Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2020, Seite 8
Vom Paradiesgärtlein zum Grünen Klassenzimmer: Die Renaissance des Lernorts Schulgarten
Blumenkohl, Weißkohl, Möhren – einst brachte er als Schüler in Alt-Marzahn die reichhaltige Ernte aus dem Schulgarten mit nach Hause und erinnert sich heute an die angenehme Atmosphäre dort. Nun ist Martin Hildebrand selbst Lehrer und einer der Verantwortlichen des Schulgartens in der Grundschule an der Geißenweide. Anfangs lief der Aufbau schleppend, doch inzwischen hat sich um ihn und seine Kollegin und Projektinitiatorin Christine Hoppe ein fünfköpfiges Kernteam gefunden, es gibt einen E-Mail-Verteiler und mittlerweile zwei Schulgarten-Standorte sowie Pläne, weitere Flächen zum naturnahen Erlebnisraum umzugestalten.
„Nun ist Schwung in der Sache, alle engagieren sich, gießen mal, steuern ausrangierte Spaten bei“, freut sich der Grundschullehrer. Ein Vater habe sogar die Pflastersteine für die neuen Hochbeete mitten auf dem Schulhof gelegt. Dank vieler, auch ehrenamtlicher, Arbeit und der Hilfe vom Bildungsprogramm „Gemüseackerdemie“ stecken nun die ersten Setzlinge in den neuen Beeten. Es lohnt sich, so der Lehrer über den Schulgarten: „Die Kinder kommen mal raus und können gemeinschaftlich was erleben, und das Gemüse, das man mit eigenen Händen großgezogen hat, das schmeißt man nicht weg.“
Lernen mit Kopf, Herz und Hand
Schon sehr früh wurde die Bedeutung von Schulgärten erkannt. Bereits 1663 sprach der Ulmer Architekt Joseph Furttenbach vom „Paradiesgärtlein“ und meinte einen Schulgartenplan. Der erste Berliner Schulgarten entstand 1747 an der Königlichen Realschule in der Kochstraße. Während die Schulgärten anfangs vor allem Anschauungsmaterial für den Naturkundeunterricht und für Herbarien lieferten, betrachteten die Reformpädagogen wie Heinrich Pestalozzi und Maria Montessori den Garten auch als Ort zum ganzheitlichen Lernen mit „Kopf, Herz und Hand“.
Hier knüpfte der Berliner Lehrer und SPD-Abgeordnete August Heyn 1919 mit dem Vorschlag zur Gründung einer Gartenarbeitsschule an: „Vom Gartenunterricht verspreche ich mir außerordentlich viel. Gerade dadurch, dass alle Sinne angespannt werden, kann durch die direkte Berührung des Kindes mit dem Stoff das Wissen dem Kinde viel inniger vermittelt werden. Solch innerlich erlebter Stoff löst natürlich wiederum selbständiges Denken und selbständiges Handeln aus.“
Die Worte von damals erinnern schon an die heutigen Ziele der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Hierbei geht es um das Erlernen von Gestaltungskompetenzen und Lebensstilen für eine nachhaltige Zukunft: Verantwortungsbewusstsein, vorausschauendes Handeln, interdisziplinärer Erkenntniserwerb und gemeinschaftliches Planen können unmittelbar im Schulgarten erlebt und erlernt werden. So kann ein Schulgarten ein „Reallabor“ für nachhaltige Entwicklung und ein praktischer Lernort für Themen wie biologische Vielfalt, Ernährung, Klimawandel, Konsum und Ressourcenverbrauch sein.
Das Beispiel der Grundschule an der Geißenweide ist nur eines von vielen. Im ganzen Bezirk Marzahn-Hellersdorf und darüber hinaus werden alte Schulgartenflächen wieder zu neuem Leben erweckt oder Brachen urbar gemacht. In dem Stadtbezirk mit seinen teils weitläufigen Schulflächen haben knapp 30 der 46 Schulen noch oder wieder einen Schulgarten.
Unterstützung für Schul- und Nachbarschaftsgärten
Aufschwung in etliche Planungen hat das Projekt „Integrierte urbane Gärten“ der Grünen Liga Berlin gebracht. Aus Mitteln des Bundesprogramms „Soziale Stadt“ und des Bezirksamts gefördert, unterstützt es die Schulgartenprojekte mit praktischer und fachlicher Hilfe, Weiterbildung und Vernetzung. „Am Anfang steht immer die Begeisterung und die Überzeugung einzelner Lehrerinnen und Lehrer, aber es ist erstaunlich, was dann alles möglich ist“, sagt Projektleiterin Nina Fuchs. Mitunter lernen die Lehrkräfte quasi zusammen mit den Schülern und Schülerinnen, manche bringen aus privaten oder beruflichen Zusammenhängen Gartenwissen mit. So verschieden die Startbedingungen und Erfahrungen, so vielfältig sind dann auch die Schulgärten, die entstehen.
Das Grüne-Liga-Projekt fördert Aufbau und Weiterentwicklung von Schulgärten an Kitas und Schulen und von Nachbarschaftsgärten im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Dabei können Erde, Baumaterialien und Werkzeuge, Hochbeete oder Pflanzen angeschafft werden. An vielen Schulen entstanden so neue Schulgärten und „Grüne Klassenzimmer“ für den anschaulichen Unterricht, Hochbeete wurden getischlert oder von Schülern unter fachkundiger Anleitung gezimmert und kubikmeterweise wurde Erde in Beete geschippt.
Um die begeisterten Lehrerinnen oder Erzieher mit Wissen zu versorgen, entstand die Veranstaltungsreihe „Fortbildungs- und Netzwerktreffen Schulgärten“. Hierzu lud das Projekt im vergangenen April zum siebten Mal ein, diesmal zum ersten digitalen Netzwerktreffen „Der Garten im Klimawandel“. „Ich bin überrascht, wie trotz Notbetreuung an einigen Schulen sogar gerade viel mehr als sonst im Schulgarten passiert“, sagt Nina Fuchs nach Telefonaten mit Lehrerinnen und Lehrern.
Gartenwettbewerb in Marzahn-Hellersdorf
Das Engagement für grüne Lern- und Begegnungsorte zu würdigen und sichtbar zu machen ist auch ein Ziel des Gartenwettbewerbs 2020, den die Grüne Liga Berlin unter der Schirmherrschaft von Bezirksstadträtin Nadja Zivkovic gemeinsam mit dem Umweltamt Marzahn-Hellersdorf organisiert. Unter dem Motto „Gemeinsam gärtnern für die Vielfalt“ sind alle Kleingärten, Schul- und Kitagärten, Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten im Bezirk zur Teilnahme eingeladen. Gesucht werden Gärten oder Gartenkonzepte, die Angebote für mehr Vielfalt schaffen, sei es durch vielfältige Lebensräume für Flora und Fauna oder durch Angebote wie Gießpatenschaften oder Kreativ- und Sportkurse. „Wir sind schon sehr gespannt auf vielfältige Einsendungen“, heißt es bei den Organisatoren.
Rebecca Lange
Information und Beratung rund um das Thema Schulgarten:
www.bag-schulgarten.de
www.gruen-macht-schule.de
www.gemueseackerdemie.de
www.urbanegaerten.grueneliga-berlin.de
Tel. (030) 4433910