Aus DER RABE RALF Oktober/November 2023, Seite 19
Im Juni ist der peruanische Guerillero und Umweltaktivist Hugo Blanco gestorben
Lateinamerika ist der klassische Sehnsuchtskontinent europäischer Linker. Welches Bürgerkind hat sich in seiner romantischen Phase nicht ins Andenhochland oder in den Dschungel des Amazonas fantasiert, um zusammen mit ausgebeuteten Indios gegen Großgrundbesitzer und multinationale Konzerne zu kämpfen? Manche haben den Schritt tatsächlich gewagt, kamen desillusioniert zurück oder gingen zwischen Traum und Gewalt verloren.
In Lateinamerika, so muss es den resignierten Linken scheinen, ist Scheitern ein Naturgesetz. Auf Guerillakrieg folgt Staatsterrorismus, aus Unterdrückten werden Despoten. Che Guevara kam tot aus dem bolivianischen Urwald und ist in den Einkaufszentren des Nordens auf T-Shirts wieder auferstanden. Nun ist auch Hugo Blanco gestorben. Wer über ihn schreibt, gerät in ein Dickicht aus Klischees und Legenden, stößt auf noble Ideale und stolpert über Leichen.
„Ein Indio, der keiner war“
Hugo Blanco Galdós wurde 1934 in Cusco im Zentrum des peruanischen Andenhochlandes geboren. Cusco war die Hauptstadt des vorkolonialen Inkareiches, in dem einige Historiker Elemente eines „andinen Sozialismus“ erkennen wollen. Blanco fühlte sich den indigenen Völkern Perus zeitlebens verbunden und behauptete sogar, einer der ihren zu sein. Ob dies tatsächlich der Wahrheit entsprach, wurde oft bezweifelt. Blancos Identifikation war aber mehr als bloßes „Indianer-Spielen“. Sein Freund Eduardo Galeano hat ihn so beschrieben: „Er bleibt jener sympathische Spinner, der beschloss, ein Indio zu sein, obwohl er keiner war, um schließlich doch der indianischste von allen zu sein.“
Sicher ist, dass Blanco schon früh für das Elend der einheimischen Bevölkerung sensibilisiert wurde und bereits als Kind Kontakte mit indigenen Bauernführern hatte. Die indianischen Tagelöhner (peón) mussten auf den Haciendas, die im Besitz der kreolischen Oberschicht waren, arbeiten, ohne Lohn oder Bodenrechte dafür zu bekommen – das sogenannte Latifundiensystem. Der Willkür der Obrigkeit waren hier keine Grenzen gesetzt. Einmal, so erzählte es Blanco immer wieder, war er Augenzeuge, wie ein Gutsbesitzer die Haut eines Peón mit einem Brandzeichen versehrte, ein Erlebnis, das sich auch in Blancos Gedächtnis einbrannte.
Blanco studierte in Cusco und im argentinischen La Plata Landwirtschaft, verschrieb sich dem Trotzkismus und engagierte sich politisch auf Seiten der revolutionären Linken. Zurück in Peru, wurde er Mitglied in mehreren Landarbeitergewerkschaften und Bauernverbänden. Unter dem Ruf „¡Tierra o muerte!“ („Land oder Tod!“) forderten Blanco und seine Genossen eine radikale Landreform. Es blieb nicht bei bloßen Forderungen. Die Gruppe mobilisierte zu einem Generalstreik und zu Landbesetzungen. Der Boden sollte allein denen gehören, die ihn bebauen. Die alarmierten Großgrundbesitzer schickten die Polizei, Blanco organisierte eine Selbstverteidigungsmiliz. 1963 wurde er gefasst und sollte zum Tode verurteilt werden. Eine internationale Solidaritätskampagne, an der sich etwa Jean-Paul Sartre beteiligte, erreichte, dass er 1967 „nur“ zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Arguedas‘ Prophezeiung
Blanco wurde auf die Gefängnisinsel El Frontón gebracht. Dort tauschte er Briefe mit dem indigenen Dichter José María Arguedas aus, den Blanco respektvoll mit „tayta“ (Quechua für „Vater“) ansprach. In seinem letzten Brief schrieb Arguedas an Blanco, er befürchte, dass die Revolution viel Blut kosten werde. Dann nahm er sich das Leben.
Im Zuge einer Amnestie kam Blanco frei. Da er sich weiter für die Landbevölkerung einsetzte, sollte es nicht sein letzter Gefängnisaufenthalt bleiben. Wiederholt wurde er von der Staatsmacht misshandelt. Inzwischen hatte sich unter der straffen Führung von Abimael Guzmán die maoistische Terrorsekte Sendero Luminoso („Leuchtender Pfad“) formiert, die Peru über zehn Jahre an den Rand des Bürgerkriegs führte. Fast 70.000 Menschen starben, vor allem indigene Bauern. Obwohl Blanco die Methoden des Sendero ablehnte, wirft man ihm bis heute vor, sich nicht klar genug distanziert zu haben. Ein Unterschied bestand allerdings immer darin, dass die Maoisten den Bauern die Revolution befahlen, während Blanco auf Basisdemokratie setzte und die Partei dem Willen der Versammlung unterordnete.
Irgendwann stand Blanco sowohl auf der schwarzen Liste der peruanischen Regierung als auch auf der des Sendero. Anfang der 1970er Jahre ging er ins Exil. Zuerst nach Mexiko, wo er mit den Neo-Zapatisten der EZLN zusammenarbeitete, dann nach Schweden, wo er sich Jahrzehnte später mit der Klimabewegung um Greta Thunberg solidarisierte. Unter anderem gab er die in Cusco erscheinende Monatszeitschrift Lucha Indígena heraus. Am 25. Juni 2023 ist Hugo Blanco in Uppsala gestorben.
Blanco hat sich auch als Schriftsteller versucht. Seine Novelle „El Maestro“ endet mit den Worten: „Doch, tayta! Du kämpfst immer noch! Du bist nicht alt, tayta; nur deine Hände, deine Füße sind alt. Mit meinen Beinen wirst du zu unseren Brüdern gehen, tayta; mit meinen Händen wirst du kämpfen, tayta; es ist, als würdest du deinen Poncho wechseln, nichts weiter. Meine Arme, meine Beine, die nimmst du, um den Kampf fortzusetzen. Es ist so, als würdest du den Poncho wechseln, tayta!“
Der gleiche Kampf
„Wir Indios“, sagte Blanco einmal, „kämpfen seit 500 Jahren für einen sozialen Umweltschutz“. Für ihn gab es keinen Unterschied zwischen dem Kampf gegen die koloniale Ausbeutung von Menschen und der Auflehnung gegen das System der kapitalistischen Naturzerstörung: „Es betrifft immer die Erde und den Menschen: globale Erwärmung, Tagebau, Agrarindustrien, die die Umwelt verschmutzen, Wasserkraftstaudämme, die riesige Landstriche ertränken.“
Bei Blanco sind die Fronten stets klar: Auf der einen Seite stehen die multinationalen Ausbeuter, auf der anderen Seite die Völker. Anstelle von kapitalistischem Privatbesitz schlägt Blanco die Rückgewinnung und Verteidigung der „Ayullu“, der am Gemeinbesitz orientierten indigenen Dorfgemeinschaften, vor. Einigen mag das zu einfach erscheinen. Blancos Leben zeigt allerdings, dass die Verhältnisse tatsächlich manchmal sehr einfach sind. Einfach und blutig. Die Alternative dazu wäre zwar auch einfach, aber, wie Bertolt Brecht sagt, gleichzeitig „schwer zu machen“. Auch davon zeugt Blancos Leben.
Blanco lesen
Leider sind nur wenige Schriften Blancos auf Deutsch erhältlich. Einen guten Querschnitt bietet die Sammlung „Wir Indios. Der Kampf der Indígenas gegen rassistische Unterdrückung und die Zerstörung ihrer Umwelt“ (Neuer ISP-Verlag 2011, 20 Euro). Blancos biografisches Hauptwerk „Tierra o Muerte: Las luchas campesinas en Perú“ wurde bisher nicht übersetzt. Auf Englisch kann man die Biografie „Hugo Blanco: A revolutionary for Life!“ von Derek Wall lesen (Merlin Press 2019, 24 Euro).
Sehr zu empfehlen ist der Dokumentarfilm „Hugo Blanco: Río Profundo“ (2019) von Malena Martínez Cabrera. Martínez geht kritisch-solidarisch mit dem Mythos Blanco um, verweigert sich jedem Personenkult und stellt historische Zusammenhänge her. Der Film kann mit deutschen Untertiteln für 4,50 Euro auf der Plattform Vimeo angesehen werden.
Johann Thun
Film und weitere Informationen: www.hugoblancofilm.com