Aus DER RABE RALF Dezember 2018/Januar2019, Seite 5
Die Gärten Berlins müssen als Gemeingüter erhalten werden. Ein Vorschlag aus dem Prinzessinnengarten
Dieser Sommer war der wärmste und trockenste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Bis in die Berliner Innenstadt drang der Geruch von Waldbränden. Gärten, Parks und Straßenbäume verfärbten sich gelb. Die ersten bäuerlichen Betriebe verklagen die Bundesregierung wegen der verfehlten Klimaziele. Zwölf Jahre gibt uns der Weltklimarat noch, um die schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe zu bannen. Und im Hambacher Forst üben Zehntausende Menschen den zivilen Ungehorsam. Sie wollen die Abholzung eines 12.000 Jahre alten Waldes durch den Kohlekonzern RWE verhindern und den Raubbau an unseren natürlichen Lebensgrundlagen stoppen, für den sinnbildlich die vom Braunkohleabbau hinterlassenen Mondlandschaften stehen.
Das sind nur einige Meldungen der letzten Wochen. Sie machen deutlich: Wir brauchen einen historisch beispiellosen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, um die Zerstörung der Biosphäre aufzuhalten. Aber wo anfangen?
Gärten machen Städte gerechter
Städte müssen eine Vorreiterrolle spielen. Stadtentwicklung kann sich nicht auf Bauen, Bauen, Bauen für eine „wachsende Stadt“ beschränken, stattdessen geht es um einen weitreichenden sozialen und ökologischen Stadtumbau. Dieser kann nur gemeinsam mit den Menschen gestaltet werden.
Eine Stärke Berlins ist die engagierte Zivilgesellschaft. Sie hat in der Vergangenheit erfolgreich Themen auf die politische Agenda gehoben: das Ende der Privatisierungspolitik, die Rekommunalisierung und eine gemeinwohlorientierte Boden- und Immobilienpolitik.
Im Bereich des städtischen Grüns stehen die 113 urbanen und interkulturellen Gärten beispielhaft für eine solche Stadtentwicklung von unten. Sicher, die Gärten werden die Welt nicht retten. Im Kleinen aber schaffen sie die Möglichkeit, sich aktiv selbst die Hände schmutzig zu machen und eine sozial und ökologisch gerechte Stadt mitzugestalten. Entgegen der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung von Räumen gestalten sie Orte des Gemeinschaffens. Sie tragen Sorge für die biologische Vielfalt und die Fruchtbarkeit der Böden. Sie schlagen Brücken zwischen der Stadt und der bäuerlichen Landwirtschaft im Umland, verbessern das Klima im Quartier und tragen zur Umweltgerechtigkeit bei. Sie fördern das nachbarschaftliche Miteinander und eine demokratische und vielfältige Stadtgesellschaft – was die AfD kürzlich dazu bewogen hat, vor dem Entstehen eines „neuen außerparlamentarischen Ackers“ zu warnen.
Auslaufmodell Zwischennutzung
All das geschieht bisher ohne echte politische Unterstützung. Der Status vieler urbaner Gärten bleibt deshalb unsicher. Schon das 2014 veröffentlichte Manifest „Die Stadt ist unser Garten“ hat auf die Diskrepanz zwischen dem Beitrag der Gärten für das Gemeinwohl und ihrer gleichzeitig völlig fehlenden Absicherung hingewiesen.
Für Berlin hat der Senat zwar angekündigt, die urbanen Gärten dauerhaft in der Stadt zu verwurzeln. Doch im jüngsten „Impulspapier“ für eine „Charta Stadtgrün“ werden sie weiterhin nur als „Zwischennutzungen“ betrachtet. Die akute Bedrohung von Projekten wie Himmelbeet und Prachttomate zeigt, was ein solcher Status für die Zukunft der urbanen Gärten bedeutet. Sie werden angesichts von Spekulation, Nachverdichtung und Flächenkonkurrenz zum Auslaufmodell erklärt.
Auch andere Formen von selbst geschaffenem Grün, vor allem die Kleingärten, geraten immer weiter unter Druck. Inzwischen setzen sich Investoren und immobilienwirtschaftliche Verbände dafür ein, sie sogar vollständig der Bebauung zu opfern.
Vorbild Dauerwaldvertrag
Spekulation, Wachstum und Bauwut bedrohen nicht erst seit gestern das Berliner Grün. Bereits 1904 setzte sich die erste Naturschutzbewegung gegen die „Wald-Schlächterei“ im Grunewald ein. Dies führte zum Abschluss des Dauerwaldvertrages, der Berlin bis heute zur waldreichsten Großstadt Europas macht. Seither musste das Grün in der Stadt immer wieder auch von unten aufgebaut, erkämpft und gesichert werden.
Die Kleingärten gehen zurück auf die Tausenden von „Pflanzern“, die Ende des 19. Jahrhunderts auf die durch Urbanisierung, Industrialisierung und Spekulation ausgelöste Krise mit dem eigenmächtigen Anbau von Gemüse reagierten. Es gäbe den Park am Gleisdreieck nicht ohne den jahrzehntelangen Widerstand gegen die geplante Stadtautobahn-Erweiterung Westtangente. 2014 war es ein Volksentscheid, der die Bebauung des Tempelhofer Feldes verhinderte. Auch der Mauerpark ist nur entstanden, weil Hunderte Berliner 1990 ungefragt begonnen hatten, den ehemaligen Grenzstreifen zu bepflanzen.
Über den Prinzessinnengarten am Kreuzberger Moritzplatz würden sich heute die Autolawinen wälzen, hätte sich nicht Ende der 70er Jahre ein breite Allianz aus Anwohnern, Instandbesetzerinnen und Planern erfolgreich gegen die berüchtigte „Kahlschlagsanierung“ zur Wehr gesetzt und den geplanten Autobahnbau durch die Oranienstraße verhindert. Sie haben damit Stadträume gerettet, die heute dem Gemeinwohl dienen. Aufbauend auf den Ideen der „behutsamen Stadterneuerung“ entstanden schon in den 1980ern Pläne, den Moritzplatz zum Modellquartier für eine ökologische Stadtentwicklung zu machen. Diese Ideen sind zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Heute ist angesichts der sozialen und ökologischen Krise ein zukunftsorientierter Stadtumbau dringender nötig denn je.
Gemeingut Prinzessinnengarten
Das mag einigen wie die Phantasien „grüner Spinner“ vorkommen. Doch auch als wir 2009 am Moritzplatz behaupteten: „Unter dem Pflaster wächst der Garten!“, hieß es zunächst: „Ihr Träumer.“ Tausende helfende Hände haben seitdem eine zugemüllte Brache in eine „konkrete Utopie“ verwandelt. Der Traum schien 2012 beendet, als der Berliner Liegenschaftsfonds im Auftrag des Senats beschloss, die Fläche – wie schon mehrere tausend zuvor – meistbietend an einen Investor zu verkaufen. Es folgte eine Welle der Solidarität. Mehr als 30.000 Unterstützungserklärungen ermöglichten dem Prinzessinnengarten zunächst eine Verlängerung des Mietvertrages. Der Bezirk hat sich für einen langfristigen Erhalt ausgesprochen.
Während heute rund um den Moritzplatz die letzten Freiflächen für hochpreisige Immobilien zubetoniert werden, versuchen wir diesen vor dem Markt geretteten Ort dauerhaft dem Gemeinwohl zu widmen. Wöchentlich treffen wir uns in der Commons-Abendschule und haben mit dem Verein Common Grounds die „Wunschproduktion 99 Jahre Prinzessinnengarten“ gestartet. Gemeinsam mit der Nachbarschaft wollen wir diesen gemeinsam geschaffenen, einmaligen Ort über Generationen hinweg als Gemeingut sichern. Er ist für uns auch ein Symbol für die Zukunft des selbstorganisierten und gemeinwohlorientierten Grüns in unserer Stadt.
Wir brauchen Räume für Gärten, in denen wir zusammenkommen, voneinander lernen, die Natur erfahren und uns um unsere Nachbarschaften kümmern. Um diese Räume dauerhaft dem Markt und der Bebauung zu entziehen, die bestehende Gärten zu erhalten und neue zu schaffen, schlagen wir einen Dauergartenvertrag für Berlin vor – als ersten Schritt zu einem sozial-ökologischen Stadtumbau, der den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird.
Marco Clausen
Der Autor ist Mitgründer des Prinzessinnengartens am Moritzplatz und der Nachbarschaftsakademie und Mitglied im Verein Common Grounds.
Weitere Informationen: „Gemeingut Grün – Ein Dauergartenvertrag für Berlin“ von Marco Clausen und Kerstin Meyer, www.zku-berlin.org/publishing
Tel. 0179-7313995, E-Mail: mc@prinzessinnengarten.net