Doppelte Standards

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2020, Seite 3

Warum dürfen hochgefährliche Pestizide, die in der EU verboten sind, weiter exportiert werden?

Nur wenig geschützt ist dieser Mann beim Versprühen von Pestiziden. (Foto: ECCHR)

Im Jahr 2009 gab es einen wichtigen Erfolg in dem Bemühen, besonders gefährliche Pestizide von Mensch und Umwelt fernzuhalten: Die Pestizid-Verordnung 1107/2009 der Europäischen Union wurde verabschiedet. Für einige Neuerungen hatten Umweltorganisationen hart gekämpft. Zu den Errungenschaften zählte ein prinzipielles Vermarktungsverbot für Pestizidwirkstoffe, die für Menschen als wahrscheinlich krebserregend, erbgutschädigend oder reproduktionstoxisch eingestuft wurden.

Schon davor galt in der EU, dass Wirkstoffe, die zum Beispiel das Grundwasser belasten – das heißt regelmäßig in Konzentrationen über 0,1 Mikrogramm pro Liter nachgewiesen werden –, vom Markt genommen werden müssen. Das führte 2003 zum Verbot des Herbizids Atrazin, und inzwischen darf in der EU eine ganze Reihe von Pestiziden aufgrund von Gesundheits- und Umweltbedenken nicht mehr angewendet werden. Beispiele aus jüngerer Zeit sind Chlorthalonil, Linuron, Chlorpyrifos und Thiacloprid.

Gentechnik und immer mehr Pestizide

Diese für die EU positive Entwicklung steht im Kontrast zur Situation in anderen Teilen der Welt. Für Länder des globalen Südens gibt es solche Beschränkungen nicht, und Unternehmen machen weiterhin Geschäfte mit dem Export und der Vermarktung von Pestiziden, die als besonders gesundheits- oder umweltschädigend eingestuft wurden.

Die Datenbank der Welternährungsorganisation FAO zeigt steigende Pestizidmengen in den letzten 20 Jahren. In Südostasien, wo der Pestizideinsatz aufgrund der „Grünen Revolution“ seit den 1970er Jahren ohnehin schon hoch war, gab es nochmals einen Anstieg um 25 Prozent, in Afrika um 30 Prozent – hier steht diese Entwicklung erst am Anfang. In Südamerika, wo in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gentechnisch veränderte Sorten Einzug hielten, hat sich seitdem die Pestizidmenge insgesamt mehr als verdoppelt. Länder wie Argentinien und Brasilien stechen mit sechs- bis siebenfachen Steigerungsraten hervor.

Wirkstoffe, deren Anwendung bei uns aus Gesundheits- und Umweltgründen verboten ist, dürfen trotzdem produziert und anschließend in Weltregionen exportiert werden, in denen deutlich niedrigere Umwelt- und Gesundheitsstandards gelten. Während wir uns berechtigte Sorgen über Pestizidrückstände in Lebensmitteln machen, fehlt eine entsprechende Überwachung im globalen Süden weitgehend.

Fehlgeburten und Krebserkrankungen

Aus Gesprächen vor Ort und zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen ist bekannt, dass in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft viele Menschen nach Pestizidanwendungen unter Kopfschmerzen, Übelkeit, Atemnot und anderen Beschwerden leiden. Manche von ihnen betrachten das sogar als „normal“. Diese akuten Vergiftungssymptome sind nicht nur Ausdruck einer hohen Belastung der Betroffenen, sondern auch ein Indiz für fehlende Aufklärung über die von Pestiziden ausgehenden Gefahren. In Ländern wie Argentinien, wo Pestizide in großen Mengen und auch mit Flugzeugen ausgebracht werden, belegen Studien aus den „pueblos fumigados“, den „begasten Dörfern“, einen Anstieg von Fehlgeburten, Krebs- und Missbildungsraten um das Mehrfache gegenüber dem landesweiten Durchschnitt (Rabe Ralf Februar 2018, S. 26). An diesem Krankheitsgeschehen sind unter anderem in der EU verbotene Pestizide beteiligt.

Die Weitervermarktung verbotener Pestizide in anderen Weltregionen fällt in die Kategorie der „Doppelstandards“ – ein Thema, mit dem sich drei Studien befassen, die in den letzten Monaten veröffentlicht wurden. Es handelt sich um die Berichte „Giftige Exporte“ des Pestizid-Aktions-Netzwerks (PAN), „Lukrative Giftgeschäfte in Brasilien“ von Public Eye sowie Gefährliche Pestizide von Bayer und BASF“ von Inkota, Misereor, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der brasilianischen „Campanha Permanente“, einem Bündnis gegen Pestizide. Die drei Berichte befassen sich kritisch mit dem Problem der Doppelstandards im Pestizidhandel und bei den Geschäften der Chemiegiganten Bayer, BASF und Syngenta. Diese drei europäischen Unternehmen sowie die zwei US-Konzerne Corteva und FMC haben sich im Lobbyverband CropLife zusammengeschlossen. Laut der Recherche von Public Eye, einer entwicklungspolitischen Organisation aus der Schweiz, kontrollieren die fünf CropLife-Konzerne über 65 Prozent des globalen Pestizidmarkts, wobei 35 Prozent des Geschäfts mit Pestiziden gemacht werden, die als „hochgefährlich“ eingestuft sind. Deutlich über die Hälfte der Verkäufe solcher Pestizide finden in Ländern des globalen Südens statt, wo die oben erwähnten niedrigen Gesundheits- und Umweltstandards gelten.

Frankreich zeigt: Ein Verbot ist möglich

Die PAN-Liste hochgefährlicher Pestizide, die vom Pestizid-Aktions-Netzwerk regelmäßig aktualisiert wird, umfasst derzeit 310 Wirkstoffe. Dabei stellt die Einstufung als „hochgefährlich“ keine Erfindung von PAN dar, sondern folgt den Kriterien der Welternährungsorganisation FAO und fasst die von nationalen Behörden und internationalen Gremien vorgenommene Kategorisierung zusammen. Seit Jahren existiert ein von PAN initiierter Appell für ein weltweites Verbot der hochgefährlichen Pestizide. Viele der Pestizide in der Liste sind in der EU verboten. Doch selbst diese werden weiterhin produziert und in Länder exportiert, in denen geringere Sicherheitsstandards existieren und viele bei der Landarbeit keinen Zugang zu Schutzkleidung haben und über die Gefahren unzureichend informiert sind. Dass ein Exportverbot für solche bei uns verbotenen Pestizide sinnvoll wäre, steht also außer Frage.

Wie das Beispiel Frankreichs zeigt, ist ein solches Verbot durchaus möglich. Im Oktober 2018 wurde dort das „Allgemeine Ernährungsgesetz” (Etats généraux de l’alimentation) verabschiedet. Artikel 83 verbietet ab 2022 die Herstellung, Lagerung und den Vertrieb von Pestiziden, die Wirkstoffe enthalten, die in der EU „aus Gründen des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier oder der Umwelt … nicht zugelassen sind“. Damit ist ein Exportverbot ausgesprochen, denn was nicht produziert, gelagert oder vertrieben werden darf, kann man nicht exportieren.

Landwirtschaftsministerium könnte handeln

Auch hierzulande wäre es laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages möglich, den Export solcher Pestizide nach Paragraf 25 des Pflanzenschutzgesetzes „zur Abwehr erheblicher Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder sonstiger Gefahren“ zu verbieten. Die „erheblichen Gefahren“, die von diesen Pestiziden ausgehen, sind wissenschaftlich belegt, denn sonst wären sie nicht in der EU verboten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium müsste eine entsprechende Verordnung erlassen.

Nationale oder regionale Exportverbote sind wichtige Schritte zu einem globalen Verbot der hochgefährlichen Pestizide, so wie es der erwähnte Appell von nunmehr 564 Organisationen aus 111 Ländern fordert. Die Regierungen Frankreichs und Deutschlands sowie auch weiterer Länder können bei entsprechenden Verhandlungen über ein solches weltweites Verbot eine ganz andere Haltung einnehmen, wenn bei ihnen zu Hause ein solches Exportverbot bereits gilt.

Peter Clausing

Weitere Informationen:
www.pan-germany.org

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