Utopien im Geisterdorf

Aus DER RABE RALF Oktober/November 2018, Seite 4

Beim Klimacamp Leipziger Land wurde über das gute Leben für alle diskutiert

„Tuba Libre“ aus Weimar auf dem Pödelwitzer Dorffest. (Foto: Leonhard Lenz)

Mitten zwischen den Löchern des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain südlich von Leipzig liegt ein kleines Dorf. In der Nacht hört man hier das Dröhnen der Bagger und Förderbänder. Von den über 100 Einwohnern sind nur noch 26 übrig geblieben. Die meisten haben ihre Häuser bereits an die Mibrag, die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft verkauft. Denn auch, wo heute noch das Dorf Pödelwitz liegt, soll ein Loch entstehen, aus dem Braunkohle für das nahegelegene Kraftwerk Lippendorf geholt wird.

Die verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohner wehren sich jedoch dagegen, dass ihre Häuser dem schmutzigsten und klimaschädlichsten Energieträger geopfert werden. Um ihrem Kampf gegen die Braunkohle Nachdruck zu verleihen und neben der lokalen auch die globale Komponente der Braunkohleverbrennung zu betrachten, luden sie das Klimacamp in ihr Dorf ein.

In den mittlerweile in ganz Europa stattfindenden Klimacamps trifft sich seit mehreren Jahren die Klimagerechtigkeitsbewegung zum Austausch und zu Aktionen. Es finden Diskussionen, Workshops und zum Ende meist auch direkte Aktionen statt. Dabei sind die Camps selbstorganisiert und werden auch von den Teilnehmenden am Laufen gehalten, vom Abwasch bis zum Reinigen der Kompostklos.

Mehrere Tausend Aktive hatten im vergangenen Jahr am Klimacamp im Rheinland in der Nähe des Tagebaus Garzweiler teilgenommen. In der Lausitz fuhr damals nur ein Mobiles Camp mit Fahrrädern um Cottbus und den nahegelegenen Tagebau Jänschwalde herum. Im Jahr zuvor hatte es hier aufsehenerregende Blockadeaktionen beim Lausitzcamp gegeben. Zu dem ersten Camp im Leipziger Land kamen nun fast tausend Menschen nach Pödelwitz. 

Ein Dorf wird wiederbelebt

Die Zelte wurden in Gärten aufgeschlagen, die von den widerständigen Dorfbewohnern zur Verfügung gestellt wurden. So entstand im wimpelgeschmückten Dorf ein großer Campingplatz. Direkt am Dorfplatz wurden Duschen aufgestellt, und die Bushaltestelle wurde zur Bastelecke. Neben der Kirche entstand eine Open-Air-Holzwerkstatt, das Werkzeug wurde in der alten Feuerwache gelagert. Auf zwei großen Äckern am Dorfrand wurde ein großes Versammlungszelt aufgebaut, rund herum viele kleinere für alle möglichen Zwecke. Hinter einer Hecke standen die Kompostklos, mit Blick auf das Werksgelände der Mibrag.

Das ganze Dorf fordert: „Stopp Kohle – jetzt!“ (Foto: Leonhard Lenz)

Vor Beginn der Campwoche mit ihren vielfältigen Workshops und Kursen wurde am Sonntag ein Dorffest gefeiert. Bei einem kulturellen Programm tauschte sich die Dorfbevölkerung von Pödelwitz und Umgebung mit den Camp-Aktiven aus oder betätigte sich an den Bastelständen.

Am Nachmittag begann das eigentliche Camp-Programm mit einem Auftaktpodium: „Es geht doch (nicht) nur um Kohle!“ Diskutiert wurde, ob und wie der hiesige Kohle-Widerstand, dem es vor allem um den Verlust der Heimat geht, mit Aktivisten in Ländern des globalen Südens wie Bangladesch zusammenarbeiten kann, die meist deutlich schwierigere Ausgangsbedingungen haben. Eine zweite Frage war, inwieweit sich dieser Widerstand mit den Ideen einer sozial-ökologischen Transformation identifizieren kann.

Neben den mehrtägigen Kursen der wachstumskritischen Degrowth-Sommerschule fanden die ganze Woche über Workshops und Podien statt. Intensiv wurde über die verschiedenen Aspekte der sozial-ökologischen Transformation diskutiert.

„Degrowth“ und „sozial-ökologische Transformation“

Hinter „Degrowth“ und „sozial-ökologischer Transformation“ steckt zunächst ein ganz einfacher Gedanke: Durch unser wachstumsorientiertes Wirtschaftssystem werden die natürlichen Ressourcen in einem Maße ausgebeutet, wie es nicht dauerhaft möglich ist. Eigentlich ist es schon heute nicht mehr möglich, die Probleme werden aber in andere Länder oder in die Zukunft verlagert. Von der Nutzung der Ressourcen profitieren nur wenige Menschen vor allem in den Industriestaaten. Um ein gutes Leben für alle Menschen zu ermöglichen, gibt es verschiedenen Konzepte, die alle eine Schrumpfung der ressourcenintensiven Wirtschaftszweige vorsehen. Sie werden unter Begriffen wie „Degrowth“ oder „Postwachstum“ zusammengefasst.

Um das zu erreichen, ist eine sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft nötig. Der Begriff umfasst deutlich mehr als die Konzepte von einer schrumpfenden Wirtschaft. Er soll verdeutlichen, dass sich nicht nur die Nutzung der Ressourcen ändern muss, sondern auch das soziale Zusammenleben der Menschen. Einigen in der Bewegung ist der Begriff Transformation zu weich und sie reden lieber von einer Revolution.

Die Klimacamp-Workshops hatten ein sehr breites Themenspektrum von der Montage einer Kleinstsolaranlage über Diskussionen zu ökologischem Feminismus bis hin zur sicheren Kommunikation auf aktivistischen Aktionen. Ein Workshop beschäftigte sich mit der Frage, ob die Digitalisierung förderlich für die Transformation sein kann oder ob sie diese eher behindert. Dabei ging es neben dem offensichtlichen Ressourcenverbrauch für die digitale Technik auch darum, dass sie, etwa durch Werbung, zu mehr Konsum führen kann. Gleichzeitig wurden der Digitalisierung aber auch große Chancen für die Partizipation und die internationale Vernetzung von Bewegungen eingeräumt – oder auch, um für einen bewussteren Umgang mit der Umwelt zu werben.

Für die vegane Beköstigung des Camps sorgte die „Fläming Kitchen“ aus Brandenburg. Hierfür schnippelte ein Dutzend Freiwilliger kiloweise Gemüse – den ganzen Tag über.

Auf die Straße

Nachdem es bereits am ersten Camptag, einem Samstag, eine Demonstration durch die Leipziger Innenstadt gab, wurden – wie bei Klimacamps üblich – für den darauffolgenden Samstag Aktionen geplant. Koordiniert durch das Bündnis „Kohle erSetzen“, setzten sich etwa 350 Aktivistinnen und Aktivisten vor die Einfahrten des nahegelegenen Kraftwerks Lippendorf und blockierten so sämtliche Zugänge. Nach mehreren Stunden räumte die Polizei die Sitzblockaden, während daneben angemeldete Mahnwachen stattfanden. Zeitgleich fuhr eine Fahrraddemo rund um den Tagebau.

In den Tagen vor dem Klimacamp hatten die Bergbaugewerkschaft IG BCE und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer vor „linksextremen Krawallmachern“ gewarnt. Kretschmer sagte seine Teilnahme an einer Podiumsdiskussion mit der Begründung ab, die Initiatoren hätten eine gemeinsame Erklärung und ein klares Bekenntnis zu friedlichem Protest verhindert. Die Camp-Vorbereitungsgruppe antwortete in einem offenen Brief, Gewalt gehe nicht vom Klimacamp aus, sondern von einem Wirtschaftssystem, das durch die Kohleverbrennung den Klimawandel anheizt – der wiederum zum Anstieg von Extremwetterereignissen führt, die vielen Menschen die Lebensgrundlage entreißen. Von der herbeigeredeten Gewalt war bei den Blockaden allerdings nichts zu spüren, die meisten lösten sich sogar von selbst auf.

Nach den gelungenen Aktionen konnte zum Abschluss noch einmal gefeiert werden, in der Hoffnung, dass im nächsten Jahr vielleicht nur eine Feier und kein Protest mehr nötig ist.

Leonhard Lenz

Weitere Informationen:
www.klimacamp-leipzigerland.de


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