, Alternativbaustoffe nutzen, Naturverbrauch verteuern und gesetzliche Rahmenbedingungen wie das Bundesberggesetz und Bauvorschriften ändern.

„Baut keinen Scheiß“

Das neue Jahr war erst wenige Stunden alt, als die Aufholjagd der „Architects for Future“ begann. Es fehlten über 30.000 Stimmen, und nur noch bis zum 8. Januar lief die Petition. Die Initiatoren stellten die provokante Frage: Können wir es schaffen? Es folgten Rundmails, Aufrufe in sozialen Netzwerken mit Schlagworten wie #bautkeinenscheiss. Dann machten auch bekannte Gesichter wie Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ oder das ehemalige Mitglied der Kohlekommission Antje Grothus aus dem Rheinland mit. Die Grüne Liga beteiligte sich ebenfalls an der Verbreitung. Noch am 7. Januar war nicht klar, ob es klappen würde, obwohl das Ziel 50.000 zum Greifen nah war. Am letzten Tag in den Abendstunden kam dann die erlösende Nachricht. Geschafft.

Am Ende standen sogar 57.476 Unterzeichner. Der Bundestag muss sich nun mit dem Anliegen befassen. „Das ist ein starkes Zeichen für eine längst überfällige Wende im Bauwesen“, freut sich Grüne-Liga-Experte Ulrich Wieland. Die Menschen seien nicht mehr bereit, die Belastungen durch die Baustoffindustrie hinzunehmen. „Die Diskussion ist eröffnet und muss jetzt von der Bundesregierung aufgegriffen werden.“

Die „Architects for Future“ legen auch jetzt nicht die Hände in den Schoß. In den sozialen Netzwerken informieren sie als „Architects4F“ über Fortschritte in der Bauwende und rufen zur Teilnahme zum nächsten großen Klimastreik am 19. März auf.

Mike Kess 

Weitere Informationen:
www.netzwerk-gesteinsabbau.de
epetitionen.bundestag.de (Petition 118228)
www.architects4future.de

Siehe auch: „Wi(e)der die Wegwerfmentalität“

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