Aus DER RABE RALF Juni/Juli 2023, Seite 22
Mit fortschreitender Militarisierung droht eine Eskalation, die bis zum Atomkrieg gehen könnte

Am Himmel über Berlin wird vom 12. bis 23. Juni für den Krieg geübt. „Air Defender 23“ ist die größte Luftwaffenübung seit dem Bestehen der Nato. Sie wird unter Leitung der Bundeswehr durchgeführt. 220 Kampfflugzuge aus 24 Ländern – davon 100 aus den USA – proben den Ernstfall in drei Lufträumen über dem Norden, Süden und Osten Deutschlands. Das Manöver ist seit vier Jahren geplant und bezieht sich auf Artikel 5 des Nato-Vertrages, wonach sich die Mitgliedsstaaten verpflichten, einander bei einem Angriff beizustehen. Für den zivilen Luftverkehr wird in der Zeit des Manövers mit erheblichen Einschränkungen gerechnet.
Bereits 1997 schlossen die Nato-Staaten ein Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine. „Zur Unterstützung der Zusammenarbeit vor Ort waren das Informations- und Dokumentationszentrum der Nato und das Nato-Verbindungsbüro seit 1997 bzw. seit 1999 in der Ukraine aktiv“, schreibt die Bundeszentrale für Politische Bildung. Verstärkt wurde die Zusammenarbeit nach den Maidan-Protesten und dem Anschluss der Krim an Russland nach einem umstrittenen Referendum 2014.
Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 markiere eine Zeitenwende, heißt es, und Russland führe einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine. Ein Angriffskrieg ist zweifellos eine Gewalttat, für die es keine Rechtfertigung gibt. Aber Vernichtungskrieg? Der Krieg des faschistischen Deutschland gegen die Sowjetunion war ein Vernichtungskrieg mit rund 27 Millionen Toten.
Der Ukrainekrieg ist auch nicht der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, wie mitunter behauptet wird. Im April 1999 beteiligte sich die Bundeswehr am Nato-Krieg gegen Serbien (Rabe Ralf August 2019, S. 16) – das habe ich damals als Zeitenwende erlebt. Auch das war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg.
Damals regierte Rot-Grün, und der grüne Außenminister Joschka Fischer plädierte für den Krieg, damit sich Auschwitz nicht wiederhole, was angeblich durch Serbien geplant sei. Eine ähnliche Relativierung des Massenmords durch das faschistische Hitler-Regime findet sich heute in Gleichsetzungen von Putin mit Hitler.
Demonstrationen und Aktionen
Die große Berliner Friedenskundgebung am 25. Februar 2023, zu der die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht und die „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer aufgerufen hatten, fand ein widersprüchliches Echo. Es war die größte Friedensdemonstration seit Jahren, ermutigend in einer Zeit, in der Friedensbewegten unterstellt wird, sie würden Partei für Russland ergreifen, und sie sogar als „Lumpen-Pazifisten“ (Sascha Lobo im „Spiegel“) beschimpft werden. In vielen Medien wurden die Organisatorinnen und Teilnehmenden der Kundgebung als „rechtsoffen“ bezeichnet. Auch der Linke-Parteivorstand distanzierte sich. Dem setzte Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung seine Kritik entgegen: „Statt dazu beizutragen, dass die breite gesellschaftliche und politische Linke diese Demonstration dominiert – mit vielen roten Fahnen und mit Ordnungskräften, die entsprechend den Vorgaben durch die Initiatorinnen Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht das Zeigen rechtsextremer Symbole unterbinden –, wird Abstinenz ausgerufen und Zerstreuung in viele kleine, weitgehend wirkungslose Aktionen empfohlen.“
Der traditionelle Ostermarsch des Netzwerks Friedenskooperative fand 2023 im Wedding statt. Ein Grüppchen protestierte dagegen mit Parolen wie „Das ist nicht unser Frieden“ und „Kampfjets liefern, Leben retten“. Am Brandenburger Tor skandierten Teilnehmende einer Kundgebung von Vitsche, einer „Vereinigung junger Ukrainer*innen in Deutschland“: „No Peace!“ Seit ich das in der RBB-Abendschau gesehen habe, lässt es mich nicht mehr los.
Sowohl in Russland und Belarus als auch in der Ukraine versuchen viele, sich dem Krieg zu entziehen. „Ihnen allen drohen dafür von ihren Regierungen Repression und Gefängnisstrafen, in Belarus sogar bis hin zur Todesstrafe“, schreibt ein breites Antikriegsbündnis in seinem Aufruf für Aktionen gegen den Krieg vom Mai 2023. Die Forderung: „Schutz und Asyl für alle aus Russland, Belarus und der Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern.“
Fortschreitende Militarisierung
Seit einigen Jahren ist eine Militarisierung der Gesellschaft zu beobachten. Die Bundeswehr wirbt an Schulen, im öffentlichen Raum und mittlerweile auch mit kostenlosen Postkarten in Kneipen. 2019 schloss die Deutsche Bahn einen „Rahmenfrachtvertrag“ mit der Bundesregierung ab. Darin wird militärischen Transporten Vorrang vor dem Personenverkehr eingeräumt. Seit 2020 dürfen Soldaten und Soldatinnen kostenlos mit der Bahn fahren – wenn sie Uniform tragen. 2021 vereinbarte die Ampelregierung im Koalitionsvertrag: „Die Strukturen der Bundeswehr müssen effektiver und effizienter gestaltet werden mit dem Ziel, die Einsatzbereitschaft zu erhöhen.“ Stolz weist die Bundeswehr auf ihrer Website auf ihre aktuellen Auslandseinsätze „Vom Balkan bis Zypern“ hin.
Während die olivgrüne Außenministerin Annalena Baerbock vor Kriegsmüdigkeit warnt, weisen Friedens-Aktive „auf die Nazistrukturen und Rechtsradikalismus in der Bundeswehr“ hin. Seit 2017 hat die „Taz“ umfangreiche Recherchen zu einem rechten Netzwerk veröffentlicht, dem Mitglieder aus Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz angehören, dem „Hannibal“-Netzwerk. Schon 2021 waren täuschend echt im Bundeswehr-Design gestaltete Plakate im Stadtraum aufgetaucht. Mein Lieblings-Slogan: „Rumballern statt Retten. Statt Geflüchtete im Mittelmeer zu retten, rüsten wir auf“.
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) hat kürzlich dargelegt, wie unter Umgehung von EU-Recht und Europäischem Parlament ein Budget für „EU-Militäreinsätze und Waffenlieferungen an befreundete Akteure“ eingerichtet wurde. Darüber hinaus hat das EU-Parlament weitere Mittel für Munitionskäufe genehmigt, nachdem diese – entgegen dem im EU-Vertrag festgelegten Verbot der Finanzierung militärischer Maßnahmen – zu industriepolitischen Maßnahmen umetikettiert wurden. Es ist noch mehr geplant – laut IMI eine zielstrebige Bewegung „in Richtung Kriegswirtschaft“.
„Die Waffen nieder“
Mir macht das Angst. Wie kann irgendwer glauben, eine Atommacht wie Russland könne militärisch besiegt werden? Ich sehe keine Alternative zu Verhandlungen – und zwar so schnell wie möglich, bevor die Ukraine mit einer Offensive versucht, die Krim zurückzuerobern. Denn mit jeder weiteren Eskalation steigt das Risiko, in einem atomaren Inferno unterzugehen, auch hierzulande.
Krieg ist die patriarchale Anmaßung, Herr über Leben und Tod zu sein – was richtet das in denen an, die damit konfrontiert sind, selbst bedroht, mitwirkend oder von Weitem zuschauend? Ist es überhaupt möglich, all diese Gewalt an sich heranzulassen, die Ungeheuerlichkeit des Tötens zu empfinden, oder ist es überlebensnotwendig abzustumpfen, um sich zu schützen?
Würde Putin oder irgendein anderer Gewalttäter in Berlin einmarschieren, dann würde ich ganz sicher nicht meine Kinder losschicken, um mich zu verteidigen. Darum könnte ich auch nicht erwarten, dass andere Söhne oder Töchter ihr Leben für mich auf einem Schlachtfeld riskieren. Vielleicht würde ich weiße Tücher raushängen – in jedem Fall gilt für mich weiterhin der Titel des großartigen 1889 erschienenen Antikriegsromans von Bertha von Suttner: „Die Waffen nieder!“
Elisabeth Voß
Einzelne Sätze wurden aus dem Beitrag „Krieg zerstört Leben“ (GWR 470, Sommer 2022) übernommen.
Leserbriefe
Aus DER RABE RALF August/September 2023, Seiten 22, 30
Wie wirken Aufrüstung und Kriegsübungen auf Umwelt und Menschen?
Vielen Dank für die Veröffentlichung dieses Beitrags. Ich wünsche mir mehr Artikel über die aktuelle Kriegspropaganda in unseren Leitmedien, die grünen Kriegstreiber und die Auswirkungen von Aufrüstung, Kriegsübungen und Kriegsvorbereitung auf Natur, Umwelt und Menschen.
Ekkehard Skoring, Berlin-Friedenau
Notwendige militärische Niederlage einer Atommacht
Glücklicherweise gibt es mehrere historische Präzedenzfälle, in denen eine Atommacht militärisch besiegt wurde. Dies war der Fall für die Vereinigten Staaten in Vietnam und für die Sowjetunion in Afghanistan. In beiden Fällen, und das trifft auch auf den aktuellen Krieg in der Ukraine zu, war eine militärische Niederlage notwendig, da die Atommacht keine Absicht zeigte, ihre imperialistischen Ziele aufzugeben. Die einzigen Verhandlungen, an denen Russland bereit ist teilzunehmen, sind solche, die die Ukraine unter direkte Kontrolle seines genozidalen und ökozidalen (siehe die Sprengung des Kachowka-Damms und das Verminen des Kernkraftwerks Saporischschja) Regimes bringen würden. Ich hoffe, dass wir nicht bereit sind, dies zu akzeptieren. Was die Vitsche-Protestierenden betrifft, ist es schwierig, ihnen ihren entschlossenen Standpunkt vorzuwerfen, da sie diejenigen sind, deren Familien die Schrecken der russischen Besatzung erleben müssen.
Arsen Hnatiuk, Berlin
Trend zu russlandfreundlichen Beiträgen nervt
Eigentlich finde ich den „Raben Ralf“ sehr interessant und lesenswert. Ich habe auch schon mit einem Abo geliebäugelt. Was mich aber davon abhält, sind die regelmäßigen russlandfreundlichen Artikel in den Ausgaben. Als ich in der aktuellen Ausgabe schon die Überschrift „Kriegsvorbereitungen auch hier“ des Artikels von der bestimmt ehrenwerten Elisabeth Voß las, wusste ich gleich, wohin es geht. Der Artikel trieft vor naivem Pazifismus und seltsamen Beobachtungen. Schon die Überschrift suggeriert dem Leser, dass in Deutschland alles auf Kriegswirtschaft umgestellt werde. Da hat Frau Voß bestimmt nicht die Jahre nach 1933 erlebt. Davon gibt es bei Arte oder in anderen Mediatheken genug Dokus. Das sollte Frau Voß sich mal antun, dann wüsste sie, was Kriegsvorbereitungen sind.
Als Kind der DDR kenne ich noch den Spruch „Der Frieden muss bewaffnet sein“. Vieles in der DDR war gelogen und erstunken, aber manche Sachen oder Sprüche waren nicht verkehrt, so wie dieser. Die Menschen im Allgemeinen sind nicht so lieb und freundlich, wie es vielleicht erscheinen mag. Gerade das Beispiel Ukraine zeigt doch, das man manchen Staaten nicht trauen kann und man nur in einer Gemeinschaft stark ist. Wie würden sich Wladimir Putin und Xi Jinping freuen, wenn, wie im Beitrag gefordert („Die Waffen nieder“) wir unsere Waffen abgeben würden.
Und es ist eine Lüge, zu sagen, dass eine Atommacht wie Russland nicht verlieren kann. Russland hat in Afghanistan verloren, die USA haben in Vietnam und ebenfalls in Afghanistan verloren. Und Russland verliert gerade in der Ukraine. Ein Einknicken vor Russland würde ein Aufrüsten mit atomaren Waffen in der Welt auslösen. Denn dann weiß jeder Despot, mit Atomwaffen können die andern mich mal am A… Nordkorea zeigt das gerade. Ein größenwahnsinniger kleiner Despot mit seltsamer Frisur treibt sein Land in den Abgrund. Es gibt genug reiche Länder auf der Welt, die gerne mal auf große Hose machen würden. Das wäre dann die Gelegenheit.
Deshalb gilt es, diesen Leuten entschlossen entgegenzutreten und sich nicht von deren Propaganda einlullen zu lassen. Wenn man sich die letzten Statements von „Putins Koch“ mal durchliest oder ansieht (gibt es alles auf Youtube), dann weiß man, wie Putin uns alle hinters Licht führen wollte. Von wegen Genozid in der Ukraine gegen die russischsprachigen Menschen, von wegen Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Entsatanisierung der Ukraine. Aber viele Linke oder Friedensfreunde stehen hinter Putin und seinen Mitstreitern, geschlossen im Hass auf die USA und die Nato. Und zusammen mit der AfD und anderen „freundlichen“ Zeitgenossen aus der Querdenkerszene.
So lese ich mir die interessanten Artikel im Raben durch und lasse den Rest ungelesen liegen. Ist mir zu doof. Lieber spende ich Geld bei United24, damit sich die Ukraine Waffen kaufen kann.
Steffen Schatz, per E-Mail