Bürgerbeteiligung nach amtlichem Ermessen

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2021, Seite 12

Wie in Neukölln die ökologisch engagierte Mitwirkung der Bevölkerung maximal reduziert wird

AnwohnerInnen demonstrieren im Oktober 2019 gegen die geplanten Rodungen in dem Bauabschnitt am Neuköllner Weigandufer. (Foto: Andreas Knopp)

Während der Berliner Senat bemüht ist, die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Projekten und Prozessen der räumlichen Stadtentwicklung voranzubringen, gehen die Entwicklungen in Neukölln eher in die entgegensetzte Richtung. Zwar ist man in Neukölln dabei, auf Anregung des Senats sogenannte Anlaufstellen einzurichten, in denen BürgerInnen Sanierungsvorschläge einreichen können. Eine echte Partizipation an der städtebaulichen Umgestaltung ist aber nicht in Sicht.

Eingaben gegen Stadtgrün-Zerstörung ignoriert

In Neukölln offenbarte sich der Zustand der Bürgerbeteiligung im Zuge der Auseinandersetzungen um die Sanierung des Weigandufers am Neuköllner Schifffahrtskanal. Die dort 2019 geplante massive Rodung von vorhandenem Grün war den betroffenen BürgerInnen in einer Zeit, in der überall Natur und Klima zerstört werden, nicht zu vermitteln. Das Bezirksamt zog sich aber auf die Position zurück, dass es unter­schiedliche Interessen abzuwägen habe und die Ökologie nur einen Gesichtspunkt darstelle.

In zwei Eingaben, die vom Amt ignoriert wurden, beschwerten sich die BürgerInnen, dass ihre Nachfragen unzureichend oder falsch beantwortet und sie dadurch an einer Mitwirkung gehindert wurden. Kritisiert wurden die Weigerung, Änderungsvorschläge der Bürger auch nur zu diskutieren, und eine einseitige und unzureichende Information der Öffentlichkeit.

Bundesweit gilt Paragraf 137 des Baugesetzbuches als gesetzliche Grundlage für Bürgerbeteiligung: „Die Sanierung soll mit den Eigentümern, Mietern, Pächtern und sonstigen Betroffenen möglichst frühzeitig erörtert werden. Die Betroffenen sollen zur Mitwirkung bei der Sanierung und zur Durchführung der erforderlichen baulichen Maßnahmen angeregt und hierbei im Rahmen des Möglichen beraten werden.“

Art und Umfang der Erörterung, Mitwirkung und Beratung sind aber im Baugesetzbuch nicht festgelegt und liegen im Ermessen der Behörde. Eine die Pflichten der Bezirke konkretisierende Ausführungsvorschrift des Landes Berlin ist am 6. Mai 2005 außer Kraft getreten. An ihre Stelle trat in Neukölln eine nur wenige Zeilen umfassende „Rechtsgrundlage“. Darin legt das Bezirksamt nochmals dar, dass der Gesetzgeber den Betroffenen „ein umfangreiches Informationsrecht und auch das Recht, gehört zu werden und Vorschläge zu unterbreiten“, einräumt. Als Betroffene werden „Wohnungs- und Gewerbemieter, Eigentümer, Pächter, Selbständige, Angestellte usw.“ genannt, denen die Bündelung ihrer Interessen in „einer gemeinsamen, mit der Verwaltung vernetzten Interessenvertretung“ ermöglicht werden soll.

Anders als in der alten Ausführungsvorschrift blieben viele Dinge ungeregelt, so dass das Bezirksamt Neukölln einen großen Ermessens­spielraum behielt. Der Verlauf der Beteiligung hing entsprechend vom Wohlwollen des Bezirksamts ab.

Keine Hilfe von Grünen und Linken

Als Interessenvertretung war 2012 das sogenannte Beteiligungsgremium Sonnenallee gegründet worden. Es bestand aus gewählten Mitgliedern und interessierten Gästen – ausschließlich Mieter und Wohnungseigentümer. Es gab keine Geschäftsordnung, keinen Sprecher, keinen regulierten Informationsaustausch, keine Regelung einer Akteneinsicht. Es standen keine einsehbaren Planungsunterlagen zur Verfügung. In den Veröffentlichungen des Bezirksamts – zum Beispiel auf der Internetseite KMS-Sonne.de sowie in Broschüren und der Sanierungszeitung „Karlson“ – waren die erwünschten Hintergrundinformationen nicht zu finden.

Derselbe Bauabschnitt am Weigandufer im Mai 2021 nach Rodung und Sanierung im Auftrag des Bezirksamts Neukölln. (Foto: Andreas Knopp)

Mitte 2019 erkannten einige der Betroffenen die Notwendigkeit einer besseren Strukturierung der Beteiligung und begannen mit der Ausarbeitung einer Geschäftsordnung und dem Entwurf einer ausführlichen Mitwirkungsregelung für den Informationsaustausch zwischen Amt und Betroffenen. Das Bezirksamt war informiert. Als Grundlage diente unter anderem die alte Ausführungsvorschrift des Landes Berlin. Überraschend wartete das Neuköllner Stadtentwicklungsamt dann Anfang 2020 mit einer eigenen Mitwirkungsregelung auf, die sofort und ohne Diskussion in Kraft gesetzt wurde. Das Recht der BürgerInnen auf Information und Mitwirkung gemäß Baugesetzbuch wird darin aufs Engste ausgelegt und auf ein Minimum reduziert.

Auch Stadtentwicklungs-Stadtrat Jochen Biedermann von den Grünen äußerte sich positiv zu der neuen Regelung. Ihm gehe es um einen Rahmen, in dem die Behördenvertreter „die Hinweise der BürgerInnen einsammeln können, dass wir als Verwaltung damit arbeiten können“. Auch die Neuköllner Linke kam den betroffenen Bürgern nicht zu Hilfe.

Die BürgerInnen waren entsetzt. Sie fürchteten, zum Ideenlieferanten für eine neoliberale Stadtentwicklungs-Agenda der Parteien degradiert zu werden.

Als es daraufhin Austritte von gewählten Mitgliedern aus dem Beteiligungsgremium gab, verfügte das Bezirksamt Neukölln nochmals eine Verschärfung der Statuten – und im März 2020 hat das Amt die Bürgerbeteiligung im Sanierungsgebiet Sonnenallee bis auf Weiteres ganz eingestellt.

Kaum Informationen zu Umweltauswirkungen

Kürzlich wurde eine weitere Beschwerde beim Ausschuss für Eingaben und Beschwerden der BVV Neukölln eingereicht. Es ging um die Weigerung des Bezirksamts, Einsicht in Unterlagen über die ökologischen Auswirkungen der Sanierung zu gewähren. Für die Einsicht verlangte das Amt einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstößt das gegen den Baugesetzbuch-Paragrafen 137. Darüber hinaus wurde die Akteneinsicht erst im November 2020 gewährt, etwa anderthalb Jahre nach Antragstellung und nach Abschluss der Sanierungsarbeiten. Als Krönung wurden dann auch noch unvollständige Akten zur Einsicht vorgelegt.

Der Ausschuss holte eine Stellungnahme des Bezirksamts ein und tagte hinter verschlossenen Türen. Der Abschlussbericht liegt jetzt vor. Darin teilt der Ausschuss mit, dass er vollständig der Sichtweise des Bezirksamtes folgt.

Als neueste Kapriole wird nun die folgende Auffassung vertreten: Die „Pflicht des Bezirksamtes, die Betroffenen zur Durchführung der erforderlichen baulichen Maßnahmen anzuregen und hierbei im Rahmen des Möglichen zu beraten, richtet sich vornehmlich an Eigentümer von Grundstücken, die von den Sanierungsvorhaben direkt betroffen sind und die erforderlichen Maßnahmen (selbst) durchzuführen haben“. Das in Paragraf 137 Baugesetzbuch eingeräumte Ermessen gebe lediglich der Behörde „den Spielraum, betroffene Anwohner in die Planung und Ausführung des Sanierungsvorhabens einzubeziehen und zur Mitwirkung anzuregen, z. B. in Form eines Beteiligtengremiums“.

Berlinweite Regelung wieder nötig

Das widerspricht offensichtlich nicht nur dem Wortlaut des Paragrafen 137, sondern auch der Rechtsauffassung, die das Bezirksamt selbst acht Jahre lang zugrunde legte und auch praktizierte. Mit dieser Neuinterpretation werden alle Neuköllner, die keine direkt betroffenen Grundeigentümer sind, endgültig zum Spielball der Behörde.

Mit den derzeit in der BVV Neukölln anwesenden Parteien ist wohl keine Korrektur im Sinne einer besseren Bürgerbeteiligung in Neukölln zu erwarten. Aus Sicht der engagierten Neuköllner Betroffenen wäre es dringend geboten, dass der Berliner Senat erneut landesweit verbindliche Ausführungsvorschriften erarbeitet. Anderenfalls kommt von seinen erklärten Partizipationsbestrebungen zumindest in Neukölln wohl nicht viel an.

Andreas Knopp

Weitere Informationen: www.demokratische-stadtentwicklung.org (Projekte – Stadtgrün am Weigandufer)

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