In welcher Stadt wollen wir leben?

Aus DER RABE RALF August/September 2021, Seite 2

Am 26. September steht auch der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ zur Abstimmung

Wer hätte damit gerechnet, dass die Vergesellschaftung der größten gewinnorientierten Wohnungsunternehmen Berlins einmal zur Wahl stehen würde? Aber nach Jahren explosionsartiger Mietsteigerungen sind viele Berliner:innen am Ende ihrer Geduld und ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt.

Die Angebotsmieten in Berlin haben sich in Laufe der letzten zehn Jahre mehr als verdoppelt. In traditionellen Arbeitervierteln, in denen viele Menschen mit wenig Geld auskommen müssen, waren die Mietsteigerungen sogar noch höher, sodass in Nordneukölln inzwischen dieselben Mietpreise aufgerufen werden wie in Dahlem.

Die Hoffnung, dass mit dem Mietendeckel eine Atempause kommen würde, wurde schnell zunichtegemacht. Dabei ist nicht der Mietendeckel an sich verfassungswidrig, sondern das Bundesland Berlin hatte laut Verfassungsgericht nicht die notwendige Gesetzgebungskompetenz. Mit einem baldigen Mietendeckel auf Bundesebene ist wohl nicht zu rechnen, sollten CDU und FDP an der neuen Regierung beteiligt sein. Zufällig sind beide Parteien auch die Hauptempfänger von Spenden aus der Immobilienwirtschaft.

Notwehr auf dem Mietmarkt

Nun geht es also um das Gespenst der Enteignung. Man könnte es auch als Notwehr bezeichnen. Welche andere Möglichkeit bleibt den Menschen, um ihre Stadt zu retten? Das vielbeschworene Bauen schafft zwar dringend benötigten Wohnraum, sorgt aber nicht dafür, dass die bestehenden Wohnungen bezahlbar werden, und kann damit kaum Druck aus dem Kessel nehmen. Zumal die wenigsten Neubauten für Normalverdiener:innen errichtet werden.

Wenn Wohnungsunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet werden, könnten so zwölf Prozent der Berliner Mietwohnungen vergesellschaftet werden. Statt den Aktionär:innen wäre eine Anstalt öffentlichen Rechts den Mieter:innen und der Stadtgesellschaft verpflichtet. Das schafft nicht nur bezahlbare Mieten, sondern auch nie dagewesene Mitbestimmungsmöglichkeiten: Sei es eine sozialverträgliche Energiewende, die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe und von Kleingewerbe, die Verhinderung von menschenfeindlichen Zwangsräumungen und Obdachlosigkeit – die Gemeinwirtschaft ist für alle da.

„Sicher – billig ist die Wohnung nicht. Dafür haben Sie aber eine fest installierte Abschusshalterung für Silvesterraketen.“ (Karikatur: Freimut Wössner)

Fusion der Giganten

Die Alternative sieht wenig rosig aus. Die Konzentration auf dem Wohnungsmarkt soll sogar noch weiter steigen. Denn Deutschlands größter Vermieter Vonovia strebt eine Fusion mit Deutsche Wohnen an.

Vonovia besitzt in Berlin 40.000 Wohnungen, die Deutsche Wohnen hat hier 110.000. Zusammen würden dem Konzern neun Prozent aller Mietwohnungen in der Stadt gehören. Dass Vonovia dem Land Berlin nun 20.000 Wohnungen zum Kauf anbietet, ist dabei keineswegs als Mildtätigkeit zu werten. Durch den Verkauf einiger weniger attraktiver Immobilien könnte der Konzern einen Teil der Fusionskosten decken und gleichzeitig einen Imagegewinn erreichen. Die Hauptlast müssten wohl die ohnehin gebeutelten Mieter:innen tragen. „Die angestrebte Fusion von Vonovia und Deutsche Wohnen bringt Mieterinnen und Mietern nichts, im Gegenteil: Durch die Refinanzierung des 18-Milliarden-Euro-Kaufpreises wächst der Druck auf die Mieten“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild.

Faire Entschädigung

Natürlich beharren die Immobilienkonzerne darauf, dass die Entschädigung für eine Enteignung zu Mondpreisen erfolgen müsste – nachdem sie vorher Jahr für Jahr fette Gewinne eingestrichen haben. Dabei sieht Artikel 14 des Grundgesetzes vor: „Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ Dass damit nicht die Finanzierung von Spekulationsgewinnen gemeint sein kann, erklärt sich von selbst.

Fakt ist, dass die größten Vermieter Berlins „ihre“ Wohnungen nicht gebaut haben. Die meisten sind ehemals kommunale Wohnungen, die vom Land Berlin in einer fatalen Privatisierungswelle zu Spottpreisen verkauft wurden. Was dieses neoliberale Politikversagen noch erschreckender macht, ist, dass ausgerechnet ein rot-roter Senat für die verheerendsten Verluste in den 2000er Jahren verantwortlich war. Mit dem Volksbegehren können die Berliner:innen sich nicht nur gegen die Immobilienwirtschaft zur Wehr setzen, sondern auch ein Zeichen gegen das jahrzehntelange Politikversagen setzen.

Es heißt oft, man kann die Uhr nicht zurückdrehen. Aber was, wenn das nicht stimmt? Was, wenn wir die Uhr nicht nur auf den Stand vor der Privatisierung zurückdrehen könnten, sondern sogar eine bessere gemeinwohlorientierte Wohnungsbewirtschaftung schaffen können? Wenn wir bezahlbare Wohnungen für viele Generationen sichern könnten? Was, wenn wir entscheiden könnten, in welcher Stadt wir leben wollen?

Sarah Buron 

Weitere Informationen: www.dwenteignen.de

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