Der Goldklumpen im Restmüll

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2018, Seite 5

Bioabfall – ein Schatz, den endlich auch Berlin heben will

Würde ein Durchschnitts-Berliner seine „Durchschnitts-Restmülltonne“ öffnen und reinschauen, würde er nicht schlecht staunen, was sich darin befindet: Fast die Hälfte (44 Prozent) sind organische Abfälle, also das, was in der Küche an Resten beim Kochen und Essen anfällt, eventuell auch Blumen- und Pflanzenreste, manchmal Rasenschnitt, seltener Heu und Stroh. Zusammen sind das im Jahr 356.000 Tonnen in Berlin – rund 100 Kilo pro Einwohner und Jahr, die als feuchter Bioabfall mit einem Wassergehalt von 60 bis 80 Prozent in der Müllverbrennungsanlage in Ruhleben landen statt in einer Vergärungsanlage. Damit sind diese Mengen für immer dem Stoffkreislauf und einer sinnvollen Energienutzung entzogen.

Bioabfall lässt sich klimafreundlich vergären. (Foto: Günter Schmidt)

Wertvoller Bioabfall

Vor allem Küchenabfälle und Essensreste entpuppen sich als kleine Energiebündel, wenn sie in einer Biogasanlage vergoren werden und das gewonnene Methan in einem Blockheizkraftwerk zu erneuerbarem Strom umgewandelt oder – noch besser – nach Aufbereitung direkt als regeneratives Gas ins Gasnetz eingespeist wird.

Biogas ist ein erneuerbarer Energieträger, der Solar- und Windenergie hervorragend ergänzt, weil er fast verlustfrei im Gasnetz gespeichert werden kann und bedarfsgerecht zur Verfügung steht. Mit diesem hohen Maß an Flexibilität ist Biogas aus Bioabfall ein „ganz besonderer Stoff“, der im neuen Berliner Klimaschutzprogramm starke Beachtung findet.

Nach der Vergärung des Bioabfalls bleibt ein sogenannter Gärrest übrig, der in flüssiger und fester Form in den Stoffkreislauf zurückgeführt und als wertvoller Kompost oder Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden kann. Mit einer solchen kaskadenartigen Nutzung des Bioabfalls – erst Biomethan gewinnen, den Rest ab auf den Acker – lassen sich erhebliche Klima-Entlastungen erreichen, während gleichzeitig die wertvollen Pflanzennährstoffe wie Stickstoff, Phosphor, Kalium, Magnesium erhalten bleiben.

Das zeigt: Bioabfall in die Müllverbrennung zu geben ist pure Ressourcenverschwendung. Deshalb bietet die Berliner Stadtreinigung (BSR) seit 1996 eine „Biogut“-Tonne an, mit der Bioabfälle getrennt gesammelt werden.

Biogasanlage vergärt Biogut

Schon seit 2013 ist die erste Berliner Biogasanlage für Biogut in Betrieb. In der „BSR Biogas West“ in Ruhleben wurden 2016 etwa 65.800 Tonnen Biogut verarbeitet, davon runde 55.000 Tonnen vergoren, zu Biomethan aufbereitet und anschließend mit Erdgasqualität ins Berliner Gasnetz eingespeist.

Aus dieser Menge Bioabfall wurden rund 4,4 Millionen Kubikmeter Biomethan gewonnen, wodurch etwa 150 Müllfahrzeuge der BSR mit regenerativem Kraftstoff betankt wurden. Der Gärrest wurde zur Weiterbehandlung in Anlagen nach Brandenburg verbracht und als Kompost oder Dünger im Gartenbau oder in der Landwirtschaft genutzt.
Die Klimabilanz des Jahres 2016 weist für Bioabfall, der in der Biogasanlage West verwertet wurde, eine Klima-Entlastung von 142 Kilogramm CO₂-Äquivalent pro Tonne Bioabfall aus.

Anlage schon heute zu klein

Im Gegensatz zur Vergärung führt eine Kompostierung ohne vorherige Energienutzung zu einer Klima-Belastung. Für die Behandlung von Biogut in offenen Kompostanlagen in Brandenburg weist die Klimabilanz 2016 eine Treibhausgas-Belastung von 46 Kilogramm CO₂-Äquivalent pro Tonne Biogut aus.

Obwohl diese schlechte Klimabilanz bekannt ist und trotz gegenteiliger parlamentarischer Beschlüsse landen weiterhin erhebliche Mengen Biogut direkt in Kompostanlagen. Woran liegt das? Ganz einfach: Die erste Biogasanlage ist voll, trotz anderslautender Äußerungen der BSR. Das zeigt sich allein darin, dass 2016 zwar 72.200 Tonnen Biogut eingesammelt, davon aber nur 65.800 Tonnen in der BSR Biogas West verarbeitet wurden. 6.300 Tonnen gingen unmittelbar in brandenburgische Kompostanlagen.

Berlin liegt hinten

Der Anteil an Bioabfall, die wir in Berlin 2016 in der Biotonne gesammelt haben, ist mit den 72.200 Tonnen – etwa 20 Kilo pro Einwohner – ausgesprochen mager und im Vergleich zu anderen Kommunen wie Hamburg spärlich. Die bundesweite Durchschnittsmenge für getrennt gesammelten Bioabfall ist dreimal so hoch und liegt bei fast 60 Kilogramm pro Person und Jahr. Der Nachholbedarf in Berlin ist groß. Angesichts der rund 100 Kilogramm Bioabfall pro Einwohner und Jahr, die bei uns noch im Restmüll „schlummern“, liegt hier ein großes Potenzial, das nun gehoben werden soll.

Kein Wunder, dass der BSR-Aufsichtsrat jetzt beschlossen hat, dass die BSR ihre Anstrengungen erhöhen und ab April 2019 die Biotonne flächendeckend in Berlin aufstellen soll, zumal die separate Sammlung in allen Haushalten schon seit Anfang 2015 gesetzlich vorgeschrieben ist.

Der Verpflichtung zur konsequenten Durchsetzung dieses Gesetzes hat sich die BSR bislang entzogen: Die Biotonne war keine Pflicht-, sondern eine Wunschtonne. Das soll sich nun ändern. Damit die Biotonne besser angenommen wird, sind vor allem attraktive Anreize wie Entgeltfreiheit, besserer Service und stete Aufklärung und Motivation nötig.

Wann kommt die zweite Biogasanlage?

Angesichts der langen Planungsphase und Bauzeit für eine Biogasanlage – sechs Jahre waren es bei der ersten – sollte sehr schnell eine Entscheidung für eine zweite Anlage getroffen werden. Eine Kompostanlage kommt aus Klimaschutzgründen nicht in Frage. Wenn die BSR es schafft, die Biotonne wirklich attraktiv zu machen, sind ab 2019 deutlich mehr Mengen an Biogut zu erwarten, die in einer klimafreundlichen und emissionsarmen Vergärungsanlage verwertet werden sollen. Um den Schatz aus der Restmülltonne heben zu können, sind deshalb ganz neue und substanzielle Anstrengungen der Politik erforderlich, die rasch wirken und sich auf den Handlungsrahmen der BSR konzentrieren müssen.

Gudrun Pinn

Die Autorin ist Vorsitzende des Landesvereins der UmweltberaterInnen in Berlin und Brandenburg (LAUB) und abfallpolitische Sprecherin des Bundesverbandes für Umweltberatung (bfub). Weitere Informationen: Tel. 0163-3571668, www.laub-ev.de


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