Foto, Schere, Papier

Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2020, Seite 14/15

Eine virtuelle Ausstellung erinnert an den Meister der Fotomontage John Heartfield

Von Heartfield für die Reichstagswahlen 1928 gestaltetes KPD-Plakat in Berlin. (Foto: Georg Pahl/​Aktuelle-Bilder-Centrale/​Bundesarchiv/​Wikimedia Commons)

Hitler als Hampelmann, eine weiße und eine schwarze Faust, eine aufgespießte Friedenstaube – die Fotomontagen von John Heartfield sind Ikonen politischer Kunst. Es sind Motive, über deren Aussagen man nicht lange grübeln muss, denn sie sind eindeutig und beziehen Position. Trotzdem sind sie nicht platt. Diese Kunst wurde nicht dafür gemacht, in Museen zu verstauben, sondern um massenhaft vervielfältigt und verbreitet zu werden, ob in Zeitungen oder an Litfaßsäulen. Heartfield wollte die Massen erreichen und wäre wahrscheinlich von den Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung und des Internets begeistert gewesen.

Kosmos Heartfield“

Im März hätte die große John-Heartfield-Ausstellung „Fotografie plus Dynamit“ in der Berliner Akademie der Künste eröffnen sollen – dann kam Corona. Zum Glück kann man sich ganz unverstaubt und von zuhause aus in die virtuelle Ausstellung „Kosmos Heartfield“ begeben. Die Seite www.johnheartfield.de ist optisch ansprechend gestaltet und orientiert sich stilistisch an den Collagen Heartfields. Die inhaltliche Aufteilung in fünf Kapitel ist angelehnt an ein Motiv Heartfields: eine Hand mit fünf abgespreizten Fingern.

Heartfield kam am 19. Juni 1891 als Helmut Herzfeld in Schmargendorf bei Berlin zur Welt. Während seiner Buchhändlerlehre in Wiesbaden wuchs sein Interesse an der Malerei. In einer Tonband-Aufnahme erzählt der gealterte Heartfield mit verschmitzter Stimme, wie er einst die acht Dackel eines Zeichenlehrers Gassi führte, um seinem Ziel näherzukommen. Sein Talent blieb nicht unentdeckt und er lernte an den Kunstgewerbeschulen München und Berlin. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde Helmut Herzfeld in das deutsche Heer eingezogen. Dem überzeugten Kriegsgegner gelang es jedoch 1915 durch das Vortäuschen einer Nervenkrankheit entlassen zu werden.

Dada in Berlin

Das einzig Gute an seinem Militärdienst war die Begegnung mit Georg Groß. Aus Protest gegen den anti-englischen Nationalismus änderten die beiden Freunde kurzerhand ihre Namen – John Heartfield und Georg Grosz waren geboren. Nicht nur politisch wurde Heartfield von nun an radikaler, sondern auch künstlerisch. Er verbrannte seine Gemälde und wurde Mitbegründer der Berliner Dada-Szene. Seine bevorzugte Ausdrucksform, die Fotomontage, war eine neue und revolutionäre künstlerische Technik. Seine Montagen zierten Buchumschläge, Plakate und Zeitschriften. Besonders wichtig war die Zusammenarbeit mit seinem Bruder Wieland Herzfelde, der 1916 den linken Malik-Verlag gründete. Regelmäßig wurde seine Arbeit Opfer staatlicher Zensur.

Antifaschismus und Exil

Aus seinen kommunistischen Überzeugungen machte Heartfield keinen Hehl. Gleich mit Gründung der KPD 1919 wurde er Parteimitglied. Seit 1930 fertigte Heartfield Titelbilder und Illustrationen für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (A-I-Z) an, die zeitweise eine Auflage von einer halben Million Exemplaren erreichte. Viele seiner bekanntesten antifaschistischen Montagen erschienen in der A-I-Z. Doch egal wie provokant, witzig und intelligent Heartfields Satire gegen Hitler und seine Steigbügelhalter aus Politik und Wirtschaft auch war, sie konnten seine Mitmenschen nur warnen. Sie konnten nicht verhindern, dass die Nazis die Macht an sich rissen.

Heartfield floh 1933 durch einen Sprung aus seinem Fenster vor SS-Schergen. Zuflucht fand er in Prag, wo er fünf Jahre lang blieb. Ab 1938 war er in England im Exil. Für einen „enemy alien“ (feindlichen Ausländer) war es schwierig, überhaupt eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, geschweige denn Kunst zu machen. Er engagierte sich im Freien Deutschen Kulturbund in Großbritannien und setzte sich weiter für seine antifaschistischen Ideale ein.

Leider noch aktuell“

1950 kehrte Heartfield nach Deutschland in die junge DDR zurück. Hier schlug ihm anfangs Misstrauen entgegen, da er im Westen im Exil gewesen war. Vor allem seinem Freund Bertolt Brecht war es zu verdanken, dass Heartfield wieder künstlerisch und politisch Anschluss finden konnte. Die Gestaltung von Bühnenbildern wurde ein wichtiges Standbein für Heartfield. Erst 1956 wurde es ihm gestattet, in die SED einzutreten und Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu werden. Unter dem Motto „Leider noch aktuell“ wurden seine Arbeiten in den 1960er Jahren in ganz Europa und auch in West-Deutschland ausgestellt. Heartfield starb 1968 in Ost-Berlin. Im letzten Kapitel der Website findet man Informationen zum Nachlass und aktuellen Projekten.

Ausstellung macht Lust auf mehr

Die von Anna Schultz konzipierte und von Christian Stampfl umgesetzte virtuelle Ausstellung gibt einen sehr guten Einblick in das Leben und Werk des Künstlers und macht Lust auf mehr. Für das beste Nutzererlebnis sollte man die Seite im Vollbildmodus nutzen. Die Texte können auch auf Englisch angezeigt werden. Das Ausstellungsteam nutzt die Möglichkeiten des Mediums gut aus, ohne zu viel Schnickschnack einzubauen. So lassen sich beispielsweise einzelne Kunstwerke anklicken. Auf den Unterseiten lernt man dann mehr über Entstehung und Bedeutung der Fotomontagen und kann das Original mit der späteren Druckversion vergleichen. Einziges Manko dabei: Man kann die Motive nicht vergrößern, so dass einem kleine Details wie die Bleistiftnotizen am Bilderrand durch die Lappen gehen.

Wer noch tiefer in das Werk Heartfields einsteigen möchte oder einfach neugierig geworden ist, was auf diesen ganzen Bildrändern steht, wird auf der Seite heartfield.adk.de fündig. Hier öffnet die Akademie der Künste ihr Archiv. Für den Katalog des grafischen Nachlasses wurden tausende Werke digitalisiert – ein riesiger Schatz, der zum Stöbern einlädt.

In der realen Welt ist „Fotografie plus Dynamit“ vom 2. Juni bis zum 23. August in der Akademie der Künste am Pariser Platz zu sehen. Begleitend zur Ausstellung ist ein umfangreicher Überblicksband im Hirmer-Verlag erschienen.

Sarah Buron

Online-Ausstellung „Kosmos Heartfield“:
www.johnheartfield.de

Katalog des grafischen Nachlasses von John Heartfield:
www.heartfield.adk.de

Ausstellung „Fotografie plus Dynamit“ in der Akademie der Künste:
www.adk.de/heartfield
Tel. (030) 200570


Ausflugstipp: Heartfield-Haus

Heartfield-Haus in Waldsieversdorf. (Foto: Häven/​Wikimedia Commons)

Nicht weit von Berlin entfernt liegt der Sommerwohnsitz von John Heartfield in Waldsieversdorf. Es war Bertolt Brechts Idee, sich in der Märkischen Schweiz nach einem ruhigen Refugium umzusehen. Seiner Auffassung nach machte sich der herzkranke Heartfield nämlich viel zu viel Stress: „Lieber Johnny, eigentlich müssten Deine Freunde mit Dir ganz andere Saiten aufziehen. Es scheint Dir nachgerade zur Gewohnheit zu werden, sie durch die Folgen Deines unqualifizierbaren Herumrasens in Schrecken und wirklichen Kummer zu versetzen. Stop that, young man!“, schrieb er ihm im Dezember 1952.

Das Heartfield-Haus ist von Mai bis Oktober an den Wochenenden geöffnet. Vom Berliner Ostkreuz erreicht man in 40 Minuten die Station Müncheberg. Dann sind es noch drei Kilometer bis Waldsieversdorf, die man bequem zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen kann. Im Sommerhalbjahr fährt außerdem eine historische Schmalspurbahn. Der Freundeskreis John Heartfield Waldsieversdorf e.V. hat das kleine Holzhaus restauriert und einen Erinnerungs- und Begegnungsort geschaffen. Das Kaminzimmer ist mit vielen Mitbringseln und Objekten originalgetreu eingerichtet worden. Außerdem gibt es wechselnde Ausstellungen und Veranstaltungen.

Sarah Buron

Weitere Informationen:
www.heartfield.de

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