Aus DER RABE RALF Oktober/November 2020, Seite 14
Chromera velia ist die Alge des Jahres 2020
Die „Natur des Jahres“ umfasst eine Reihe ganz unterschiedlicher Tiere, Pflanzen und Lebensräume, die jedes Jahr von verschiedenen Institutionen ausgewählt werden – vor allem zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit und des Biotop- und Artenschutzes. Auch dieses Jahr wurden wieder etliche Plätze auf der mittlerweile unglaublich vielfältig gestalteten Liste ausgefüllt. Der Rabe Ralf hat einige vorgestellt. Während die Aufmerksamkeit dabei meist auf den bekannten Kategorien wie Baum oder Vogel des Jahres liegt, lohnt es sich, auch den unbekannteren Kategorien Beachtung zu schenken, in diesem Fall der nur einige Mikrometer großen Alge Chromera velia, die von der Deutschen Botanischen Gesellschaft zur Alge des Jahres 2020 ernannt wurde.
Verwandte des Malaria-Erregers
Die im Great Barrier Reef vor der australischen Ostküste vorkommende einzellige Alge kann – anders als ähnliche Algen – überleben, ohne eine dauerhafte Symbiose mit Korallen einzugehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Chromera velia überhaupt keine Beziehungen mit Korallen eingeht. Unter Laborbedingungen wurde beobachtet, wie Chromera velia sich mit einer Koralle verbindet – diese Verbindung dann aber einige Tage später wieder auflöst. Die Gründe dafür und die genaue Beziehung zwischen Chromera velia und Koralle konnten bis jetzt noch nicht geklärt werden.
Deutlich mehr weiß man über die verwandtschaftlichen Verhältnisse der Chromera velia. Wissenschaftler waren nämlich in der Lage, mithilfe des genetischen Fingerabdrucks von Chromera velia eine Verbindung zur Gruppe der einzelligen Apicomplexa herzustellen, zu der auch die parasitären Erreger von Malaria und Toxoplasmose gehören. Chromera velia ist die nächste bekannte Verwandte dieser beiden Erreger und könnte dabei helfen, Therapien gegen Krankheitserreger dieser Art zu finden. Dabei sind besonders die Chloroplasten interessant, in denen bei den Algen die Photosynthese stattfindet und die bei den Parasiten noch in reduzierter Form vorhanden sind. Sie sind ein potenzielles „Angriffsziel“ für neue Medikamente, da der menschliche Wirt in seinen Zellen keine Chloroplasten besitzt.
Unbeantwortete Fragen
Doch es gibt noch weitere Fragen, die bisher nicht beantwortet werden konnten. Warum geht Chromera velia Beziehungen mit Korallen ein, nur um diese wieder aufzulösen? Ist die Beziehung symbiotisch oder parasitär? Wieso haben sich aus Algen, die selbst Photosynthese nutzen können, einzellige Parasiten entwickelt, die zum Überleben auf einen Wirt angewiesen sind?
Auf jeden Fall sollte nun klar sein, dass es sich bei Chromera velia trotz ihrer mikroskopisch kleinen Größe um ein äußerst faszinierendes Kleinstlebewesen handelt, welches unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse verdient.
Fabio Micheel
Weitere Informationen:
www.dbg-phykologie.de
Tel. 00420 / 387775464