Aus DER RABE RALF August/September 2020, Seite 4
Wie aus CO₂-Quellen Senken werden: Klimaschutz durch Moorrenaturierung in Berlin
Maisäcker, Vogelschlag durch Windräder, für Wasserkraftwerke verbaute Flussläufe – aus Sicht der Naturschützer hat die deutsche Klimapolitik einige fatale Nebenwirkungen. Doch Klima- und Naturschutz müssen nicht zwangsläufig in einem Zielkonflikt stehen. Zunehmend setzt sich die Einsicht durch, dass natürliche Ökosysteme wie Wälder, Moore und Graslandschaften enorme Mengen CO₂ speichern – und dass ihr Schutz oder ihre Wiederherstellung eine wirksame Klimaschutzmaßnahme darstellt.
Moore sind größere CO₂-Senken als Wälder
Die wohl größten Kohlenstoffsenken des Planeten sind die Moore. Weltweit enthalten sie doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen, obwohl diese zehnmal mehr Fläche einnehmen. Leider befinden sich die Feuchtgebiete häufig in katastrophalem Zustand.
In Deutschland ist nur noch ein Prozent der ursprünglichen Moorfläche wirklich intakt. Wo einst Torfmoos wuchs und Nebel waberten, bestellen heute Landwirte den Boden.
Mit der Entwässerung geht nicht etwa nur die CO₂-Speicherfähigkeit des Moors verloren – im Gegenteil: Im trocken gefallenen Moorboden zersetzt sich das organische Material allmählich, und die ehemalige Senke verwandelt sich in eine kräftig sprudelnde CO₂-Quelle. Allein in Deutschland stoßen entwässerte Moore jedes Jahr doppelt so viel CO₂ aus wie ein großes Braunkohlekraftwerk.
„Wer ein Glas Milch von einer entwässerten Moorwiese trinkt, kann genauso gut ein Glas Benzin verbrennen“, sagt Hans Joosten von der Universität Greifswald. Joosten ist ein lautstarker Verfechter der Moorrestaurierung. Er fordert, trockengelegte Moorböden in großem Stil wiederzuvernässen, um die CO₂-Quellen wieder in Senken zu verwandeln.
Eine Win-win-Situation, denn von den großflächig wiederhergestellten Feuchtgebieten würden auch viele Tierarten und seltene Pflanzen profitieren – und natürlich menschliche Naturliebhaber. Da gesunde Moore wie gewaltige Filter wirken, sänke zudem die Nitratbelastung des Grundwassers.
Bestandsaufnahme der Berliner Moore
Vielerorts haben Naturschützer bereits Projekte zur Moorrenaturierung in Angriff genommen. So engagiert sich die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe bei der Moorsanierung im Biesenthaler Becken nordöstlich von Berlin. In der Hauptstadt selbst hat die Stiftung Naturschutz Berlin die Moore Kleine Pelzlaake und Krumme Laake südlich des Müggelsees renaturiert – als Ausgleich für Flugreisen Berliner Landesbediensteter. Bislang sind die Bemühungen insgesamt aber viel zu kleinräumig, um das Klima nennenswert zu entlasten.
Wissenschaftler von der Humboldt-Universität haben eine Bestandsaufnahme aller Berliner Moore vorgenommen und für jedes Gebiet Entwicklungsziele vorgeschlagen. Ihr betrübliches Ergebnis: Von einst 2.900 Hektar Moor, die zu Beginn des 20. Jahrhundert existierten, sind nur noch 740 Hektar übrig – und ein erheblicher Teil davon sitzt mehr oder weniger auf dem Trockenen. Die größte zusammenhängende Fläche sind die Gosener Wiesen ganz im Südosten Berlins, weitere bedeutende Areale haben sich im Tegeler Fließtal, im Grunewald und im Naturschutzgebiet Bogenseekette in Buch erhalten. Allein in den Gosener Wiesen in Müggelheim sind 150.000 Tonnen Kohlenstoff gespeichert, davon drohen wegen der teilweisen Entwässerung 24.000 Tonnen freigesetzt zu werden.
Renaturierung kann brachial anmuten
Gegenmaßnahmen wären also dringend angezeigt. Der Managementplan des Senats für Moore in FFH-Gebieten, die nach der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützt sind, liegt noch immer nicht vor. „Moorrenaturierung auf größeren Flächen ist in einer dicht besiedelten Region wie Berlin schwierig“, gibt Justus Meißner von der Stiftung Naturschutz Berlin zu bedenken, die derzeit nach einem neuen Projektgebiet sucht. In der Praxis wirft die Moor-Reparatur allerlei Probleme auf: Flächen befinden sich in Streubesitz, so dass sich die Eigentümer schwer ermitteln lassen, Pferdehalter wollen ihre Weiden nicht überschwemmt sehen, Bürger protestieren gegen die Rodung von Bäumen.
Tatsächlich kann die Renaturierung zunächst brachial anmuten. Häufig müssen Bäume entfernt werden, da ihre durstigen Wurzeln den Boden austrocknen. In der östlichen Krummen Laake wurden die Stubben sogar mit einem Bagger herausgezogen (Titelfoto), weil sie die natürliche Entwicklung des Moors behinderten. In der Kleinen Pelzlaake wiederum war es nötig, einen artenarmen Bestand aus Pfeifengrashorsten abzuplaggen, also auszustechen. Das Ergebnis solcher Eingriffe sieht zunächst nicht hübsch aus, doch schnell erobern Torfmoos, Wollgras und Sonnentau die entblößten Flächen zurück.
Berlin verletzt Naturschutzrecht
Die momentan größten Feinde der Berliner Moore sind die Trockenheit der letzten Jahre und der Durst der Großstadt. Noch immer entnehmen die Wasserwerke stellenweise mehr Grundwasser, als es den verbliebenen Mooren guttut. Paradoxe Folge: Statt dass trockengelegte Flächen wiedervernässt werden, drohen die verbliebenen Moore weiter auszutrocknen. Zwar gelten in den FFH-Gebieten Mindestwasserstände, die nicht unterschritten werden sollten, dennoch ist der Pegel in den letzten Sommern wiederholt unter die kritische Marke gesunken. Denn verbindlich vorgeschrieben sind lediglich übers Jahr gerechnete Fördermengen. Damit verstößt Berlin gegen die FFH-Richtlinie, nach der sich der Erhaltungszustand geschützter Lebensräume und Arten nicht verschlechtern darf.
Außerhalb der Berliner Landesgrenzen sind es vor allem die Interessen der Landwirtschaft, die eine Moorwiedervernässung in größerem Ausmaß blockieren. Immerhin sieben Prozent der deutschen Agrarfläche sind entwässerte Moore – die aber verursachen mehr als ein Drittel der CO₂-Emissionen aus dem gesamten Sektor Landwirtschaft.
„Moorsünder“ Nummer eins
Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte die sogenannte Paludikultur sein, die Landwirtschaft auf nassem Grund. Mögliche Erzeugnisse sind nachhaltig angebautes Torfmoos für die Gemüsekultur, Schilf und Rohrkolben für Dämmplatten und Biomasse, Holz von Erlen. Derart genutzte Moore sind für Artenschützer zwar weniger attraktiv als nährstoffarme Hochmoore mit ihrer einzigartigen Flora und Fauna, allemal jedoch wertvollere Habitate als intensiv bewirtschaftete Äcker und Wiesen.
Um die Klimaziele von Paris einzuhalten, rechnet Hans Joosten vor, müssten bis 2050 weltweit 500.000 Quadratkilometer Moor wiedervernässt werden. Deutschland kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Nach Indonesien hat kein Staat mehr Moore entwässert als die EU, und innerhalb der EU ist Deutschland Moorsünder Nummer eins. Ausgerechnet Indonesien geht nun mit gutem Beispiel voran: Nach den verheerenden Torfbränden der Vergangenheit hat das Land seit 2017 beachtliche 800.000 Hektar Moor wiedervernässt.
Alexandra Rigos
Weitere Informationen: www.nabu.de/moor. Der Artikel erschien zuerst in der NABU-Zeitschrift „Natur in Berlin“, Heft 2/20.