Radnetz mit Stolperstellen

Aus DER RABE RALF Februar/März 2023, Seite 7

Berlin will sein Radverkehrsnetz kräftig ausbauen – leider auch zulasten von Grün, Fußverkehr und BVG

Bülowstraße in Schöneberg: Doppelradweg trennt Bushaltestelle ab. (Fotos: Roland Stimpel)

Das klingt grandios: 2.376 Kilometer Radverkehrsnetz in Berlin und dazu noch 100 Kilometer Radschnellwege. Es ist ja auch viel Raum dafür da: Berlin hat mehr als 5.500 Kilometer Straßen, von denen viele sehr breit und die meisten an beiden Bordsteinen zugeparkt sind. Auto raus, Fahrrad rein – das verspricht einen doppelten Effekt für die Verkehrswende.

Durch Parks und Grünzüge

Traurig ist aber, dass das Radnetz auch andere treffen soll: Es gibt Raumkonflikte mit Bussen – heute schon studierbar auf der Kantstraße in Charlottenburg, wo viele BVG-Kunden auf der einzigen Fahrspur zwischen den Autofahrern im Stau sitzen, während nicht so viele Radler auf ihrem Exklusivweg dran vorbeirollen. Vor allem aber drohen Konflikte mit den vielen Menschen, die überall in der Stadt zu Fuß gehen.

Sage und schreibe 112 solcher Konfliktorte enthält eine Liste des Fachverbands Fußverkehr (Fuss e.V.), der den Radnetzplan des Senats analysiert hat. Die Hälfte davon betrifft Parks und Grünwege. Mal sind es nur ein paar Meter wie am Reinickendorfer Schäfersee, mal soll auf vier Kilometern ein Ufer kahlgeschlagen, aufgeschüttet und asphaltiert werden wie am Teltowkanal in Steglitz. In größeren Parks wie dem Tiergarten und dem Gleisdreieckpark ist gleich ein ganzes Netz von Radwegen vorgesehen.

Kinder nur noch an der Hand halten

An vielen Stellen droht Asphalt, wo heute weicher Boden den Füßen und dem einsickernden Wasser guttut. Asphaltbänder setzen das Signal: Dies ist ein Verkehrsweg, kein Erholungsweg mehr. Das führt zu höherem Tempo – kleinere Kinder kann man auf solchen Parkwegen nicht mehr von der Hand lassen.

Warnschild im Tiergarten.

Der Senat versucht doppelte Beruhigung. Erstens könnten Radwege im Grünen auch schmaler werden als auf der Straße. Vorliegende Planungen deuten allerdings nicht darauf hin. Am erwähnten Teltowkanal soll es vier Meter zum Radfahren geben – die vielen Spaziergänger drängeln sich daneben auf einem kaum mehr als halb so breiten Streifen.

Zweitens, so Senat und Radverbände, seien doch weniger als zehn Prozent des Radnetzes im Grünen geplant. Das klingt nach wenig, bedeutet aber immer noch rund 200 Kilometer Planieren, Asphaltieren und Beschleunigen im heute noch Grünen. Man kann die Frage auch andersherum stellen: Wenn es bloß um zehn Prozent geht – kann man auf die nicht verzichten und sich ganz auf die neunzig Prozent konzentrieren, die durch Straßen führen? Der Dichte des Radnetzes würde das wenig Abbruch tun. Es würden dann mehr Radler auf der Straße fahren und Verkehrswende-gerecht den Raum für Autos einschränken.

Mehr Tempo statt Entschleunigung

Nicht nur im Grünen lauern Auseinandersetzungen. Das Radnetz soll über Gehwege und Plätze führen, durch Fußgängerzonen wie die Wilmersdorfer Straße und die Spandauer Altstadt sowie durch verkehrsberuhigte Bereiche. Letzteres ist besonders absurd: Hier haben Menschen im Kiez sich oft in langen Auseinandersetzungen Entschleunigung erkämpft, einschließlich Parkverboten für Autos und dem Recht zum Gehen auf der ganzen Straße.

Ausgerechnet im Namen der Verkehrswende soll das zurückgedreht werden. Der Effekt wären schnellere Fahrzeuge, Gehverbote und womöglich wieder mehr Autoparkplätze. Immerhin deuten sich hier Kompromisse an: Die Verkehrsberuhigung wird zwar rechtlich aufgehoben, aber parallel dazu gibt es andere Verbesserungen, zum Beispiel Durchfahrverbote für Autos.

Schließlich sollen Radrouten auch über schmale Brücken führen und zwei sogar durch Zugangstunnel zu S-Bahnhöfen – in Grunewald und am Nöldnerplatz in Rummelsburg. Ebenso absurd sind die Routen, die durch geplante Modellstraßen des Fußverkehrs führen sollen. Der soll in den Musterprojekten Vorrang bekommen und ihn durch die Radrouten gleich wieder verlieren.

Zerschnittener Gehweg in Moabit an der Einmündung der Heidestraße in die Invalidenstraße.

Das Fahrrad gehört auf Platz drei

Auch wo das Radroutennetz grundsätzlich sinnvoll durch Straßen führt, sind noch viele Fragen offen. Etwa an Haltestellen jenseits von Radwegen oder direkt daran – dort haben Tram- und Buspassagiere zwar Vorrang, aber manche Radler wollen das noch nie gehört haben. Schwierig wird es auch an Radwegen, die rechts an Ampeln vorbeiführen.

Da gilt dann kein Rot – auch nicht, wenn der Fußweg über diese Ampel Grün hat. Menschen zu Fuß und auf dem Rad kommen sich zwangsläufig in die Quere. Aufzulösen wäre das zum Beispiel durch eigene Zebrastreifen über die Radwege. Wer bei Grün über die Ampel geht, kann das ungehindert tun und muss nicht mehrfach neu warten – vor der Ampel am ersten Radweg, an der Ampel selbst und auf der anderen Straßenseite vor Radweg Nummer zwei.

Das Fazit: Für die Verkehrswende wäre nichts gewonnen, wenn Radfahrer neue Wege bekämen, von denen aber dreimal so viele Menschen zu Fuß, in Bus und Bahn gehemmt oder gar gefährdet würden. Diese brauchen am dringendsten Vorrang. Das Fahrrad gehört im künftigen Berliner Verkehr nicht auf Platz eins, sondern auf Platz drei – deutlich vor dem Auto, aber hinter der großen Masse derer, die sich zu Fuß und mit der BVG bewegen.

Roland Stimpel

Seite des Berliner Senats zum Radverkehrsplan und Karte im Geoportal

Weitere Informationen: www.fuss-ev.de

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